Januar 1765 – Festlaune am Münchner Hof, freudig bewegte Mienen in der Residenz – zumindest in der Öffentlichkeit: denn es beginnt nicht nur die alljährliche Karnevalssaison mit ihren zahlreichen Unterhaltungsangeboten, es gibt noch mehr zu feiern: Schon hält im neuen „Opera-Hauß“, das François Cuvilliés einige Jahre zuvor für Kurfürst Max III. Joseph errichtet hat, Hymenäus, der Genius der Hochzeit, an einem gemalten Götterhimmel die Bildnisse zweier Fürstlichkeiten fest im Griff: Das Porträt der Schwester des Kurfürsten, Prinzessin Maria Josepha und eines, das einen etwas blasiert lächelnden Herrn mit hoher Stirn zeigt: Joseph II., Sohn Maria Theresias und ältester Spross des Hauses Habsburg-Lothringen, seit wenigen Monaten erwählter römischer König und damit zukünftiger Kaiser!
Die puderleichten Wolken an Cuvilliés‘ Rokoko-Himmel verdecken kaum, dass es sich bei dieser dynastischen Eheschließung um ziemliche Risikopolitik handelt. Zwar verbreitet sich der offizielle Hochzeitsbericht soßig-sämig über die Leidenschaft, die den jungen König anlässlich eines Familientreffens für seine bayerische Cousine erfasst habe. Tatsächlich geht es aber vor allem darum, das erst einige Jahre zuvor stark strapazierte Verhältnis zwischen den beiden Dynastien wieder zu verbessern: Immerhin hat Maria Josephas Vater, der Kurfürst-Kaiser Karl VII. Albrecht, der Mutter Josephs II., der berühmten Maria Theresia, Krone und Land streitig gemacht. Eine gewagte Partie, die der Wittelsbacher letztlich brachial verloren und sein Land damit in eine veritable Krise gesteuert hat. Aber: Vergangen! Schnee von gestern! – so hofft man wohl in München und sucht an die ältere Tradition ehelicher Verbindungen zwischen Wittelsbach und Habsburg neu anzuknüpfen. Und: „Mal sehen…“ – so denkt man in Wien. Denn angesichts der absehbaren Kinderlosigkeit Max III. Josephs überlegt Joseph II. ziemlich unverhüllt, mit dem Land seines zukünftigen Schwagers später die österreichische Hausmacht effektvoll abzurunden. Eine Wittelsbacher Gemahlin und gemeinsame Kinder können diesen Anspruch zukünftig nur stärken. Da fällt es auch nicht ins Gewicht, dass Maria Josepha, nach den grausamen Ansichten der Epoche mit 25 Jahren schon eine ziemlich alte Braut, gefühlsmäßig für Joseph in keinster Weise seine erste Frau, die 1763 verstorbene, heiß (wenn auch einseitig) geliebte Isabella von Parma, ersetzen kann…
Zwei volle Wochen hat man in München für die Feier dieser so wichtigen wie prestigereichen Eheschließung reserviert. Über ihren Ablauf informiert uns noch heute der offiziöse Festbericht des Anton Johann Klüger, Notar und Kabinettschreiber des kurfürstlichen Cousins Herzog Clemens in Bayern: Am 4. Januar 1765 hielt der kaiserliche Botschafter und Brautwerber Graf Alois von Podstatzky-Liechtenstein offiziellen Einzug in München. Den Gasteig herab rollte seine prächtige Karosse über die Isarbrücke, durchs „Tal“, am „Schönen Turm“ und Rathaus vorbei Richtung Residenz – mitten durch die Stadtansicht, die der berühmte Bernardo Bellotto erst 1761 für Max III. Joseph in einem Gemälde festgehalten hatte und die bis heute in den sogenannten „Kurfürstenzimmern“ hängt.
Am nächsten Tag erfolgte der zeremoniell genau getaktete Antrittsbesuch bei Max III. Joseph. Die (kurze) Werbung fand in dem von Cuvilliés entworfenen Audienzgemach der „Reichen Zimmer“ statt. Unmittelbar im Anschluss holte man die in Galarobe wartende Maria Josepha herein, die der Botschafter vor ihrem Bruder offiziell als seine neue Herrin und künftige Kaiserin begrüßte.
Nun konnten also die Festlichkeiten beginnen: Den Auftakt bildete das „Dreikönigsmahl“ am 6. Januar. Paarweise, wie sie das gezogene Los zusammenführte, versammelte sich der Hofstaat um sieben Uhr abends im Vierschimmelsaal an der Tafel, bevor im benachbarten Kaisersaal der „Königsball“ begann. Am 7. Januar kam in Cuvilliés‘ Opernhaus die Festoper „Semiramide“ zur Aufführung, nach einem (wie damals allgemein üblich) bereits mehrfach komponierten Text des kaiserlichen Librettisten Antonio Metastasio, neu vertont vom Vize-Kapellmeister und Musiklehrer des Kurfürsten, Andrea Bernasconi. Die verwickelte Opera seria, die durch allerlei Intrigen und Nebenhandlungen hindurch zum obligatorischen „lieto fine“, dem „Happy End“ der Barockoper mäanderte, erfreute mit „allersinnreichste[n] und sehenswürdigste[n] Flugmaschine[n] und Ballets“. Dazu gab es „beständigste Theaterverwechslung“, also prachtvolle Bühnenbilder, darunter der Thronsaal im Palast von Babylon, natürlich die berühmten Hängenden Gärten, sowie die Ufer des nächtlichen Euphrat samt brennenden Schiffen! Zum Schluss erschien auch noch die Ruhmesgöttin, die von einen vierspännigen Wolkenwagen herab das erlauchte Verlobungspaar in italienischen Versen komplimentierte.
Zum Ausgleich zu so viel antik inspirierter Kultur folgte am 8. Januar für die Münchner ein Freiball in der „Reitschule“, dem barocken Turnierhaus am Hofgarten, das erst 1822 abgerissen werden sollte. Kurz tauchte auch die hohe Braut persönlich auf, um pro forma etwas Karten zu spielen und als frühe Inkarnation der kräftigen Münchner Festzeltbedienung Speisen und Wein an die Feiernden auszuteilen. In den Folgetagen besuchte man den Maskenball des kaiserlichen Botschafters samt illuminierten Festdekorationen und feierte eine der an deutschen Höfen so beliebten „Bauerhochzeiten“. Einleitend bewarf der rustikal-ländlich kostümierte Hof von Festwägen herab die Schaulustigen mit Konfekt und Citrusfrüchten – das Entzücken war angeblich allgemein.
Am 12. Januar schließlich durfte man die in der Residenz ausgestellte Aussteuer besichtigen und erledigte vor dem abendlichen „Theatralischen Singgedicht von der Hochzeit Amors und der Norizia“ im Kaisersaal auch noch juristisch Relevantes: Die Unterzeichnung des Ehevertrags.
Erst jetzt, nach mittlerweile einwöchigem Auftakt, erfolgte am folgenden Abend um fünf schließlich die kirchliche Trauung – wie üblich „per procurationem“, also in Stellvertretung, ohne den abwesenden Bräutigam. Statt Seiner streifte der kurfürstliche Bruder der unter ihren Juwelen fast begrabenen Maria Josepha den Ehering über den Finger, der sie zur römischen Königin machte und der anschließend per Eilkurier an den nicht besonders ungeduldig wartenden Joseph verschickt wurde.
Im Anschluss durfte die Braut das damals bereits etwas belächelte altehrwürdige Ritual eines Zeremonienballs durchstehen: Ganz allein tanzte sie vor den Augen der Zuschauer zunächst mit dem Botschafter, dann mit Max III. Joseph, bevor den dreien auf goldenem Service das Hochzeitsmahl serviert wurde.
Am Montag reiste Botschafter Lichtenstein der Braut voraus nach Wien ab. In München hingegen fand am gleichen Abend der „sehr magnifizenzvolle Dominio-Ball (sic!) in dem neuen churfürstlichen Opern-Haus“ statt, über den wir schon früher einmal in diesem Blog berichtet haben.
Den Abschluss der Münchner Feierlichkeiten bildete ein Festmahl in Schloss Nymphenburg, dem sich eine nächtliche Festbeleuchtung des Parks anschloss – leider aufgrund von Nebel und Regen ein Totalfiasko, das selbst der Schönredner Klüger nicht zum Erfolg umzudichten wagte. Ob der nasskalte Ausklang des Hochzeitsspektakels eine Art Prophezeiung für Maria Josepha gewesen ist, die ihre Heimat am folgenden Tag für immer verließ? In Wien erwartete sie ein fremder, abweisender Ehemann, der sich über ihre „hässlichen Zähne“ mokierte, ein schwieriger Hof – und der Tod: Im Mai 1767, zwei Jahre nach dem Münchner Hochzeitsfest, fiel die 28-Jährige einer grassierenden Pockenepidemie zum Opfer…