Der antike Held ist nicht nur in Troja und Rom, sondern auch im oberbayerischen Schleißheim zuhause. Dort sogar ganz prominent an den Decken der wichtigsten Prunkräume.
Kaum ein Erzeugnis der klassischen lateinischen Literatur dürfte über alle Zeiten hinweg stärker rezipiert worden sein als die Aeneis Vergils – gefürchtete und beizeiten auch geliebte (Schul-)Lektüre in den Skriptorien des Mittelalters ebenso wie auf den Groß- und Kleinstadtgymnasien der Jetztzeit.
Der Einstieg in humanistische Bildungswelten ist jedoch nicht nur uns Bürgerlichen von heute dringend – also per Lehrplan – angeraten, sondern auch den Herrschenden des 17. und 18. Jahrhunderts.
So nimmt es sich auch kaum verwunderlich aus, auf einem Portraitstich des bayerischen Kurfürsten Max Emanuel als Herrschaftsmotto verteilt auf die beiden unteren Medaillons ein Zitat aus der Aeneis zu lesen: „Parcere subiectis et debellare superbos“. In der Aeneis findet sich das Zitat im sechsten Buch (Vers 851ff.):
„tu regere imperio populos, Romanae, memento / (hae tibi erunt artes), pacique imponere morem, / parcere subiectis et debellare superbos.“
In der Übersetzung von Edith und Gerhard Binder:
„Du, Römer, sollst, dessen sei dir bewusst, Völker unter deiner Hoheit lenken (dies werden die dir verliehenen Gaben sein) und Regeln verordnen dem Frieden: Schonung für den unterlegenen, aber Kampf bis Ende gegen den widersetzlichen Feind.“
Gesprochen wird diese „Römerschau“ beim Gang durch die Unterwelt von Aeneas’ verstorbenem Vater Anchises. Die Zukunftsschau beginnt mit dem Lob des goldenen Zeitalters, das der – zu Vergils Zeiten regierende – Kaiser Augustus dereinst über Rom bringen wird.
Nun findet sich dieses Vergil-Zitat aber nicht nur als Herrschaftsimprese beim bayerischen Kurfürsten, sondern auch an einer ganz zentralen Stelle der Kunst in Bamberg: in Melchior Steidls Deckenfresko des Kaisersaals der Neuen Residenz. Dort fungiert es als sanfte bildliche und textliche Mahnung an den Kaiser, das Oberhaupt des Heiligen Römischen Reichs: Sieh hin, so hat ein Herrscher zu sein.
Es mutet nur auf den ersten Blick etwas überraschend an, dass sich dieses Motto sowohl bei einer kaiserlichen Darstellung, als auch beim bayerischen Kurfürsten findet. Kurfürst Maximilian II. Emanuel hatte durchaus hochfliegende Pläne. Er ließ das Neue Schloss in Schleißheim zuerst von Henrico Zucalli und dann von Joseph Effner als neues, höchst anspruchsvolles Residenzschloss planen, das auch einer möglichen Rangerhöhung seiner Familie genügen würde.
Als ausgreifende Vierflügelanlage sollte es das Alte Schloss seiner Vorfahren einbeziehen. Nach militärischen Niederlagen und einer Zeit im Exil von 1704 bis 1715 musste sich Max Emanuel mit der Realisierung eines einflügeligen Neuen Schlosses – und dem Ausbleiben einer Rangerhöhung – begnügen.
Ein römischer Held hoch oben an der Decke
Doch nicht nur als Herrschaftsmotto, auch in den zentralen Raumschöpfungen des Neuen Schlosses Schleißheim befinden sich Darstellungen von Themen aus der Aeneis. Das antike Epos wird hier – durchaus zeittypisch – recht handfest an die politischen Ambitionen des Auftraggebers angepasst.
Der Zyklus mit Aeneas-Darstellungen beginnt bereits im Prunktreppenhaus, das hoch oben mit einer kleinen Kuppel, der so genannten Laterne, abschließt.
Hier im Treppenhaus wird es besonders deutlich: Dieses Schloss ist gleichsam zum Angeben gemacht worden. Hier will jemand zeigen, was er zu leisten imstande ist. Tatsächlich hätte Kurfürst Max Emanuel, wenn das Schicksal ihm etwas günstiger gestanden wäre, zum Begründer einer ganz neuen Blüte seiner Familie, des Hauses Wittelsbach, werden können. Er durfte sich berechtigte Hoffnung darauf machen, dass sein Sohn das habsburgische Erbe des spanischen Königsthrons antreten können würde.
Es kam jedoch anders: Max Emanuel verstrickte sich in diplomatische Winkelzüge und kriegerische Auseinandersetzungen, sodass er bedingt durch den Spanischen Erbfolgekrieg gar aus Bayern fliehen musste. Bald nach seiner Rückkehr 1715 begannen die Künstler mit der Freskierung des Neuen Schlosses. So erhielt Cosmas Damian Asam den Auftrag, die Kuppel des Treppenhauses zu bemalen.
Die Kuppel wird von einer vielfigurigen Komposition belebt. Am vom Betrachter aus linken Bildrand schmieden Gehilfen Vulkans auf Bitten seiner Gattin Venus, die rechts etwas außerhalb der Bildmitte zu sehen ist, Waffen und Rüstung für Aeneas. Vulkan selbst weist Venus stehend auf die Schmiede hin. Unten präsentieren diverse halbnackte Figuren eben jene Waffen.
Betrachten wir das Fresko noch genauer, erkennen wir neben Venus den strahlenden Helden Aeneas selbst. Die Frage, warum Max Emanuel für die drei wichtigsten öffentlichen Räume im zeremoniellen Ablauf seiner neuen Residenz – Treppenhaus, Großer Saal, Viktoriensaal – auf den Aeneas-Mythos zurückgriff, lässt sich an dieser Figur besonders eindrücklich beantworten. Nicht nur trägt das stolz präsentierte graue Schild am Boden besonders strahlend die blauen bayerischen Rauten, auch zeigt Aeneas selbst die Gesichtszüge des bayerischen Kurfürsten. Wie Aeneas nach seiner Irrfahrt das römische Imperium begründet hat, so wird – zumindest der Bildlogik nach – auch Max Emanuel Bayern militärisch und künstlerisch zur neuen Blüte führen.
Tatsächlich errang Max Emanuel in den so genannten Türkenkriegen als kaiserlicher Feldherr fulminante Siege. Der Große Saal und der anschließende Viktoriensaal sind diesen für Max Emanuel bedeutenden Kriegstaten gewidmet, die allerdings zum Zeitpunkt der Entstehung der Fresken bereits weit über ein Jahrzehnt zurücklagen.
Natürlich ist es dementsprechend kein Zufall, dass auch das Deckenfresko des Großen Saals einen Sieg zeigt.
Nämlich jenen des Aeneas über Turnus. Dabei verlegt der Maler Jacopo Amigoni das Kampfgeschehen ganz an den von uns aus äußersten rechten Rand. Ansonsten bevölkert ein illustrer Götterreigen die Decke. Der ganze göttliche Hof ist gekommen, um sich diesen Zweikampf anzusehen. An dessen Ende der siegreiche Aeneas anstelle seines Widersachers Turnus, um die Hand der Königstochter Lavinia anhalten darf – und somit der Gründung Roms durch ihren gemeinsamen Nachfahren Romulus nichts mehr im Wege steht.
Noch mehr als bereits im Großen Saal geht es im anschließenden Viktoriensaal um den ruhmreichen Sieg Max Emanuels über die Türken.
Überall finden sich Huldigungsmotive auf den Ruhm des Kurfürsten. In drei schmalen hohen Wandschränken, die in die östliche Wand eingelassen sind, waren osmanische Beutefahnen aufbewahrt. Zu besonderen Anlässen wurde sie den staunenden Besuchern gezeigt.
Zudem künden neun monumentale Gemälde Franz Josef Beichs von den siegreichen Schlachten Max Emanuels in den Türkenkriegen 1683-88. Ein weiteres Monumentalgemälde an der Ausgangswand zeigt die beiden Söhne des Kurfürsten – ebenfalls als siegreiche Feldherrn. Das Talent zur Kriegsführung liegt also in der Familie. Zumindest will uns das diese Zusammenstellung weismachen.
Das Deckenfresko schuf wieder Jacopo Amigoni.
Es zeigt Aeneas vor Königin Dido von Karthago. Nachdem Aeneas aus dem brennenden Troja fliehen musste, findet er bei ihr Aufnahme. Daran ist wiederum seine Mutter Venus nicht ganz unschuldig: Sie bahnt eine Liebesbeziehung zwischen den beiden an. Max Emanuel dürfte diese Darstellung ganz auf sich selbst bezogen haben: Wie Aeneas so ist auch er wegen eines verlorenen Krieges zur Flucht aus seiner Heimat gezwungen – nur dass es bei ihm nicht der trojanische, sondern der spanische Erbfolgekrieg war.
Besonders interessant ist die Darstellung im prunkvollsten Raum des kurfürstlichen Appartements – im Paradeschlafzimmer.
Nach getaner kriegerischer Arbeit findet hier ein Held seine Ruhe. Dabei ist der kriegsmüde Kämpfer wohl gleich dreifach zu deuten – hier hat sich entweder der Kriegsgott Mars, unser Held Aeneas oder Max Emanuel selbst zur Ruhe gelegt und hofft mit seinen Gästen zusammen auf eine künftig friedliche Regentschaft. Im Schlaf – und, wie wir gesehen haben, nicht nur dort – liegen Rom und Oberbayern also ganz dicht beieinander.