Lässig hingestreckt auf honiggelben Polstern lässt sich die schöne Orientalin auf diesem Bild aus der Gemäldesammlung der Residenz ein Tässchen Kaffee reichen. Ihre vornehme Blässe verrät den in 1001 Nächten geschulten Augen des Betrachters, dass die exotische Beauté niemals gezwungen ist, unter der stechenden Sonne Konstantinopels zu arbeiten, sondern im angenehmen Halbschatten der Haremsgemächer müßig gehen und sich am Aroma des elegant gehaltenen Miniaturpfeifchens berauschen darf – die Gewogenheit des Sultans und jede Menge Sklaven, wie die Dienerin, die kniend Kanne und Tasse offeriert, machen’s möglich…
Natürlich ist dieses osmanische „Dolce far niente“ kein Abbild einer historischen Wirklichkeit, sondern eine Projektion westlicher Künstler des 18. Jahrhunderts – besser: eine modische Verkleidung für die hier porträtierte Dame, eine der großen Aufregerinnen ihrer Epoche. Hinter der Maske der „Sultana“ blickt Jeanne-Antoinette Poisson (1721-1764) hervor, verheiratete Madame Le Normant d’Étiolles, aber international besser bekannt unter ihrem Titel als Marquise de Pompadour. Früh erreichte die schöne Jeanne ihr ehrgeizig und zäh verfolgtes Ziel, die erklärte Favoritin, die „Maitresse en titre“ des französischen Königs Ludwig XV. (reg. 1715-1774) zu werden, Beiname: „Le Bienaimé“ – der Vielgeliebte (!). Mehr noch – Es gelang ihr, diese einflussreiche (und heiß umkämpfte) Position auch über das Ende der körperlichen Beziehung hinaus bis zu ihrem frühen Tuberkulose-Tod zu halten und bis dahin zahllose Titel, Güter und lukrative Posten für sich und ihre dauerhungrige Familie zu ergattern.
Daneben fungierte „die Pompadour“ nicht nur zeitweise als selbsterklärte Haupt-Außenpolitikerin des Versailler Hofes, sondern auch (wesentlich erfolgreicher übrigens) als stete Förderin von Kunst, Literatur und Mode – keine gekrönte Herrscherin, aber die wahre Königin des französischen Rokoko! Dass die royale Maitresse jeden tagesaktuellen Trend entweder lancierte oder mitmachte, zeigt ihr „Rollenporträt“ als osmanische Sultana: Seit der Eroberung Konstantinopels durch die Türken im 15. Jahrhundert faszinierte die Kultur des Orients die von diesem Ansturm geschockten Höfe West- und Mitteleuropas, gerade auch in Frankreich, wo man es nicht ungern sah, dass die Abwehr der vordrängenden Türken den ewigen politischen Gegner, das Haus Habsburg, an seiner Ostgrenze dauerhaft beschäftigte! Kontakte mit der „Hohen Pforte“ – der osmanischen Regierung – gab es dabei zu allen Zeiten. Als aber 1742 eine Gesandtschaft Mahmuds I. ihren besonders prächtigen Einzug in Paris hielt, gab es dort kein Halten mehr:
Eine wahre „Turcomanie“ brach aus! Alles, was vom fernen Bosporus an die Ufer der Seine schwappte, war „chic“ und „dernier cri“ und wurde von der Kaffeekultur über die Kleidung bis zur Einrichtung wenn auch nicht immer verstanden, so doch begeistert nachgeahmt.
Und so schlüpften die Damen der Aristokratie, auch die Töchter Ludwigs XV., gern aus Reifrock und starrer Parure in die zugegebenermaßen deutlich bequemere orientalische Gewandung und vertieften sich in die jüngsten Reisebeschreibungen aus dem fernen Orient. Madame de Pompadour stand mit an der Spitze dieser Modebewegung: In ihrem Lustschloss Bellevue hoch über dem Seine-Ufer bei Meudon (das leider im 19. Jahrhundert zerstört wurde) richtete sie ihr Schlafgemach 1754 als üppig-exotische „Chambre à la turque“ ein. Der beliebte Gesellschaftsmaler Carle van Loo (1705-17065) schuf die Bilder über den drei Türen: Sie zeigten außer der Schlossherrin als Haremsdame noch „Zwei Odalisken beim Sticken“ sowie eine weitere Schönheit, die ein Saiteninstrument traktierte.
Der Pfiff dieses bald hochberühmten Serails im Kleinen lag natürlich darin, dass die Geliebte des Königs zwar nicht den regierenden Sultan Osman III. hierhin entführte, dafür aber ihren Louis und als dessen erklärte „Lieblingsfrau“ eine ähnliche, nämlich legitime Stellung in Anspruch nahm, wie die – zahlreichen – Gemahlinnen des osmanischen Herrschers. Die konkrete Inspiration für die Gewandung, in die Van Loo die Marquise steckte, dürfte ein Theaterkostüm gewesen sein, das die Pompadour, eine begeisterte Laien-Schauspielerin, 1748 in dem von ihr initiierten Privattheater in Versailles ihrem royalen Bewunderer präsentiert hatte.
In dem Stück „Tancrède“, einem weiteren Produkt der „Turcomanie“, entzückte sie in einem Dolman (eine Art Jacke) aus kirschroter Seide, einem goldgestickten Rock aus blauer Seide und – Hosen! Diese letzte Verruchtheit ist zudem durch erhaltene Inventare ihrer Kleiderkammer belegt, die die Existenz der sündhaft erotischen Beinkleider bestätigen! Nach dem Tod der Pompadour erwarb Zarin Katharina II. von Russland die Bilder, die (das dritte ist verschollen) heute noch in der Gemäldesammlung der Eremitage in St. Petersburg zu sehen sind. Die Münchner Version ist hingegen eine gute zeitgenössische Kopie. Doch wie gelangt sie in die Residenz? Dort frönte man zwar auch schon seit dem 17. Jahrhundert der Vorliebe für alles Orientalische, allerdings auf eher martialische Art und Weise: In den 1680 Jahren ließen sich die bayerischen Kurfürsten vornehmlich als heldenhafte Bezwinger der Osmanen in den kaiserlichen Türkenkriegen verherrlichen.
Und tatsächlich entstand unsere Van Loo-Kopie auch nicht ursprünglich für den Münchner Hof, sondern wohl im Auftrag eines nahen Nachbarn und intimen Freundes der Pompadour: Herzog Christian IV. von Pfalz-Zweibrücken (1722–1775). Der unterhielt schon seit 1750 gute Kontakte zu der Favoritin (und durch sie zu Ludwig XV.) – eine klassische Win-Win-Beziehung: Schließlich war absehbar, dass dieser Spross einer (noch) Nebenlinie der pfälzischen Wittelsbacher in Bälde die Herrschaft nicht nur in der Kurpfalz, sondern auch in Bayern antreten und dann ein ziemliches Schwergewicht im benachbarten Reich sein würde.
Bei regelmäßigen Besuchen Christians in Versailles, aber auch brieflich konnte sich die Pompadour mit ihrem „cher ami“ über alles Mögliche austauschen – Klatsch, Politik, aber auch Kunst und Architektur: So vermittelte sie Künstler in das kleine Herzogtum und übersandte ihm für seine eigenen Zweibrücker Bauprojekte die Pläne ihres zeitweiligen Lieblingsaufenthalts Bellevue. Möglich, dass Christian IV. vor diesem Hintergrund die Gemälde des originellsten Raums dieses Schlosses kopieren ließ – als vielsagendes Kompliment an die Adresse der einflussreichen Freundin. Aus Christians Hinterlassenschaft gelangte das Pompadour-Porträt Ende des 18. Jahrhunderts mit seinem Neffen und Erben, dem späteren König Max I. Joseph (reg. 1799-1825), nach München. Vermutlich war es auch Max Joseph, der das Bild zusammen mit seinem Pendant in den barocken Steinzimmern der Residenz anbringen ließ. Dort ist es auf historischen Fotografien des späten 19. Jahrhunderts im „Zimmer der Ewigkeit“ dokumentiert, das damals als Arbeitsraum des Prinzregenten Luitpold diente.
An sich hätte eine französische Königsmaitresse in diesem Rahmen wenig Sinn gemacht. Aber bereits Max Joseph war bestrebt, die altertümlichen Gemächer für sich in ein modernes Staatsappartement umzuwandeln und mit Tapisserien und Möbeln aus Zweibrücker Besitz als Domizil der „neuen“ Wittelsbacher auszustatten. Und auch noch Max Josephs Urenkel Ludwig II. sollte sich als begeisterter Fan der Pompadour erweisen: Nicht nur ließ er Darstellungen der berühmten Maitresse in seinen Schlössern verteilen und sie in den berühmten „Separat-Vorstellungen“, etwa seinem Lieblingsstück „Narziss“, auftreten – Ludwig ließ auch eine Kopie eines weiteren Kunstwerks anfertigen, das mit dem Namen der schönen Jeanne verknüpft ist: Ein herrliches Schreibzeug aus Sèvres-Porzellan, das auf Anregung der Marquise angefertigt und als Geschenk für den Mannheimer oder aber den Zweibrücker Hof in die Wittelsbacher Sammlung gelangte.
Als freie Nachschöpfung des 19. Jahrhunderts ist es heute in Schloss Linderhof, im Original aber – zusammen mit dem orientalisierenden Rollenporträt der Auftraggeberin – in der neuen Porzellanausstellung im Königsbau der Residenz zu bewundern!