Residenz München

Ärger mit dem Aufstehen – Morgenrituale in der Residenz

Residenz München Kurfürstenzimmer Schlafzimmer

Es ist ein tägliches Kreuz – seit Ende März tickt wieder deutschlandweit die Sommerzeit und treibt auch den geübtesten Schläfer jeden Morgen kostbare sechzig Minuten früher als die vergangenen Monate aus dem Bett – der verschwommene Blick auf die jetzt schon wieder frühmorgendlich von der Sonne unbarmherzig beschienene Fensteraussicht tröstet da nur selten – ebenso wenig wie das misslaunige Konterfei, das einem aus dem Badspiegel übermüdet entgegen starrt.

Tröstlicher dagegen ist vielleicht die Erkenntnis, dass es den Altvorderen –selbst wenn sie, anders als wir, an der Spitze der Gesellschaft standen – schon vor Jahrhunderten nicht besser ging, eher schlechter: Denn während heutiges Aufwachen eine vergleichsweise intime Angelegenheit ist, entwickelte sich das Aufstehen des Kurfürsten in der Münchner Residenz im 18. Jahrhundert täglich zur kleineren Staatsangelegenheit. Vorbild für das sogenannte „Lever“ war – der Name verrät es bereits -, wie in so vielen Fällen der tonangebende französische Hof von Versailles: Hier hatte der Sonnenkönig Ludwig XIV. sein ganzes Leben bewusst als Folge öffentlicher Auftritte inszeniert: Morgens stürmten in einer festgelegten hierarchischen Abfolge mehrere Dutzend hochrangige Höflinge das königliche Schlafgemach, um dem offiziellen Aufwachen des Herrschers beizuwohnen und ihm, abgestuft nach dem Rang, die – spärlichen – Waschutensilien, dann die Kleider zu reichen und erste Befehle und Gunstbeweise entgegenzunehmen, bevor König und Hofstaat gemeinsam zur Messe aufbrachen. Auch Ludwigs Nachfolger auf dem Thron hielten an dieser ungeliebten, aber wirkungsvollen Tradition fest, ohne seine selbstverständliche Grandezza auf diesem Gebiet jemals erreichen zu können…

Noch nicht ganz wach – Kurfürst Max III. Joseph, porträtiert von Joseph Lander, 1766.

Gleiches gilt für die internationalen Nachahmer: Hatten die deutschen Fürsten bis ins 18. Jahrhundert hinein den Zutritt zu ihrem Schlafzimmer noch relativ verbissen verteidigt, bröckelte dieser Widerstand angesichts des mächtigen französischen Vorbilds nun langsam in sich zusammen: Unter Max III. Joseph (reg. 1745-1777) füllten das Schlafgemach, das er allein (einige sichernde Räume vom Bett seiner Gemahlin entfernt) benutzte, laut „Aufwartungs-Ordnung“ von 1766 unter anderem alle hohen Hofbeamten, die Konferenzräte, verschiedene Militärs, die Kammerherren, der Beichtvater, Arzt, Küchenmeister, Stallmeister, Jagd- und Falkenmeister, jeweils mit ihren Vertretern… – wenn alle kamen, wurde es ungemütlich voll um das Bett…

Gegenüber dem öffentlichen Auftritt mussten die persönlichen Bedürfnisse des Kurfürsten zurückstehen: Die Toilette – vornehm Retirade genannt – lag als winziges Geviert baulich eingeklemmt hinter der Pracht der weiß-gold beschnitzten Wände. Immerhin spirituelle Hilfe war für den frommen Fürsten gleich zur (rechten) Hand: Hier gab es hinter einer Tapetentür eine kleine Gebetsnische, üppig versehen mit den Bildnissen besonders verehrter Heiliger. Ein besonderer Clou: Um die Symmetrie des Raumes nicht zu stören, verfügte die Kniebank über einen Mechanismus und fuhr nur auf Knopfdruck aus der Wand heraus – eine gelungen Symbiose von Technik und Glaube

Max III. Josephs Schlafzimmer vor der Zerstörung 1944 – die geöffnete Gebetsnische ist links zu erkennen.

Aktive Körperpflege mittels Wasser wurde wie im 18. Jahrhundert allgemein üblich auch am bayerischen Hof ordnungshalber zwar betrieben, aber ohne Enthusiasmus: Die Waschgarnituren waren aus edlem Nymphenburger Porzellan, aber sparsam im Format: Mehr Erfolg (und weniger gesundheitliche Risiken) versprach man sich von der Trockenreinigung mit parfürmierten Puder. Hierfür und für die Einfärbung der täglichen Perücke mit einem Mehl-Pudergemisch diente ein kleines, aber überaus reizvoll dekoriertes Kabinett, das ursprünglich hinter dem Schlafzimmer im Bereich der jetzigen Ostasiensammlung lag.

Ansicht des Kabinetts kurz vor der Zerstörung 1944.

Nach den Kriegszerstörungen ist der zierlich dekorierte Rokokoraum nicht wiederhergestellt worden, nur der Name des angrenzenden Puderhöfchens erinnert noch an seine einstmals staubige Existenz.

Tatsächlich scheint sich der von Lever und Bittstellern erschöpfte Kurfürst – zumindest am Morgen – in diesem Kabinett ein paar kurze Minuten von Privatheit erkämpft zu haben: Auf jeden Fall befahl er eigens mit einer misslaunigen schriftlichen Order 1769, dass „sich Niemand ohne Unterschied…sonderbar zur Zeit wo höchstdieselbe [kurfürstliche Durchlaucht] sich in besagtem Puderzimmer aufzuhalten geruhen“ in dem davor gelegenen Korridor befinden dürfe.

Wer will ihm unausgeschlafen begegnen?? – Kurfürst Carl Theodor, Porträt von Pompeo Batoni.

Max III. Josephs Nachfolger Carl Theodor schließlich akzeptierte das dem Zeremoniell geschuldete öffentliche Auftreten nicht mehr und reduzierte den morgendlichen Auflauf im herrschaftlichen Schlafzimmer rigoros: Er empfing die Herren seines Hofstaats in seinem Garderobenzimmer und erst, wenn er bereits das tägliche Taschentuch auswählte – angeblich, wie böse Zungen behaupteten, um nicht jedem zu enthüllen, mit welcher aktuellen Liebschaft er die Nacht verbracht habe.