11. Juli 1715 – im Herzen des barocken München, in der heutigen Kaufinger und Neuhauser Straße, herrscht schon seit dem frühen Morgen Rummel: Zwischen Stadttor und Residenz reihen sich meterhohe Triumphbögen, geschmückte Monumente sowie beleuchtete Ehrenmale aus Holz, Gips und bemalter Leinwand. Gedränge, Jubel, Glockengeläute und wehende Fahnen, Knabenchor vor dem Jesuitenseminar, übertönt von Salut-Geböller – und vermutlich auch Sonnenschein: Bayerns Kurfürst Max Emanuel (1662-1726) hält mit seiner Gattin, der polnischen Prinzessin Therese Kunigunde, und ihren sechs gemeinsamen Kindern feierlichen Einzug in seine Haupt- und Residenzstadt. Zudem begeht er an diesem Tag auch noch seinen 53. Geburtstag!
Allerdings kehrt die hochherrschaftliche Familie so festlich animiert und publikumswirksam empfangen nicht von einem gemeinsamen Geburtstagsausflug zurück. Vielmehr sehen sie München und seine „Vivat“ rufenden Bewohner zum ersten Mal nach einem Jahrzehnt des Exils wieder, das Eltern und Kinder voneinander getrennt in Frankreich, Venedig und Österreich verbrachten.
Wie kam es dahin?

Max Emanuel in Siegerpose – allerdings schon im belgischen Exil… Pastell von J. Vivien von 1706, Residenzmuseum
1701 war zwischen Frankreichs alterndem Sonnenkönig Ludwig XIV. und dem habsburgischen Kaiserhaus ein europaweit schon lang befürchteter Kampf um das Erbe des vakanten spanischen Throns und seine riesigen Herrschaftsgebiete in alter und neuer Welt entbrannt, der von einigen Historikern als der erste „Weltkrieg“ der Neuzeit betrachtet wird. In diesem „Spanischen Erbfolgekrieg“ schlug sich Max Emanuel, politisch von Habsburg enttäuscht, voller ehrgeiziger Hoffnungen auf die Seite Ludwigs XIV., kämpfte also, obwohl Reichsfürst, gegen den Kaiser, das Reichsoberhaupt, seinen nominellen Lehnsherren. Vor allem aber kämpfte der vormals militärisch meist erfolgreiche Wittelsbacher ausgesprochen unglücklich: In Folge der desaströsen Niederlagen von Höchstädt (1704) und Ramilliés (1706) sah Max Emanuel sich gezwungen, aus Bayern zu fliehen. Er zog sich zunächst in ein belgisches, dann ins sicherere französische Exil zurück, das im Übrigen sehr luxuriös war und von der zähneknirschenden französischen Regierung für den mittlerweile nutzlosen Verbündeten kostspielig mitfinanziert werden musste.
In Wien hingegen verhängte der Kaiser mit großem Zeremoniell die Reichsacht über den aufrührerischen Kurfürsten, ließ Bayern schon 1704 von österreichischen Truppen besetzen und für ein Jahrzehnt zwangsverwalten (hieß konkret: die Landeseinkünfte für die Habsburger Militärkampagnen verwenden). Erst das Ende des Krieges brachte auch ein Ende dieses Zustands, der das bayerisch-österreichische Verhältnis ziemlich nachhaltig vergiftet hat: In den Friedensverhandlungen von Utrecht und Rastatt (1713/14) wurde Max Emanuel auf französischen Druck in seinen Ländern und Würden wieder eingesetzt – eine Rückkehr nach Bayern und das Wiedersehen mit seiner Familie war nun möglich.
Wenn das also kein Grund zum Feiern ist!

Die Friedensverhandlungen von 1713/14 erwiesen sich als dornig und langwierig – letztendlich konnte Frankreich die spanische Krone für das Haus Bourbon sichern – davon profitierte auch Max Emanuel….
Was man bei der ganzen Festfreude nicht übersehen sollte, ist, dass es sich bei dem Münchner Einzug von 1715 letztlich um eine Peinlichkeit allerersten Ranges handelte. Der Kurfürst hatte viel gewagt und alles verloren. Nur „durch Beziehungen“ war er mit nachhaltig ruiniertem Ruf in den „Status quo ante“, also den Zustand vor der ganzen Aufregung, versetzt worden. Außer der politischen Demütigung standen auf der „Haben-Seite“ nur noch wirtschaftliche Langzeitschäden, Verlust an Menschenleben und die Erfahrung der Besatzung. Das angeschlagene Herrscher-Image bedurfte also dringend der Politur, am besten und kostengünstigsten mittels geduldigen Papiers und fetter Druckerschwärze. Voll Elan ging hier der bayerische Zweig des Jesuitenordens voran, den Wittelsbachern von jeher eng verbunden: Noch 1715 publizierten die frommen und beredten Väter die aufwendig illustrierte Ruhmesschrift „Fortitudo Leonina In Utraque Fortuna Maximiliani Emmanuelis“, also sinngemäß übersetzt: „Die Stärke des bayerischen Löwen in wechselndem Geschick“.
Mit enormem rhetorischem Aufwand wurden hier in Text und Bild politische Niederlagen umgedeutet in Beispiele sittlicher Standhaftigkeit des idealen Herrschers, so wie erhabene Beispiele sie gelehrt hatten, sei es der mythologische „Dulder Odysseus“ auf seinen Irrfahrten, die antiken Stoiker oder die christlichen Märtyrer. Eine recht erfolgreiche Strategie, denn diese Deutung sollte für den Rest des 18. Jh. die offizielle Lesart der Regierungszeit Max Emanuels „des Großmütigen“ bleiben.

Kupferstich aus „Fortitudo Leonina“, der Max Emanuel hoch zu Ross vor der Residenzfassade verherrlicht
Dulder und Märtyrer also statt Triumphator und Sieger. Eine ungewohnte und wenig geliebte Rolle für die kurfürstliche „Rampensau“ Max Emanuel. Kein Wunder, dass seine eigentliche Rückkehr nach München, die bereits am 10. April stattgefunden hatte, ganz still verlief: Auf aufsehenerregende Feiern hatte der sonst eigentlich festfreudige Wittelsbacher keine Lust. Die Heimreise aus dem gemütlichen Saint-Cloud hatte er immer wieder verschoben, vielleicht auch in der Hoffnung, statt seines ausgepowerten Bayernlandes doch noch in zwölfter Stunde ein hübsches Ersatzkönigreich bescheidenen Ausmaßes beim Friedenskongress zu erhandeln.

Die Entwufsskizzen für Rubens Festdekorationen werden heute im Eremitage-Museum in St. Petersburg aufbewahrt.
Es war allerdings auch nicht der Hof, sondern der Münchner Magistrat samt den Landständen, der zwei Monate später den „offiziellen“ Einzug organisierte (und bezahlte). Vorbilder für eine solche festliche „Einholung“ des Landesherrn in „seine“ Stadt waren in erster Linie die „Blijde inkomst“ oder „Joyeuse Entrée“, die in den Niederlanden und Frankreich vor allem im 16. und 17. Jh. zelebriert wurde. Vor seinem erbfolgekriegerischen Abenteuer hatte Max Emanuel zehn Jahre als Statthalter der spanischen Krone im heutigen Belgien regiert, eine stark städtisch-bürgerlich geprägte Region, die sich mit diesen Feiern auskannte: Der pompöse, vom Malerfürsten Peter Paul Rubens inszenierte „Introitus“, den das reiche Antwerpen 1635 für einen der Amtsvorgänger Max Emanuels, den Kardinalinfanten Ferdinand von Habsburg, ausgerichtet hatte, galt als unerreichbarer Höhepunkt auf diesem Gebiet, nicht zuletzt dank der aufwendig illustrierten Berichte, die Rubens‘ ephemere Festdekorationen unsterblich machten – samt den in diesen kurzlebigen Kunstwerken formulierten Botschaften und Appellen: Denn im Kern stellte der Herrschereinzug ursprünglich einen festlich verbrämten Rechtsakt dar, in dem sich Herrscher und Gemeinde letztlich auf Augenhöhe begegneten und gegenseitig Loyalität gegen die Garantie verbriefter Rechte und Freiheiten zusicherten.
Das war von Zeit zu Zeit auch dringend geboten. Schließlich kannten nicht zuletzt München und seine Wittelsbacher ihre Hochs und Tiefs: Vor allem im 14. Jh. hatte es mehrfach und ordentlich gekracht. Auch die Landstände, zu denen die Städte gleichfalls zählten und die Steuern bewilligten, konnten den stets klammen bayerischen Herzögen ziemliche Kopfschmerzen bereiten. Im Ganzen aber war man, so der Konsens im Sommer 1715, mit Hof und Herrscher in der Residenz besser dran, also ohne (vor allem wirtschaftlich), und die Freude über den Abzug der Österreicher war echt.
Interessant gemischte Gefühle also auf beiden Seiten bei der großen Jupelparade, die vom westlichen Stadteingang aus über die Kaufinger Gasse zum Schrannen-(heute: Marien)Platz Richtung „Tal“ verlief, von dort nach Norden umbog und entlang der Dienergasse die Residenz erreichte. Und aufschlussreich daher der Blick in den im Folgejahr publizierten Festbericht, der das Ereignis in offiziöser Lesart für die Nachwelt festhielt. Die barock-überbordenden Beschreibungen der in ganz- und doppelseitigen Kupferstichen abgebildeten Festdekorationen zeigen, dass bei Max Emanuels Einzug mit Pinsel und Schnitzmesser ordentlich Geschichtskittung betrieben wurde und man zugleich dem wiedergewonnenen Landesvater durch die Blume der Kunst mitteilte, was man in Zukunft von ihm erwartete.




Diese unübersehbar betonte Notwendigkeit des Friedens als Grundlage einer erhofften Erholung Bayerns sowie die neue Rolle der Dynastie als Wahrerin dieses Friedens waren natürlich kaum verhüllte, dringende Aufforderungen an den heimgekehrten Landesvater, sich künftig weiterer militärischer Aktionen zu enthalten. Letztlich war das recht starker Tobak und Max Emanuels Lächeln wird angesichts der ephemeren Pracht vermutlich etwas säuerlich gewesen sein. 



