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Unsere Themenwoche KOPFBEDECKUNGEN – Ein Gastbeitrag zur „Trachtenmode“ im 19. Jahrhundert

Trachtenhut bnm

In dieser Woche dreht sich bei uns alles rund um das Thema „Kopfbedeckungen“. Anlass ist die spektakuläre Sonderausstellung „HAUPTSACHE“ des Bayerischen Nationalmuseums. Wir zeigen auf unseren Social Media Kanälen ergänzend zu den beeindruckenden Kopfbedeckungen aus der Ausstellung Exponate aus unseren Häusern und erzählen ihre gemeinsamen Geschichten. Dr. Johannes Pietsch, Kurator der Sonderausstellung „HAUPTSACHE“, nimmt uns nun mit auf eine Reise ins 19. Jahrhundert. Wir blicken auf die damalige Trachtenmode, von der sich auch die Wittelsbacher gerne inspirieren ließen.


Ein Gastbeitrag von Dr. Johannes Pietsch, Kurator für Textilien am Bayerischen Nationalmuseum //

anton müller trachtenhut bnm

Schwarzer Filzhut, Anton Müller, München, um 1870/90

Der Damenhut aus schwarzem Wollfilz ist um 1870/90 zu datieren (siehe Titelbild). Mit seinem konischen, oben abgeflachten Kopf und breiter, ringsum leicht nach unten gewölbter Krempe gleicht er Exemplaren, wie sie etwa bei den Frauen im Tiroler Zillertal gebräuchlich waren. Ebenso lässt die dreimal um das Kopfteil gelegte schwarze Wollflechtschnur, die in der hinteren Mitte in einem Knoten und zwei Goldquasten endet, an das Produkt eines ländlichen Hutmachers denken. Dagegen verrät das eingeklebte Papieretikett, dass dieser Hut von Anton Müller in der Münchner Lilienstraße 64 gefertigt wurde. Darüber hinaus deuten das pinkfarbene Seidenfutter und die Krempeneinfassung aus feinem schwarzem Seidensamt ebenfalls auf die städtische Herkunft hin. anton müller trachtenhut bnm innenseiteUnd am ledernen Schweißband wurde eine lange Schlaufe aus brauner Baumwolltresse zur Befestigung des Hutes in der Frisur angebracht – gleichfalls ein Zugeständnis an die damals aktuelle Mode.

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Marie von Preußen in ihrem Lodengewand. Ernst Wilhelm Rietschel, Aquarell/ Papier, 1847 © Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Geheimes Hausarchiv, Wittelsbacher Bildersammlung, Königin Marie III 6/10

Der schwarze Filzhut ähnelt aber auch dem Modell, das Königin Marie von Bayern (1825–1889) als Teil ihrer selbstentworfenen Bergsteigerkluft trug und dadurch gesellschaftsfähig machte. Denn auf ihren ausgedehnten Wanderungen, die sie so liebte, brauchte sie eine zweckmäßige Ausstattung. Dabei war die Gestaltung des Hutes an Ausführungen angelehnt, die unter der Landbevölkerung üblich waren.

Dies entsprach durchaus den Gepflogenheiten der Wittelsbacher, die sich auch bei ihren Jagdgewändern von der ländlichen Kleidung in den bayerischen Gebirgsregionen inspirieren ließen. Frühe Fotografien etwa vom späteren Prinzregenten Luitpold (1821–1912) oder von Maries Gemahl König Maximilian II. Joseph (1811–1864) in Jagdmontur belegen diesen Gewandstil.

König Maximilian II. Joseph (1811-1864) in Jagdmontur, Hanfstaengl, Fotographie ca.1860

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Jagdhut von König Max II. Joseph, BNM

Einen Jagdhut von König Maximilian II. bewahrt das Bayerische Nationalmuseum. Wie es sich für einen Monarchen geziemt, ist der Hut mit feinstem Seidengewebe gefüttert und mit der goldgedruckten Initiale Maximilians unter der Königskrone versehen. Maximilian II. – der Gründer des Bayerischen Nationalmuseums – war es auch, der um die Mitte des 19. Jahrhunderts die wissenschaftliche Erschließung der bayerischen Geschichte und Volkskultur und damit jene der ländlichen Kleidung nachdrücklich förderte, nicht zuletzt durch die Herausgabe des fünfbändigen Werkes „Bavaria. Landes- und Volkskunde des Königreichs Bayern“ (1860–1867). Bereits zu seiner Hochzeit mit der preußischen Prinzessin Marie im Jahr 1842 waren 36 Brautpaare eingeladen worden, die in ihre „unverfälschten einheimischen Trachten“ gewandet waren und so dem höfischen Fest Lokalkolorit verliehen. Im Zuge der Besinnung auf traditionelle ländliche Kleidungsstile entstand eine regelrechte „Trachtenmode“ unter den Damen der höheren Gesellschaftsschichten.

In der Folge entdeckte das Bürgertum die „Sommerfrische“ für sich und verbrachte die warmen Wochen auf dem Land – bevorzugt im bayerischen Voralpen- und Alpengebiet. Diese Regionen wurden dann zunehmend touristisch erschlossen. Bei derartigen Aufenthalten gefielen sich die Urlauber in ländlicher Kleidung oder dem, was sie dafür hielten. 1883 wurde in Bayrischzell der erste „Gebirgstrachtenerhaltungsverein“ ins Leben gerufen, der bald andernorts Nachahmer fand. Dabei beschränkte sich dieses Phänomen nicht auf das bayerische Oberland, sondern griff auf weitere Landstriche und vor allem Städte über, in denen Trachten dieser Art nie zuvor getragen worden waren, wie etwa München, Neu-Ulm oder Nürnberg.

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Frau in trachtenartigem Kostüm, Fotografie, Atelier Anton Kraus, St. Joachimsthal, um 1895/1900. Privatbesitz

Solche Vereine trugen viel dazu bei, die Gebirgstrachten in Mode zu bringen.

So verwundert es nicht, dass ein „Trachtenhut“ auf einer Fotografie erscheint, die kurz vor 1900 in St. Joachimsthal – heute Jáchymov – im böhmischen Erzgebirge aufgenommen wurde, das damals zur Habsburgermonarchie gehörte. Zu sehen ist eine Dame wohl während der Sommerfrische, denn ihr Kostüm hat mit der dortigen Regionalkleidung nichts gemein. Sie trägt eine Art Dirndl mit Zierschnürung und Schürze, dazu einen Hut, der dem Modell im Bayerischen Nationalmuseum sowie dem Bergsteigerhut von Königin Marie verblüffend ähnlich sieht.

 


Die Sonderausstellung des Bayerischen Nationalmuseums „HAUPTSACHE“ läuft noch bis zum 30.04.2023. Große Empfehlung!