Wer kennt das Problem nicht – angesichts der horrenden Mietpreise in der Münchner Innenstadt müssen Familie, Privatleben sowie Hab und Gut auf einer Kleinstzahl von Quadratmetern untergebracht werden und so einiges bleibt dabei auf der Strecke, zum Beispiel manch ein Möbelstück, das vielleicht nicht ganz so notwendig ist, wie Bett, Tisch und Stuhl, aber trotzdem ganz schön und praktisch wäre…
Ein Blick auf die mobile Ausstattung der Residenz erweckt den Eindruck, dass ihre fürstlichen Bewohner im 18. Jahrhundert ganz ähnlich empfanden – um die 120 Fest- und Appartementräume sind natürlich auch nicht allzu viel Platz. Im Gegensatz zu den meisten ihrer Untertanen (und zu uns) waren sie allerdings in der Lage, sich ihren kostspieligen Traum vom platzsparenden, multifunktionalen Wundermöbel zu erfüllen: Der zuständige Magier hieß in diesem Fall Jean François Oeben (1721-1763), arbeitete als Kunsttischler mit königlichem Privileg (d. h. außerhalb der fesselnden Zunftordnung) für den französischen Hof – und feierte nebenbei am 21. Januar diesen Jahres posthum seinen 250 Geburtstag.
Oeben hatte sich in seiner Laufbahn auf Entwurf und Bau kostbar verfertigter mechanischer Verwandlungsmöbel spezialisiert. Gleich drei seiner Werke befinden sich heute im Bestand der Münchner Residenz und sind in den Kurfürstenzimmern, die in der Mitte des 18. Jahrhunderts dem Herrscherpaar als Wohnung dienten, ausgestellt. Am spektakulärsten ist dabei wohl der kleine Tisch, der auf den ersten Blick mit seiner aufwendig intarsierten Platte zwar elegant und wunderschön, aber nicht sonderlich ausgefallen wirkt.
Wenn man jedoch den Schlüssel in dem seitlichen Schloss dreht, weicht die Deckplatte dank einer raffinierten und nach über 250 Jahren immer noch (oder wieder) funktionierenden Mechanik wie von Zauberhand bewegt zurück. Der darunter liegende Zargenkasten schiebt sich gleichzeitig vor. Seitlich lassen sich nun zwei Fächer aufklappen und damit die Standfläche zugleich vergrößern. In der Mitte lässt sich ein Pult schräg aufrichten, das entweder als Ablage für Bücher dient oder – einmal um die eigene Achse gedreht – als Schreibunterlage nutzbar ist.
Selbstredend, dass all diese zusätzliche Flächen aus poliertem Holz mit kostbarer Einlegearbeit aus verschiedenfarbigen Hölzern dekoriert wurden: Vom Licht geschützt haben diese inneren Intarsien noch ihre ursprüngliche intensive und vielfältige Farbigkeit bewahrt: Die hier dargestellten Buketts strahlen tatsächlich noch in olivgrün, weiß und gelb auf einem violett-rötlichen Untergrund. Auch die beiden anderen Verwandlungsmöbel in der Residenz entfalten auf Knopfdruck ihr reiches Innenleben, dessen Präsentation eigentlich schon (Selbst)zweck dieser raffinierten Luxusobjekte war.
Nach München gelangten die Stücke auf Wegen, die fast so verzwickt sind, wie Oebens Mechanik: Einer der zahlreichen pfälzischen Nebenzweige des Wittelsbacher Stammbaums, der in dem an sich wenig bedeutenden Herzogtum Zweibrücken herrschte, unterhielt gute Beziehungen zum französischen Hof, namentlich zur Mätresse Ludwigs XV., Madame de Pompadour – einer großer Förderin von Oeben. Wohl für die Zweibrücker Herzöge wurden unsere Möbel angefertigt, und als die ursprünglich so weit entfernten Vettern von der Saar im 19. Jh. auf verschlungenen Wegen die altbayerische Linie beerbten und als Kurfürsten, dann als Könige die Herrschaft über Bayern antraten, gelangte auch ihr erlesener Hausrat in die Residenz – noch heute zur Freude und zum Staunen unserer Besucher und Liebhabern historischer Möbelkunst aus aller Welt!
Wer sehen will, wie die „Verwandlung“ funktioniert sieht sich die Simulation des Getty Museums an: Dort ist ein weiteres Exemplar von Oebens Tischchen ausgestellt und jüngst aufwendig restauriert worden:
http://www.youtube.com/watch?v=EblnaLMjdNg&list=PLij2XTFgmBSSOnpXK_dCL22ddVGoMpX2h