Vor 300 Jahren Anfang, Februar 1723, traf der Würzburger Baumeister Balthasar Neumann mit einigen Planrollen unter dem Arm in Paris ein, um die gerade im Bau befindliche neue Residenz Würzburg mit den ersten Architekten Frankreichs zu diskutieren. Natürlich weckte die Seine-Metropole auch das Shopping-Fieber bei Neumanns Dienstherr Johann Philipp Franz von Schönborn…
Eigentlich sollte Balthasar Neumann schon gleich nach der Grundsteinlegung der Residenz Würzburg (22. Mai 1720) eine „Fortbildungsreise“ ins Ausland unternehmen, um seine Kenntnisse in der Architektur und Ingenieurskunst zu vervollkommnen. Aber immer wieder zögerte sich die Abreise aufgrund seiner unabdingbaren Aufsicht über die Riesenbaustelle am Rande des Würzburger „Bischofshuts“ hinaus. Erst zu Beginn des Jahres 1723 ergab sich für den fränkischen Architekten ein kurzes Zeitfenster von 3 Monaten um Würzburg zu verlassen, wobei es sich nun weniger um eine freie Studienreise handelte.
In Paris sollten die in langen Nächten ausgezirkelten Entwürfe zur neuen fürstbischöflichen Residenz Würzburg auf Wunsch des bauwütigen Fürstbischofs mit den königlichen Architekten Robert de Cotte und Germain Boffrand besprochen werden. Ungeduldig verlangte Johann Philipp Franz von Schönborn ausführliche Berichterstattung über jeden Schritt und Tritt seines Architekten während der von ihm finanzierten Reise. Ein Glücksfall für uns heute, da Balthasar Neumann in 19 Briefen an den Fürstbischof akribisch seine Reiseeindrücke von Würzburg nach Paris notiert hat und wir so einen faszinierenden Eindruck von der deutschen und französischen Baukunst Anfang des 18. Jahrhunderts durch die Augen eines Architekten bekommen.
Über „gar übeln wegs“ kam Neumann am 11. Januar 1723 von Würzburg in Mannheim an und begutachtete ausführlich den gerade entstehenden Schlossbau dort, wobei er gleich „mit daßigem Capitän [über] das tachs halber viel gesprochen [hat]“.
Auch die mitgebrachten Würzburger Planungen wurden vom dortigen Bauherrn, Kurfürst Karl III. Philipp, „mit Vergnügen gesehen undt darinnen bey trey viertel stundt aufgehalten“. Nach einem knappen Zwischenstopp in Phillipsburg erreichte Neumann kurze Zeit später Bruchsal, wo er die dortige Schlossbaustelle besichtigte und seine „undterthänigst […] wenige meinung“ dem Bauherrn Damian Hugo von Schönborn referierte. Am 17. Januar meldete der fränkische Baumeister die Begehung der Fortifikation in Straßburg, reiste aber sogleich nach Saverne (damals Zabern), Luneville und Nancy weiter, nicht ohne die dortigen Schlösser eingehend unter die Lupe genommen zu haben, wobei er hoffentlich nicht seinen 36. Geburtstag am 27. Januar vergessen hat. So war Balthasar Neumann schon vor seinem Eintreffen in Paris Ende Januar mit den neuesten Architekturauffassungen den französischen Schlossbau betreffend vertraut.
Wie stark die Metropole Paris den Würzburger Baumeister beeindruckte, geht schon aus seinem ersten Brief vom 7. Februar 1723 hervor: „daß Erste mahl wohl umb gesehen undt die grosse gebauhte, waß Kirchen seindt von innen undt aussen, auch schon etliche palest nicht nur aussen sondern ihr distribution auch innen gesehen.“ Natürlich war aber der Höhe- und Glanzpunkt für Neumanns Reise – wie für jeden Architekten des Barock – das Schloss und der Park Versailles. Dort hatte er Gelegenheit zu tieferen Einblicken: „Ihro Majestät den König [Ludwig XV.] speißend gesehen […] undt die gallerie [Spiegelgalerie] nebst denen Apartementen auf der seiten, woh die Haubt undt schöne stigen ist, [Gesandtentreppe, heute nicht mehr existent], gesehen, undt so viel die Zeit gelitten, bedracht.“ Den geborenen Ingenieur Neumann zog es gleich „nacher Marli undt die Wasser Machine“, die damals schon weit über die französischen Grenzen hinaus als technisches Wunderwerk bekannt war. Das hölzerne Wasserhebewerk für die Wasserkünste in Versailles faszinierte Balthasar Neumann so stark, dass er „verwichenen Montags das zweite mahl zu Marly undt bey dasiger wasser Machinen geweßen [war], die ich aus dem fundament gefasset undt notiret“. (Brief vom 15. Februar 1723 wie folgende Zitate)
Gleichzeitig startete Neumann mit dem königlichen Architekten Robert de Cotte und dessen Sohn den vom Fürstbischof gewünschten Diskurs über die Planungen der Residenz Würzburg, „daß er sich megte die mühe geben undt sein Sentiment darüber geben.“ Der sich nun über Wochen hinziehende Architekturdisput gehört sicherlich zu den interessantesten Phasen der Würzburger Residenzplanungen. „Mann sehete wohl, daß es viel auf die Italienisch manier undt etwaß teutsches dabey wehre“, berichtet Neumann seinem Fürstbischof über die Kritik der französischen Kollegen, die sich vor allem an der Innenraumaufteilung, dem damals noch doppelten Treppenhaus und den zu kleinen Appartements entzündete. Aber es blieb nicht bei mündlichen Korrekturen: Neumann sollte de Cotte einen Grundriss zur Verfügung stellen „daß wan er einen in bley gezeichneten, grundt Hette wolte er seine gedanckhen darinnen machen.“ Da Neumann keine Unterstützung für die Anfertigung der Plankopien finden konnte, hat er – jeder Architekt kennt das – „kurtzen proceße gemacht undt mit der nacht hilf die 2 grosse grundtrisse verfertiget undt nacher Versailie überbracht“.
Neben den anstrengenden Architekturdiskussionen hatte Balthasar Neumann vom Fürstbischof den Spezialauftrag bekommen, einige der modernsten – und dabei kostenträchtigsten – Kutschen und Einrichtungsgegenstände in Paris einzukaufen. Intensive Verhandlungen um den Kaufpreis (über 31.000 fl.) und den sorgsamen Transport von drei Prachtkutschen voll mit Möbeln, Spiegelrahmen und Bronzen nach Würzburg beschäftigten den fränkischen Baumeister über Wochen: „Ich verhofte, das mit den bahren gelt, was es bis auf strassburg Kosten würdte, noch marchantiren werte, glaubte ohne unterthänigste maasgebung das manns alda zu wasser laden undt so fort nacher Würtzburg bringen wirdt können.“ (Brief vom 17. Februar 1723)
Anfang März 1723 arbeitete Neumann immer noch mit Robert de Cotte an Änderungen der Grundrisse zur Residenz Würzburg, formulierte nun aber sichtlich selbstbewusster „in vielen sachen meine gegenmeinung“. Erst am 22. dieses Monats berichtete Neumann an den Fürstbischof „daß letztere mahl meine sache mit Monsie de Cotte zum Ende gemacht undt selbiger mir die 3 risse eingehendiget.“ Noch nicht am Ende war er allerdings mit dem Architekten Germain Boffrand, mit dem Neumann „freyer umbgehe“ und der sogar im Juli des Folgejahrs 1724 Würzburg besuchte. Bis April 1723 zogen sich die Beratungen zu Fassadengestaltung, Innenraumdisposition und Geschossaufteilung zum Würzburger Schlossprojekt hin, zwischendrin schob Neumann noch einen Kurztrip nach Fontainebleau ein. Nachdem alle Einkäufe verpackt und sich auch langsam die Reisekasse leerte, kündigte Neumann in seinem letzten Brief aus Paris am 14. April 1723 seine Rückreise nach Würzburg an, wo er Anfang Mai eintreffen möchte. Sichtlich begeistert schreibt er dem Fürstbischof, dass er „daß Erste mahl die Wässer in Versailie habe alle springen sehen, welches mich noch vor meiner abreiß sehr verknüget, anheind solches zu Marly geschehen solle, allwohin ich auch gesint bin zu gehen. Undt morgen, wils Gott, von Hier abreiße.“
Literatur
LOHMEYER, Karl: Die Briefe Baltasar [!] Neumanns von seiner Pariser Studienreise 1723. Düsseldorf 1911.
FRIEDRICH, Verena: Die Parisreise Balthasar Neumanns zu Anfang des Jahres 1723. In: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 58 (2006), S. 45-82.
Online-Resource der transkribierten Briefe: Architrave
Titelbild: Balthasar Neumann portraitiert von Giovanni Battista Tiepolo im Treppenhausgewölbe der Residenz Würzburg