Heute stellen wir einen relativ neuen Mitbewohner der Residenz vor, aber eigentlich geht es dabei um einen alten, wenn auch überraschend jung gebliebenen Bekannten! Allerdings handelt es sich bei dem adretten Jüngling mit lockigem Haar und athletischer Figur nicht um einen Olympioniken aus Fleisch und Blut, sondern um einen gemalten Olympier.
Es ist der jugendliche Gott Mars, der himmlische Fachmann für alles Kriegerische, der sonst eher raubeinig und bis an die Zähne bewaffnet auftritt oder allenfalls noch als ehebrecherischer Liebhaber der wollüstigen Göttin der Schönheit, Venus.
„Unser“ Mars hingegen hat den Helm zur Seite gelegt und verbirgt seinen Harnisch unter einem weich wallenden, roten Umhang. Nur der Griff des Schwertes mit einem neckischen Adlerkopf blickt vorwitzig hinter der Draperie hervor. Lässig lächelnd tritt der Gott in niedlichen Strumpfsandalen vor uns hin, die für den Einsatz an der Front wohl eher untauglich sind. So abweichend von seiner üblichen Gestalt ist dieser Mars Anfang des 17. Jahrhunderts in der Werkstatt des am Münchner Hof Maximilians I. (reg. 1597-1651) tätigen Malers Peter Candid (1548-1628) auf die Leinwand gebannt worden, dass dem Betrachter schnell klar wird, dass der Künstler hier gar nicht den blutdürstigen Schlachtenlenker der Mythologie darstellen wollte. Es geht nicht um eine Personifikation des Krieges, sondern vielmehr um ein Sinnbild der Kriegskunst. Die belegte in der Frühen Neuzeit einen oberen Platz auf dem idealen Lehrplan für hochadelige Knaben und junge Männer: In theoretischem Unterricht brüteten sie über Taktik, Strategie und Festungsbau, in der Praxis mühten sie sich bei vielfältigen Unterweisungen körperlicher Fähigkeiten wie Reiten, Schießen und Fechten.
2015 konnte das Werk der Candid-Werkstatt aus dem Kunsthandel für die Residenz angekauft werden, für die es – und das ist das Beglückende an dieser Erwerbung – ziemlich genau vier Jahrhunderte zuvor gemalt worden war: Nämlich als Bildschmuck eines Raumes in einer 1612/16 neu errichteten Flucht von Prunkgemächern, den damals sogenannten „Rats-„ oder „Fürstenzimmern“, im Osten des Kaiserhofes, die heute nach einem späteren Bewohner, dem Trierer Kurfürsten, als „Trierzimmer“ bekannt sind.
Es handelte sich um prunkvolle Gästeappartements für hochrangige Besucher, die aber auch vom Bauherrn, Maximilian I., für Ratssitzungen und repräsentative Zwecke genutzt wurden. Aus diesen Funktionen erklärt sich auch das heute noch weitgehend vorhandene, ausgefeilte Bildprogramm der Räume: Die Hauptgemälde im Zentrum der ornamentierten Decken formulieren jeweils eine Herrschaftsidee, die in angrenzenden kleineren Nebenbildern erweitert oder konkretisiert wird. Beigefügte lateinische Inschriften helfen (naja…: sollen helfen), die komplexen Allegorien zu deuten. In ihrer Gesamtheit entwerfen die Gemälde das Bild eines idealen Herrschers, wie es die Fürstenspiegel des 16. und 17. Jahrhundert propagierten: Neben den Grundlagen gerechter und gottgefälliger Herrschaft stellen sie auch die Tugenden vor, derer der Monarch in seinem Amt bedurfte. Der Betrachter war (ist) infolgedessen ziemlich unverhüllt aufgefordert, in der Person des Bauherrn Maximilian I. die Verkörperung dieses idealen Regenten zu erkennen.
So auch im sogenannte „Saal des Rechts“, in dessen Deckenbildern Naturrecht und menschliche Justiz als die beiden Säulen fürstlicher Gerechtigkeit vorgestellt wurden. Darunter prangte auf dem Kamin, quasi als Inbegriff des rechtlichen und machtvollen Herrschers, eine Büste oder Statue Kaiser Karls des Großen, den Maximilian I. gern und häufig als Stammvater der Wittelsbacher in Anspruch nahm. Flankiert wurde der heute verschollene Karl von zwei hochrechteckigen Gemälden, welche zwei (historisch sehr unterschiedlich dokumentierte) Interessensfelder des Idealfürsten Karl/Maximilian darstellten – nämlich die Pflege von Künsten und Wissenschaften, „Ars“, und Krieg: „Mars“ – das Ganze lateinisch beschriftet und grammatikalisch dekliniert zu „Arte“ (in Gestalt eines gelehrten Jünglings mit Buch) und – der Leser ahnt es – „Marte“: unser dynamischer Lockenschopf mit Speer und Schild!
Heute ist dieses elaborierte Bildprogramm nur noch als Rudiment erhalten: Anfang des 19. Jahrhunderts wurde der „Saal des Rechts“ umgestaltet. Im Zuge dessen baute man die wandfesten Kamingemälde aus und überführte sie ins Depot der königlichen Gemäldegalerie. Dort gehörten sie knapp 50 Jahre später zu den über 1000 als entbehrlich erachteten Sammlungsgemälden, die mit königlicher Erlaubnis bei einer berühmt-berüchtigten Großversteigerung 1852 unter den Hammer kamen, um mit dem Erlös tagesaktuelle Kunstprojekte zu finanzieren. Noch heute tauchen immer wieder einzelne der damals verkauften Werke auf dem Kunstmarkt auf – es freut uns daher unbändig, dass auch unser Mars vor einigen Jahren darunter war! Nach langer Abwesenheit (und einer noch fälligen Restaurierung) kann er so wieder an seinen ursprünglichen Standort, die nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs baulich wieder weitgehend auf den Zustand des 17. Jahrhunderts zurückgeführten Trierzimmer, heimkehren!