Geheimnisse

Anna Bon di Venezia – ein vergessenes Musiktalent

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„Bey Balthasar Schmid … ist sauber gestochen herauskommen: VI. Sonate da Camera, per il Flauto Traversiere e Violoncello o Cembalo … Composte de Anna Bon di Venezia Virtuosa di Musica di Camera … in età d’anni se deci. Opera prima“

Mit dieser Zeitungsannonce bewarb der Nürnberger Musikverleger Balthasar Schmid 1756 ein frisch erschienenes Notenheft. Das Ungewöhnliche daran: Die Komponistin der Flötensonaten war gerade einmal sechzehn Jahre alt. Wer war die Verfasserin dieser Werke?

Anna Bon – Wunderkind aus Italien

Anna Bon, 1738 in Bologna geboren, begann ihre musikalische Ausbildung bereits mit vier Jahren am Ospedale della Pietà in Venedig. Das Waisenhaus mit angeschlossener Musikschule genoss – nicht zuletzt durch das Wirken Antonio Vivaldis – einen hervorragenden Ruf. Doch Waisenkind war Anna Bon beileibe nicht. Sie entstammte einer erfolgreichen Musikerfamilie. Ihre Mutter war berühmte Sopranistin, ihr Vater als Multitalent zugleich Maler, Bühnenarchitekt und Maschinist, aber auch Librettist, Komponist und Leiter seiner eigenen Opernkompagnie. Diese Berufe brachten weite Konzertreisen bis an den russischen Zarenhof mit sich. Die Tochter verblieb unterdessen in Italien und erhielt am „Ospedale“ Musikunterricht bei einer Schülerin Vivaldis.

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Venezianisches Galakonzert mit dem Mädchenorchester des „Ospedale della Pietà“, gemalt von Francesco Guardi, 1782, Alte Pinakothek München.

Auf Tournee – Anna Bon in Bayreuth

Nach ihrer Ausbildung in Venedig schloss sich Anna Bon um 1755 der Operntruppe ihrer Eltern an und trat vermutlich gemeinsam mit ihnen bei Gastspielen in Regensburg und Frankfurt auf. Den eigentlichen Beginn ihrer Karriere markierte jedoch ihr Aufenthalt am Bayreuther Hof. Dort hatte die Regentschaft des kunstaffinen Markgrafenpaares Wilhelmine und Friedrich zu einer Blütezeit des Musiklebens am Hof geführt. Nach einem Intermezzo von Anna Bons Mutter Rosa Ruvinetti-Bon berichtete die Markgräfin ihrem Bruder Friedrich etwas enttäuscht: „Die Rosa, die einmal in Berlin war, ist hier … und es scheint mir, dass sie ein wenig schlechter geworden ist.“

Dennoch wurde die Truppe engagiert. Annas Mutter wirkte als Sopranistin bei Opernaufführungen, unter anderem im neu errichteten Markgräflichen Opernhaus. Ihr Vater Girolamo trat eine Stelle als Professor für Architektur und Perspektive an der von Friedrich neu ins Leben gerufenen Kunstakademie an. Anna selbst wurde von der musikbegeisterten Markgräfin gefördert. Die Fürstin verlieh unter anderem eines ihrer Cembali an die Familie Bon. Die gedruckten Hofkalender und Libretti verraten uns zwar nichts über die Tätigkeit Annas am Bayreuther Hof, doch ist anzunehmen, dass sie als Sängerin und Cembalistin bei Kammerkonzerten und in der Oper musizierte.

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Altes Musikzimmer im Neuen Schloss Bayreuth, © BSV.

Unterhaltsame Kammermusik – Die Kompositionen von Anna Bon

In Bayreuth komponierte die „Kammervirtuosin“ (so ihre Eigenbezeichnung auf den Titelblättern ihrer Notenausgaben) nicht nur ihre ersten eigenen Werke, sondern veröffentlichte diese auch in gedruckter Form – höchst ungewöhnlich für eine junge Frau in der Mitte des 18. Jahrhunderts! Mit nur sechzehn Jahren erschien die bereits erwähnte Sammlung von sechs Sonaten für Traversflöte mit Begleitung von Cembalo oder Violoncello. Die Stücke waren dem Markgrafen Friedrich gewidmet, dem „erste[n] Fürst, welchem ich als Stipendiatin zu dienen das Glück habe“ – so Anna Bon im Vorwort des Hefts. Wie der gleichnamige preußische König (der Bruder der Markgräfin) spielte auch Friedrich selbst mit Begeisterung Flöte. Dass die Widmung an ihn mehr als nur Formsache war, belegt der Hinweis der Komponistin in der Präambel: „Wenn sie jedoch einige Passagen bemerken sollten, die für die Flöte unbequem sind, dann möge Ihre Durchlaucht verzeihen, weil mein Instrument das Cembalo ist und mir die Feinheiten und der leichte Umgang mit jenem nicht immer geläufig sind.“

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Den Flötenstücken folgten im Jahr darauf sechs Cembalosonaten, die Ernestine Auguste Sophie von Sachsen-Weimar-Eisenach gewidmet waren. Die junge Nichte des Markgrafen wuchs als Waisenkind am Bayreuther Hof auf und war etwa gleich alt wie Anna Bon. Wie diese konnte sie mehrere Instrumente spielen, darunter auch Cembalo.

Cembalosonate Op. 2 No. 1 in g-Moll, 1. Satz (Allegro), komponiert von Anna Bon 1757, Florian Schröter (Klavier).

Mit 19 Jahren schrieb Anna Bon schließlich sechs Divertimenti – unterhaltsame Stücke für zwei Flöten und Begleitung – die sie dem Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz widmete. Anna Bons Kompositionen entstanden in einer musikalischen Umbruchszeit: In ihrer Grundstruktur noch dem Generalbass-Satz der Barockzeit verpflichtet, deutet sich besonders in den gesanglichen Melodielinien schon der Beginn der frühen Klassik an. Dieser sogenannte „galante Stil“, auch als „musikalisches Rokoko“ bezeichnet, ist bei Anna Bon besonders vom Gesangsstil der italienischen Oper und von zahlreichen improvisierten Verzierungen geprägt.

Spurlos verschwunden? Anna Bon nach 1758

Bald nach dem Tod der Markgräfin Wilhelmine im Jahr 1758 verließ die Familie Bon Bayreuth. Nach Auftritten in Wien und Pressburg (heute Bratislava) erhielt die Truppe eine feste Anstellung am Hof des Fürsten Esterhazy in Eisenstadt. Leiter der dortigen Hofmusik war kein geringerer als Joseph Haydn. Abgesehen von einer Kantate, in der die beiden Bon-Damen explizit als Solistinnen vermerkt waren, wird Anna jedoch nicht mehr namentlich genannt, sondern erscheint in den Quellen lediglich als „Tochter“.

Hauptstraße, Eisenstadt, Burgenland, Österreich

Schloss Esterhazy, © Bwag/CC-BY-SA-4.0.

Nach 1765 verlieren sich schließlich alle Spuren der Musikerin. Im Jahr 1767 soll sie an einem Hof im thüringischen Hildburghausen gastiert haben (so Ernst Ludwig Gerber in einem Lexikon von 1813). Keine Kompositionen, keine Dokumente geben mehr Aufschluss über ihren Verbleib. So bleibt es bis heute ein Rätsel, was aus dem einstigen Wunderkind Anna Bon wurde, deren verheißungsvolle Karriere am Bayreuther Hof begonnen hatte.

 


Literatur

Michaela Krucsay: Zwischen Aufklärung und barocker Prachtentfaltung. Anna Bon di Venezia und ihre Familie von „Operisten“, Oldenburg 2015.

Irene Hegen: Neue Dokumente und Überlegungen zur Musikgeschichte der Wilhelminezeit. In: Peter Niedermüller und Reinhard Wiesend (Hg.): Musik und Theater am Hofe der Bayreuther Markgräfin Wilhelmine. Symposion zum 250-jährigen Jubiläum des Markgräflichen Opernhauses am 2. Juli 1998, Mainz 2002, S. 27–57.

Irene Hegen: Anna Bon di Venezia. Eine verschollene Komponistin entdecken. In: Annäherung VII – an sieben Komponistinnen, hg. von Clara Mayer, Kassel 1996.

 

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