Residenz München

Von Silberleuchtern und Birnperlen – Kurpfälzische Schätze in der Münchner Residenz

Pfälzer Perle

Seit August ist der neu eingerichtete Karl Theodor-Themenraum in der Münchner Residenz Teil des Museumsrundgangs: Rund um unsere große Kopie nach Batonis Porträt des Kurfürsten belegen kleine Kabinettsmöbel aus Mannheim, Schwetzingen und Oggersheim die Blüte der vom nahen Frankreich befruchteten kurpfälzischen Hofkultur. Familienbüsten und heraldische Objekte verweisen auf die dynastische Herkunft und Verankerung Karl Theodors in seinen pfälzischen und niederrheinischen Zusammenhängen. Straßburger Silber und Frankenthaler Porzellane illustrieren die Raffinesse des aristokratischen Wohl- und Luxuslebens, während reich dekorierte wissenschaftliche Instrumente auf die ambivalente Stellung der Sciences zwischen Innovation und Unterhaltung im Umfeld des aufgeklärten Fürsten verweisen.

Karl Theodor-Raum im Münchner Residenzmuseum (R.64)

Fast scheint es angesichts des gut gefüllten Ausstellungsraums so, als ob so manche patriotische Beschwerde zuträfe, Bayern habe nach 1777 die Kurpfalz geplündert: Im Zuge der vertraglich vereinbarten Residenzverlegung seien alle ihre Schätze vom Rhein an die Isar verfrachtet worden, und das schöne Schwetzingen sei nur an Ort und Stelle geblieben, weil es nicht auf Räder gesetzt werden konnte – ein Manko, das mit Blick auf die Münchner Residenz schon anno 1632 der dort logierende Schwedenkönig Gustav Adolf moniert hatte…

Die Kurpfalz beklagt den drohenden Verlust Karl Theodors, Frankenthaler Porzellangruppe nach Modell von Franz Conrad Linck, 1775

Die Kurpfalz beklagt den drohenden Verlust Karl Theodors, Frankenthaler Porzellangruppe nach Modell von Franz Conrad Linck, 1775

Zum Glück für Karl Theodors auch ohne dies schon lädierten Ruf ist die Trauer der Palatina allerdings unbegründet: Denn natürlich hat der pfälzische Wittelsbacher keinesfalls die gesamte Mannheimer Schlossausstattung ab 1778 nach Bayern transferiert. Wie auch? Schließlich blieb Mannheim ja institutionell eine – nun zweite – Residenz seiner mittlerweile vereinten kurfürstlichen Staaten. Wiederholt sollte der vom Dauerkampf mit dem renitenten Münchner Magistrat ausgelaugte Karl Theodor „sein“ Mannheim als einen Kraftort aufsuchen – und hat es stets nur wehmütig wieder verlassen. Mobiliar und Raumausstattungen blieben in großen Teilen auch angesichts nahender französischer Revolutionstruppen bis zum Ende seiner Regierung vor Ort. Genug, um noch 1803, nach dem Übergang der rechtsrheinischen Gebiete an Baden, eine Fülle zäh umkämpfter Zankäpfel zwischen der Wittelsbacher Hofverwaltung und den neu installierten badischen Großherzögen zu bieten.

In München hingegen hatte Karl Theodor eine vollständig ausgestattete Schlosslandschaft vorgefunden, die der im zweiten Drittel des 18. Jahrhundert abgeschlossenen Einrichtung der Mannheimer Repräsentationsräume nicht nachstand. Wohl entsprachen die zuletzt 1760/63 von François Cuvilliés überarbeiteten Residenzwohnungen nicht der kühlen Pastell-Eleganz im neu errichteten niederrheinischen Schloss Benrath (das übrigens Karl Theodor auch nur ein einziges Mal gesehen hat). Doch waren sie zumindest nicht altmodischer, als der spätbarocke Prunk und der Bändelstuck, welche die Mannheimer Paradeappartements prägten.

Toilettetisch aus Karl Theodors Schwetzinger Sommerresidenz, nach 1777 nach München verbracht;Johann Jacob Christoph Kieser (1734–1786) zugeschrieben verschiedene Edelhölzer, vergoldete Bronze- und Messingbeschläge, Mannheim, 1770/71

Toilettetisch aus Karl Theodors Schwetzinger Sommerresidenz, nach 1777 nach München verbracht;
Johann Jacob Christoph Kieser (1734–1786) zugeschrieben, verschiedene Edelhölzer, vergoldete Bronze- und Messingbeschläge, Mannheim, 1770/71

Tatsächlich lässt sich in der Residenz selbst nur eine gute Handvoll von sehr qualitätvollen, aber in den späten 1770er Jahren teils bereits altmodischen Möbeln mit eindeutig kurpfälzischer und Zweibrücker Provenienz feststellen. Erst unter Karl Theodors Nachfolger, seinem Zweibrücker Neffen Max Joseph, setzte ein großer Mobiliar-Transfer ein, der aber vorrangig Konvolute des megalomanen Karlsberg-Palastes bei Homburg umfasste, die man kurz zuvor nach Mannheim geflüchtet hatte: Ihre frühklassizistische Eleganz sollte helfen, die düstere Altertümlichkeit aufzufrischen, welche die neue Kurfürstin (künftige Königin) Karoline in der eben bezogenen Münchner Residenz beklagte.

Hingegen wurden unter Karl Theodor in großer Zahl Schatzgegenstände aus Mannheim in die Residenz überführt, die sowohl als Teile des Staatsvermögen Bedeutung besaßen wie als Legitimationssymbole der Herrschaft. Hierbei folgte unser neugebackener Münchner der Tradition: Auch sein Vorgänger auf dem kurpfälzischen Fürstenstuhl, Karl III. Philipp (1661-1742), hatte seinerzeit neben kostbaren Tapisserien, die er dringend für seine noch ganz baufrischen Schlossräume benötigte, ab 1730 die spektakuläre Schatzkunst seines kinderlosen Bruders Johann Wilhelm aus dessen stillgelegter Residenz Düsseldorf in die neue Mannheimer Regierungszentrale bringen lassen.

Die Notwendigkeit, außer den Archiven auch den Staatsschatz, sei es in Form von geprägtem Geld oder von Wertgegenständen, unmittelbar unter den Händen zu haben, ist selbsterklärend. Ausführlicher wollen wir daher im Folgenden beim symbolischen Kapital der transferierten Objekte verweilen, das Karl Theodor in seiner neuen Residenz zum Einsatz brachte.

Lüster mit Wappen der Kurpfalz und Monogramm Johann Wilhelms sowie dem Wappen der Anna Maria Luisa de‘ Medici; Abraham II Drentwett, Augsburg, um 1706/08, Silbertreibarbeit, teilvergoldet (Residenz, R. 30)

Lüster mit Wappen der Kurpfalz und Monogramm Johann Wilhelms sowie dem Wappen der Anna Maria Luisa de‘ Medici; Abraham II Drentwett, Augsburg, um 1706/08, Silbertreibarbeit, teilvergoldet (Residenz, R. 30)

Dies betrifft vor allem ein spektakuläres Ensemble aus Spiegelwandleuchtern und einem Lüster von teilvergoldeter Silberarbeit, das im kurfürstlichen Wohnbereich (den heutigen „Kurfürstenzimmern“) installiert wurde. Da die unter Karl Theodor erlassenen Hofordnungen einen restriktiven, nur auf die Vorzimmer beschränkten Zugang Dritter in seine Wohnung belegen, wissen wir leider nicht, wie und ob der fragliche Raum in seiner Regierungszeit praktisch oder gar zeremoniell genutzt wurde. Jedenfalls aber kam den in ausladendem Barockstil gestalteten Blakern und dem skulpturalen Lüster (um 1708), den eine ausgefeilte „kurpfälzisch-dynastische“ Bildsymbolik auszeichnet, am neuen Standort die Rolle prachtvoller und bedeutungsschwerer Altertümer zu. Dieser Eindruck dürfte gewollt gewesen sein, denn er wurde durch den Kontrast zu dem 50 Jahre jüngeren Raumdekor Cuvilliés‘ verstärkt!

Der Silberlüster in den Kurfürstenzimmern zu Anfang des 20. Jh.

Der Silberlüster in den Kurfürstenzimmern zu Anfang des 20. Jh.

Solch eine Ausstattung mit groß dimensioniertem Silbermobiliar war in der Residenz außerhalb der Kapellen bislang einmalig. Sie hatte allerdings ein Vorbild im „Silberzimmer“, das Karl Theodor nach 1750 im Mannheimer Schloss einrichten ließ und mit älteren Silbermöbeln ausstatten ließ, Glanzstücke aus der Erbmasse des prunkliebenden Kurfürsten Johann Wilhelm (1658-1716), der damit vormals in Düsseldorf glanzvoll Hof gehalten hatte. Allerdings nicht für lange: Im Kriegsjahr 1794 wurde Johann Wilhelms barocke Silberpracht angesichts drohender Kontributionszahlungen im Mannheimer Schloss in sechs Kisten verpackt und großteils in die Münze geschickt. Stellt also das Silberensemble innerhalb von Karl Theodors Münchner Wohnung eine Reminiszenz an sein verlorenes Mannheimer Raumkunstwerk dar? An neuer Stelle, im Herzen der bayerischen Residenz, konnte der prunkvolle Leuchter wahrhaft strahlend die dynastische Kontinuität innerhalb des Hauses Wittelsbach sowie niederrheinisch-kurpfälzische Traditionslinien über Johann Wilhelm, Karl Philipp und schließlich Karl Theodor sichtbar machen (– er tut dies dort übrigens bis heute!)

Neben symbolgeladenen „Antiquitäten“ gelangte jedoch auch Mannheimer Silber für den täglichen Gebrauch an der Hoftafel in die Residenz: Bis 1797 wurden größere Teile der kurpfälzischen Silberkammer nach München transferiert – es handelte sich um bedeutende Stückzahlen, welche zunächst den dort vorgefundenen Bestand praktisch verdoppelten. Schließlich hatte Karl Theodor, das Gold- und Vermeilgeschirr nicht gerechnet, zwischen 1752 und 1758 allein vier komplette Silberservice angeschafft. In der Residenz wurde der glänzende Zustrom dringend benötigt. Denn in der Münchner Verwahrung war der kontinuierliche Schwund an Silbergeschirr im Wert von tausenden Gulden von jeher und vor allem unter der Verwaltung des unfähigen Silberkämmerers Graf Leoni (ab 1756) notorisch geworden. Und auch unter Karl Theodor sollten die Verlustzahlen nicht sinken, wenn auch aus anderen Gründen: 1796, inmitten des Ersten Koalitionskrieges gegen das revolutionäre Frankreich, wanderte unter tumultarischen Umständen pfälzisches Silber ohne Unterscheidung in den Münchner Schmelzofen, um dringend benötigtes Kontributionsgeld zu prägen: Darunter zu Karl Theodors namenlosem Ärger aus Versehen nicht nur schlichte Teller, sondern auch sein besonders fein gearbeitetes Galaservice für zwölf Personen – offensichtlich hatte man in der Eile entscheidende Kisten verwechselt…

Lavabo-Garnitur aus Vermeil mit Monogramm Karl Theodors; Johann Jakob II Biller (Meister 1746-1777), Augsburg, um 1750

Gießgarnitur aus Vermeil mit Monogramm Karl Theodors; Johann Jakob II Biller (Meister 1746-1777), Augsburg, um 1750

Vier reich geschwungene Gießgarnituren aus Weißsilber, dazu zwei gleichgeformte aus Vermeil, sämtlich aus der Augsburger Werkstatt des Johann Jakob II Biller, ist nahezu alles, was von der einst kurpfälzischen Silberkammer die fortlaufenden Vermünzungen dieser krisenhaften Kriegsjahre an der Wende zum 19. Jahrhundert überlebt hat!

Aber nicht nur höfisches Silber gelangte mit Karl Theodor neu nach Bayern, sondern auch Kirchensilber. 1794 packte der Münchner Silberarbeiter Franzowitz in Mannheim nicht nur das erwähnte „Silberzimmer“ ein, sondern bereitete auch die Flüchtung des Hofkirchenschatzes aus der von Schutztruppen entblößten Kurpfalz vor. In der diesbezüglich gut ausgestatteten Residenz konnten diese Kisten mit liturgischem Silbergerät allerdings zunächst über Jahre hinweg verschlossen bleiben. Allerdings zeigt der Blick in die Inventare, wie kurzlebig und wechselnden Moden unterworfen der Münchner Altarschmuck im Einzelnen war:

Silberner "Maikrug" im typischen Zopfstil der Regierungszeit Karl Theodors aus der Münchner Hofkapelle

Silberner „Maikrug“ im typischen Zopfstil der Regierungszeit Karl Theodors aus der Münchner Hofkapelle

Zahlreiche Abschreibungen informieren darüber, dass in Karl Theodors Regierungsjahren viele Objekte, darunter die zuvor reichlich vorhandenen Heiligen-Statuetten und großen Reliefarbeiten, „umgegossen“ und zu „anderen silbernen Kirchengeräthschaften verwendet“ wurden – 1780 wurde solches Altsilber im Auftrag des Hofkapellendirektors für eine Modernisierung der Ausstattung verwendet – „voyant la nécessité de mettre en meilleur état les ornements du grand autel“. Die bewegte Rokoko-Ornamentik der älteren Zierden dürfte dem frühklassizistisch geprägten Stilgefühl der Zeitgenossen Karl Theodors also immer weniger entsprochen haben, auch wenn Franzowitz um 1780 nochmals einen Silberkelch lieferte, dessen Cuppa eucharistische Trauben und Ähren zwischen Rocaillen umwuchern. Zugleich aber versah er bereits die stattliche frühbarocke Silbermadonna der Hofkapelle mit einem neuen silbergoldenen Podest in ziemlich rustikalem „Zopfstil“.

Erst 1802 wurde das seinerzeit aus Mannheim geflüchtete Kapellensilber ausgepackt, teils rückgeführt, der Rest aber ins Münchner Inventar aufgenommen. Hierzu gehört etwa eine originelle, 1704 datierte Versehgarnitur in ihrem vergoldeten, kreuzförmigen Behältnis mit dem eingravierten Wappen des Kurfürsten Johann Wilhelm. Gleichfalls rheinischer Herkunft ist wohl auch ein Abendmahlskelch mit reichem Steinbesatz, der die intensive Buntfarbigkeit aufweist, die fast alle Schätze Johann Wilhelms im Bestand der Residenz kennzeichnet.

In Karl Theodors eigenem Auftrag entstanden ist hingegen eine schlichte Chrisam-Öl-Garnitur aus vergoldetem Silber. Bestellt wurde das kleine Doppelgefäß 1761 für die erwartete Taufe von Karl Theodors einzigem Sohn mit seiner Gemahlin Elisabeth Auguste, der aber gleich nach der Geburt starb und seinen Vater ohne Hoffnung auf einen legitimen Erben ließ…

Unser letzter Blick konzentriert sich auf die Schatzkammer: Die heute dort präsentierte Sammlung enthält namhafte Teile der unter Karl Theodor nach München übertragenen Pfälzer Pretiosen, die sich wie in München weitgehend aus ererbten „Altertümern“ zusammensetzten: Neben der ursprünglichen kurpfälzischen Schatzkammer aus Heidelberg waren ja die reichen Düsseldorfer Bestände der Neuburger Wittelsbach-Linie nach Mannheim gelangt. Dazu kam der Schmuck der Herrscherfamilie, soweit er dem Hausgut angehörte und der neben modischen Juwelen auch Zeremonialkleinodien umfasste.

Uhr mit arabischen Schriftzeichen und Ziffern; Werk: Claude-Simon Passemant, Paris, um 1750, vergoldete Bronze, Brillanten, Rubine, Porzellanblumen: Manufaktur Mennecy Villeroy

Uhr mit arabischen Schriftzeichen und Ziffern; Werk: Claude-Simon Passemant, Paris, um 1750, vergoldete Bronze, Brillanten, Rubine, Porzellanblumen: Manufaktur Mennecy Villeroy

In München wurden diese Neubestände zunächst in der Maxburg eingelagert bzw. ins alte Kunstkammergebäude südlich der Residenz verbracht, das mittlerweile faktisch als Depot diente. Hier wurde der Bestand erst nach Karl Theodors Tod ab 1805 systematisch aufgenommen, wobei man einzelne Objekte nun überhaupt erstmalig als Schatzkunst deklarierte, z.B. die juwelenstarrende Uhr des französischen Hofuhrmachers Passemant, die 1778 noch in Karl Theodors Mannheimer Kabinett neben dem Schlafzimmer tickte.

Sogenannte Pfälzische Perle Fassung: Caspar Mayr, München, 1784; Perle, Silber, Brillanten, Rubine Residenz München, Wittelsbacher Ausgleichsfonds

Sogenannte Pfälzische Perle Fassung: Caspar Mayr, München, 1784; Perle, Silber, Brillanten, Rubine, Wittelsbacher Ausgleichsfonds

Neben neuen Zuordnungen kam es auch zu Modernisierungen, etwa im Falle der berühmten, schwarz-weißen „Perle Palatine“: Die hochberühmte, aber auch sehr kleine Pretiose fand früher als anderes Eingang in die Schauschränke der Münchner Schatzkammer. Vielleicht damit sich das vielgepriesene „Pfälzer Auge“ unter den umgebenden altbayerischen Schätzen besser behaupten könne, ließ Karl Theodor die Perle aus ihrer altmodischen Fassung (dem Deckel eines barocken „Büchsels“) herausnehmen und allansichtig auf einen diamantgeschmückten „Taboret“ („Schemel“) setzen, auf dem ihre aufregende Zweifarbigkeit gebührend zur Geltung kam.

Heutiger Bestand der Sankt Georgs-Ordensgarnitur:(Kreuz, Stern und Bandschlinge der Brillantgarnitur von Kurfürst Maximilian III. Joseph von Bayern) Paris (?), um 1729 (?) Silber, vergoldet, Brillanten, Rubine, Glasfluss, Email Residenz München, Wittelsbacher Ausgleichsfonds

Heutiger Bestand der Sankt Georgs-Ordensgarnitur: (Kreuz, Stern und Bandschlinge der Brillantgarnitur von Kurfürst Maximilian III. Joseph von Bayern) Paris (?), um 1729 (?), Silber vergoldet, Brillanten, Rubine, Glasfluss, Email, Wittelsbacher Ausgleichsfonds

Vor allem aber war es der kurpfälzische Schmuck, der als kleinteilige Verfügungsmasse behandelt wurde, die man Tagesmoden entsprechend umgestaltete. Besonders für die Feste der diversen pfalz-bayerischen Hausorden bedurfte Karl Theodor verschiedener Edelsteingarnituren für seine wechselnde Gewandung. Dabei wurden auch mit Geschichte und Symbolkraft aufgeladene Objekte wie die kostbarsten Ordenskleinodien für neue pfalz-bayerische Kontexte aktualisiert – also umgearbeitet. So ergänzte Karl Theodor die bedeutendste, in München vorgefundene Kombination – die St.-Georgs-Brillantgarnitur seines Vorgängers Max III. Joseph – mit einem großen, tropfenförmig geschliffenen Diamanten aus dem Nachlass seiner ungeliebten (aber juwelenvernarrten) Gemahlin Elisabeth Auguste. Er wurde 1796 dem wertvollsten Stück des Ensembles, der Hutagraffe, angehängt, zusammen mit dieser nach dem Ersten Weltkrieg an den Wittelsbacher Ausgleichsfonds abgegeben und 1931 versteigert.

Vliesorden Max III. Josephs („mit dem großen blauen Brillanten“), kombiniert mit dem „Pfälzer Coulant“; wohl München, um 1760/70  Silber vergoldet, Brillanten, Dublette Residenz München, Wittelsbacher Ausgleichsfonds

Vliesorden Max III. Josephs („mit dem großen blauen Brillanten“), kombiniert mit dem „Pfälzer Coulant“; wohl München, um 1760/70, Silber vergoldet, Brillanten, Dublette, Wittelsbacher Ausgleichsfonds

Der wohl spektakulärste einzelne Edelstein aus kurpfälzischem Bestand, der vielkarätige „Pfälzer Coulant“, stammte ebenfalls aus Elisabeth Augustes Hausschatz. In Mannheimer Tagen hatte Karl Theodor ihn als Hängejuwel seines pfälzischen Löwenordens getragen. Im Münchner Schatzinventar wurde er hingegen in einer beeindruckenden Kombination seinem Pendant unter dem Gesichtspunkt der Kostbarkeit zugeordnet, dem 1722 aus kaiserlichem Besitz nach München gelangten „Blauen Wittelsbacher Diamanten“. In weiß-blauer Farbheraldik verbanden Karl Theodors Nachfolger fortan bei festlichen Anlässen das pfälzische und das bayerische Leitjuwel zum kombinierten Kleinod des kurfürstlichen Vliesordens.

Sankt Hubertus-Ordensgarnitur (Kreuz und Stern d. Pfälzer Smaragdgarnitur) Heidelberg (?), 1708 (evtl. Neufassung durch Maria Cordula von Pigage, Mannheim, 1761)Silber, Gold, Email, Smaragde, Brillanten, Wittelsb. Ausgleichsfonds

Sankt Hubertus-Ordensgarnitur (Kreuz und Stern d. Pfälzer Smaragdgarnitur), Heidelberg (?), 1708 (evtl. Neufassung durch Maria Cordula von Pigage, Mannheim, 1761), Silber, Gold, Email, Smaragde, Brillanten, Wittelsbacher Ausgleichsfonds

Auch sonst scheint es, als ob die Orden und Kleinodien aus der Kurpfalz (allerdings nicht nur diese) einen weitgehend frei disponiblen Edelsteinfundus darstellten, der im Bestand ungeschmälert bleiben sollte, aber in der Zusammensetzung fortlaufend verändert werden durfte: So fanden Teile der ursprünglichen Hubertus-Smaragdgarnitur Karl Theodors im 19. Jahrhundert als St. Georgs-Kleinodien der Söhne und Urenkel Max I. Josephs Verwendung: Die gravierte „Nr. 2 a 17“ auf der Fassung verweist auf das aufgelöste Originalensemble.

Zwei OhrgehängeKaspar Rieländer, München, 1825 Silber, vergoldet, Perlen, Diamanten Residenz München, Wittelsbacher Ausgleichsfonds

Zwei Ohrgehänge, Kaspar Rieländer, München, 1825, Silber, vergoldet, Perlen, Diamanten, Wittelsbacher Ausgleichsfonds

Ähnlich unbefangen ging man noch Jahrzehnte später mit dem pfälzischen Hausschmuck der Kurfürstinnen um: Die ursprünglich wohl aus Medici-Besitz stammenden Birnperlen in Elisabeth Augustes (riesigen) Ohrgehängen wurden in den 1820er Jahren für neue (riesige) Ohrringe der Königin Therese verwendet, der Gemahlin von Karl Theodors Großneffen Ludwig I.

Diese Liste pfalz-bayerischer Neukombinationen ließe sich noch beliebig fortsetzen. Doch reicht der Blick auf diese wenigen, prominenten Stücke, um aufzuzeigen, wie pfälzische Kostbarkeiten im Dienste des nun über zwei Kurfürstentümer herrschenden Karl Theodor und seiner Nachfolger in München je nachdem bewahrt, umgenutzt, umgedeutet – auf alle Fälle aber geschätzt wurden – Und noch heute geschätzt werden!