Keine öffentlichkeitswirksame Grundsteinlegung oder Bekanntmachungen zeichneten den Beginn der Bauarbeiten zu Schloss Linderhof im Jahr 1870 aus. Erst nach und nach drangen Geschichten, Details oder auch fantastische Sensationsnachrichten aus dem einsamen Graswangtal an die interessierte Öffentlichkeit. Ende 1872 wird von einem Abschluss der königlichen Bauten in den Gazetten gesprochen, den wir zum Anlass einer kleinen Presserückschau nehmen.
König Ludwigs Startschuss zum Bau des Schlosses Linderhof im Graswangtal fand in aller Heimlichkeit im September 1870 statt. Was und in welchem Umfang dort gebaut werden sollte, war auf Wunsch des Königs keinesfalls für die Öffentlichkeit gedacht, aber – kaum verwunderlich – auf lange Sicht natürlich nicht zu verbergen. Die häufigen Aufenthalte des Monarchen an diesem seinem Lieblingsort fielen den wachsamen Lesern der bayerischen Amtsblätter schon recht bald auf: „Der Linderhof ist seit einiger Zeit in die Reihe der Orte getreten, von denen aus häufig königl. Verfügungen datirt [!] sind“ (Didaskalia vom 25.09.1872)
Dass sich dort aber im einsamen Linderhof größere landschaftliche Umgestaltungen ankündigten, konnte man außerhalb Bayerns über mehrere Annoncen der Bozener Zeitung bereits ab Juni 1870 erfahren, in denen „fleißige Arbeiter zu Erdarbeiten“ gesucht wurden. Die Requirierung tatkräftiger Hilfe in Südtirol war sicherlich erfolgreich und gleichzeitig viel weniger Aufsehen erregend als eine Veröffentlichung in lokalen bayerischen Zeitungen.
Im November 1870 – während der Verhandlungen zum deutschen Kaiserreich und dem damit einhergehenden Verlust der bayerischen Souveränität – berichtete das Wiener Fremdenblatt von der schwierigen Kommunikation der Minister mit König Ludwig II. „da nicht jedem Sterblichen das Glück gegönnt ist, den Monarchen in seiner Gebirgs-Idylle stören zu dürfen, insbesondere auf dem Linderhof, den zu erreichen nur mit dem steilen Wege ganz betrauten Personen und Pferden möglich ist. Hier, in dem einfachsten Maierhofe, den eine alte Frau seit Jahren verwaltet, bewohnt der König ein fast ärmlich eingerichtetes Stübchen. Die alte „Burgfrau“, wie sie die Gebirgler scherzend nennen, erfreut sich der besonderen Aufmerksamkeit des Monarchen.“ (Fremdenblatt vom 07.11.1870)
Das erwähnte „ärmlich eingerichtete Stübchen“ des Königs sollte schon bald mit einem prachtvoll ausgestatteten Anbau erweitert werden.
Die Geheimniskrämerei um das was nach den Wünschen König Ludwigs II. wirklich in Linderhof entstehen sollte, spornte die Phantasie der Redakteure gehörig an. Kein Wunder, dass bald schon durch „Leaks“, pikanterweise durch die vom König zum Stillschweigen verpflichteten Architekten und Künstler, Genaueres für die wissenshungrigen Leser in Bayern und weit darüber hinaus bekannt wurde: „Auf Anordnung des Königs von Bayern sind vom k. Bezirksingenieur Dollmann Pläne entworfen worden, nach welchen in Linderhof ein Lustschloß, und zwar speziell nach der Bauart des Versailler Schlosses, demnach im Style Ludwig’s XIV., geschaffen werden soll. Die angefertigten Pläne zeigen ein auszuführendes Schloß, eine Kirche, eine Orangerie, ein Schauspielhaus ec. Oestlich und westlich von diesen werden sowohl prachtvolle Garten- als Wasseranlagen eingerichtet.“ (Fremdenblatt vom 25.08.1871) Für die vom nationalen Gefühl geprägte Öffentlichkeit – kurz nach dem Sieg über Frankreich und der Gründung des deutschen Kaiserreichs in Versailles im Januar 1871 – war es sicher nicht so leicht verdaulich, über den Bau eines Schlosses „im Styl Ludwigs XIV“ in den bayerischen Alpen lesen zu müssen. Dieses von Ludwig ersehnte Neu-Versailles – ab 1868 bis 1873 noch für Linderhof geplant – wurde bekanntlich ab 1878 auf der Herreninsel im Chiemsee realisiert.
Derweil gingen die Arbeiten am ersten Anbau des Königshäuschens fleißig weiter und Ludwig konnte im September 1871 die Hauptdarsteller des Oberammergauer Passionsspiels in Linderhof begrüßen „in dessen unvollendeten Räumen der jugendliche Herrscher unter Maurer- und Zimmermannslärm einige Tage nur seinen Oberammergauern zu Gefallen Fürlieb genommen hat.“ (Bayerischer Kurier 08.10.1871) Langsam machten sich erste Berichterstatter auf um in Erfahrung zu bringen, was im Graswangtal unter König Ludwigs Zepter vor sich ging. Im Januar 1872 erschien in der Landshuter Zeitung ein Artikel, überschrieben mit „Ein stiller Königssitz“, in dem über die beschwerliche Reise zum Linderhof und was es dort zu sehen gibt, berichtet wird: „Da war ich nun bei dieser poetischen Einsiedelei unseres Königs, von der man so manches Wahre und Unwahre hört, wo bald ein Schloß im Stil von Versailles hinzugebaut werden soll, bald eine andere Rittergeschichte erzählt wird, die aber zweifelsohne die eigenthümlichste Sommerwohnung ist, die sich je ein Fürst, der doch über andere Häuser und auch andere Gegenden gebieten könnte, ausgesucht hat.“
Was sich aber im Inneren des „ausgeprägt einfachen Linderhofs“ befindet, lüftete erst die mit internationaler Leserschaft bekannte „Allgemeine Illustrirte Zeitung Ueber Land und Meer“ in ihrer Märzausgabe des Jahres 1872: „An den Decken werden Oelgemälde mehrerer bekannter münchner Künstler, welche Szenen aus der Hofhaltung Ludwig’s XIV. behandeln, eingelassen, wie denn der ganze Innenbau eine Glorifizierung dieses prachtliebenden Monarchen bildet. Wände und Möbel strotzen von Gold und eben ist eine Anzahl von Stickern und Stickerinnen mit den schweren Goldstickereien beschäftigt, welche das Bett König Ludwig’s II. dem sogenannten reichen Bette in den Kaiserzimmern Karl’s VII. würdig zur Seite stellen sollen. Was das bedeuten will, begreift sich, wenn man weiß, daß zu jenem alten Prachtbette einige Centner Gold verwendet wurden und die Stickerei auf carmoisinrothem Sammet auf 800.000 fl. geschätzt wird.“ Neben der Innenausstattung steigern sich Ludwigs Planungen für den Schlosspark zu einem „neuen Theater, dessen Bau jetzt projectirt wird, und zwar an einem Orte, weltverloren genug, um unbehelligt von der Neugier des Publicums und indiscreter Kritik auch der bizarrsten drammaturgischen Laune die Zügel schießen lassen zu können.“ (Die Presse vom 27.03.1872)
Die Umsetzung des „so einzig, so seltsam und so verlockend“ erscheinenden Plans scheiterte bekanntlich aufgrund der horrenden Kosten, weshalb die heutigen Besucher des Linderhofs ein wunderschöner Venustempel an Stelle eines Theaters erfreut.
Die mannigfaltigen Projekte des Königs für das stille Graswangtal erzeugten nicht nur ungeteilte Zustimmung: „Aber darum sollte auch nicht mehr hereinkommen in diese liebliche Idylle, als was schon vorhanden ist: schon der Anbau stört, der neben dem Hause aufgeführt wird, selbst die Feldkapelle, die dort in der Nähe der Linde steht, ist in ihrem Schmuck der schönen Glasmalerei zu reich für die ländliche Umgebung, aber ein Schloß im Styl von Versailles hierher zu bauen, wie die Rede geht, das heißt Ort und Verhältnisse gänzlich verkennen, das würde den Linderhof geradezu allen Reizes entkleiden.“ (Über Land und Meer, 01.06.1872)
Auch in München konnte man Neues über die Ausstattung von Schloss Linderhof erfahren: „Wir haben einzelne wahrhaft kunstvolle Meubles in Rokoko gesehen, die bei hiesigen Meistern gefertigt wurden und nach dem Linderhof bestimmt sind. Vor Allem war es ein Pianino-Aedolikon [!] aus der Hofpianofabrik von Schramm in München, das unsere höchste Bewunderung erregte.“ (Didaskalia vom 25.09.1872)
Ende 1872 überrascht die Nachricht, dass der Bau in Linderhof plötzlich fertiggestellt wäre, die neugierigen Leser: „Die seit letzter Zeit in Angriff genommenen Neubauten sind nunmehr vollendet: zur speziellen Benützung durch den König und dessen nächste, bei solchen Gelegenheiten sehr kleine Umgebung sind 9 Zimmer bestimmt, welche im Zopfstyle gehalten, in künstlerischer Beziehung als höchst gelungen bezeichnet werden, und sollen dieselben bei einer durch gegen 300 Kerzen geschaffenen Beleuchtung einen wundervollen, feenhaften Anblick gewähren. Sämmtliche Einrichtungen wurden auf spiezielle [!] Anordnung des König ausgeführt.“ (Straubinger Zeitung vom 18.12.1872)
Bekanntlich war der Schlossbau in Linderhof damit aber noch lange nicht fertig, sondern für den König nur ein Etappenziel zu seinem Wunsch-Linderhof erreicht. Trotzdem stellte der Bauzustand Ende 1872 zeitlebens für Ludwig II. einen bedeutenden Markstein seiner Lieblingsresidenz dar, den er prominent in einem Suppraportenbild auf dem Schachen festhalten ließ: Ein idyllisches Linderhof, von außen kaum unterscheidbar von den anderen alpin geprägten Bauten dort, „von aller Welt völlig abgeschlossen, in einer Wildniß liegend“ (Tiroler Zeitung vom 18.12.1872).
Titelbild: Das Königshäuschen mit Anbau in Linderhof im Jahr 1871. Aquarell von Leopold Rottmann. Benediktinerabtei Ettal