Wenn heuer wieder in den letzten Tagen des Jahres unter dem festlichen Lichterbaum kulinarische Schlachten zwischen Gans-Rotkohl-Klößen und veganem Curry, zwischen Tradition und Erneuerung ausgetragen werden und die von Plätzchen und Weihnachtsmarkt-Pommes aufgeblähten Mägen angesichts des brodelnden Sylvester-Fondue-Topfes endgültig die Waffen strecken, mag der Gedanke tröstlich sei, dass andernorts und zu anderer Zeit sich das Feiertags-Menü ganz anders – und nur bedingt erfreulicher – gestalten konnte. Wie so oft ziehen wir für unsere steile (Kalorien)These die Bewohner der Residenz als Untersuchungsmaterial heran.
Selbstverständlich musste im Wohn- und Regierungssitz der bayerischen Herzöge, Kurfürsten und Könige niemals gehungert werden, anders als im Heim so mancher, weniger glücklicher Untertanen, die sich höchstens als Augenzeugen öffentlicher Schaumahlzeiten der Herrschenden seelisch daran aufrichten konnten, „wie gut es ihrer lieben Landesvater schmeckt“ (wie es ein Zeremonial-Experte des 18. Jahrhunderts so unnachahmlich ausdrückt).
So wurden zu einem ernsten Festanlass, dem Mahl während der Trauerfeierlichkeiten für den 1508 verstorbenen Herzog Albrecht IV., das bezeichnenderweise erst im Folgejahr stattfand, allein 23 „Schauessen“ aufgefahren. Es handelte sich also um skulptural, architektonisch und ornamental verzierte Speisen, die in der zeitgenössischen Beschreibung als „lustig“ bezeichnet werden, was aber weniger auf den spaßhaften Grundton des Leichenschmauses anspielt, als auf den spektakulären, „Lust machenden“ Anblick der bildhaften Gerichte, die vielleicht den Appetit, auf jeden Fall aber den repräsentativen Charakter der Feier stärken sollten. Da gab es „Adam und Eva in ainem Garten“ über Pilzen zu sehen (und zu schmecken), die Arche Noah mit Zuckeroblaten, durchsichtige Fischsülze, Abraham, der Isaak opfert (aus Zucker), David und Goliath (mit Krapfen) und, und, und…
Trotz solcher Vielfalt war aber weder jede Mahlzeit ein Vergnügen, noch besonders reich an verwertbaren Fettsäuren, sondern bestand des Öfteren fast zur Gänze aus unverdaulichen Ballaststoffen: Als Herzog Maximilian I. im Jahr 1613 seine Schwester Magdalena in der Residenz ihrem Neuburger Vetter Johann Wilhelm vermählte, bestaunte der Augenzeuge Philipp Hainhofer auf der herrschaftlichen Hochzeitstafel in erster Linie ungenießbare Schaugerichte aus Wachs und Metall, dafür aber versehen mit einem ausgefeilten mechanischen und hydraulischen Innenleben: Zum Beispiel den Berg Parnass, den Inspirationsort der Poeten, im Miniaturformat, komplett mit dem geflügelten Dichterross Pegasus und der Musenquelle Hippokene in Form eines kleinen Tischbrunnens, aus dem echtes Wasser aufstieg, das eine kleinen Ball tanzen ließ. Daneben segelte ein großes Schiff auf künstlichen Wogen über die Tafel, vor dessen Bug bewegliche Fische auftauchten und gleichfalls Wasser spien – zumindest für den Durst war also gesorgt…
Noch gut 150 Jahre später war man manchmal gut beraten, hungrig von der festlichen Residenztafel aufzustehen: So rächte sich Maria Leopoldine von Österreich-Este, die 1795 als junges Mädchen an den damals bereits über 70jährigen pfalz-bayerischen Kurfürsten Karl Theodor (reg. 1777-1799) verheiratet worden war, für ihre frustrierende Ehe mit kulinarischen Schockaktionen am ungeliebten Münchner Hofstaat: Indigniert wird berichtet, die Kurfürstin habe zu ihrer Erheiterung Katzen, Mäuse, Fledermäuse und Ratten als Braten auf die Tafel setzen und die Bombe dann während der Mahlzeit platzen lassen – mit beeindruckenden Resultaten: „Der Kaiserl. Gesandte Graf Sailern aß ein Stück von einer Katz, und wußte sie zu verdauen, nachdem man ihm entdeckt hatte. Der Mainzische Domherr v. Hofeneck aber bekam über eine Fledermaus ein so heftiges Erbrechen, daß man für sein Leben besorgt war…“ Außer einem tiefen Einblick in die robuste Natur der habsburgischen gegenüber der mimosenhaften rheinhessischen Diplomatie lässt dieser Bericht nur betrübliche Rückschlüsse auf kulinarisches und humoristischen Niveau am bayerischen Hof des späten 18. Jahrhunderts zu….
Umso wichtiger, unsere kleine Rundschau mit einem fast märchenhaften Höhepunkt der Kochkunst zu beschließen, wie er – natürlich – unter der Regierung Ludwigs II., des (am Ende bezeichnenderweise von Korpulenz und schlechten Zähnen stark bedrängten) Märchenkönigs über den Herdfeuern der Residenz gezaubert wurde: Gebratener Pfau im Federkleid. Der spätere Starkoch Theodor Hierneis, der als junger Mann als Lehrling in der Hofküche tätig war, berichtet über die aus Rom importierten Pfauen des „Kini“: „Nach vorsichtigstem Entfernen des herrlichen Gefieders und nach bratenfertiger Zubereitung wurden [die Pfauen] mit Trüffeln eingefüllt, die vorher in feingeschabtem Speck geschmort waren, dem man feine Kräutchen und Gänseleberstückchen zugesetzt hatte. Die also gefüllten Pfauen wurden darauf wieder zugenäht und einige Tage im kühlen Keller aufgehängt, bis das ganze Fleisch von dem Trüffelaroma durchdrungen war […]. Auf großen silbernen Schüsseln wurden Brotsockel befestigt, auf deren Mitte dann der kunstvoll zerlegte, aber wieder zusammengesetzte Pfau seinen Platz hatte, während der noch freibleibende Rand des Sockels, der altrömischen Sitte entsprechend, mit dem schillernden Kopf, dem Hals und dem leuchtenden Schwanz besteckt wurde.“ Der Anblick der angerichteten Bratvögel dürfte des Aufwands würdig gewesen sein – über den Geschmack schweigen die Quellen allerdings: Pfauenfleisch soll recht trocken auf der Zunge liegen…
Sei’s drum, denn über Geschmack lässt sich ja bekanntermaßen nicht streiten: Im diesem Sinne wünschen wir allen Leserinnen und Lesern schöne und kalorienreichen Feiertage – kommen Sie rund durch‘s alte Jahr!