Geheimnisse

Eine Hofreitschule zum Geburtstag – oder der verschwundene Marstallplatz

Hofreitschule München Marstallplatz

Im 18. Jahrhundert entwickelte sich der Marstallplatz im Osten der Münchner Residenz zu einem neuen Zentrum der Fahr- und Reitkultur des Münchner Hofs. Auf einer Fläche, beinahe so groß wie die gesamte Münchner Residenz, waren hier die Stallungen, Wagenhäuser, Geschirr- und Sattelkammern und Wohnungen für das Personal untergebracht. Die Hofstallung aus dem 16. Jahrhundert, die zwischen dem Alten Hof und der Oper liegt, war längst zu klein geworden.

Im 19. Jahrhundert sollte der Marstallplatz zu einem repräsentativen Forum ausgebaut werden, denn auch die alte Reitschule am Odeonsplatz beim Café Tambosi war nicht mehr zeitgemäß. Die Planungen für eine neue Hofreitschule wurden keinem geringeren als dem Architekten Leo von Klenze (1784-1864) übertragen, der 1818 vom bayerischen König Max I. Joseph zum Hofbauintendanten berufen worden war. Ganz im Sinne des Klassizismus plante er eine neue, ideale Bebauung des Platzes.

Klenze Hofreitschule

Leo von Klenze: Idealplan zur neuen Hofreitschule am Marstallplatz, 1817. Staatliche graphische Sammlung München.

Die Hofreitschule sollte von zwei symmetrisch angelegten Palästen für die Pagen und das Oberststallmeisteramt so flankiert werden, dass mittig ein großer rechteckiger Platz entstand. Pferdeskulpturen auf hohen Podesten und Siegessäulen sollten den Eingang zu einer neuen Sommerreitschule rahmen. Den zentralen Abschluss bildete die Reitschule, die als einziges Bauwerk realisiert wurde, und deren Fassade Klenze auf Wunsch des „Central-Bau-Bureaus“ verändern musste:

So hatte er ursprünglich die Eingänge an die Schmalseiten gelegt, um eine entsprechende Wirkung beim Betreten der Halle zu erzeugen: „Dieses Gebäude muss als dem Monarchen und seinem Hofe, nicht aber als den Ställen und Pferden bestimmt erscheinen. Dasselbe finden wir nun auch in allen nennenswerten Reitbahnen befolgt.“ Alles Argumentieren nutzte nichts, Klenze musste nachgeben und die Eingänge an die Längsseiten verlegen.

Während er sich beim Dekor auf die Antike besann, machte er hinsichtlich der Gliederung und des städtebaulichen Zusammenhangs Anleihen bei der italienischen Renaissance: „Da es sich hier nicht um einen ganz freien Entwurf handelte, so entschloss ich mich zur Wahl des neurömischen und italienischen Baustiles als eines solchen, welcher mehr als die strenge Antike geeignet ist, Schwierigkeiten auf eine geschmackvolle Art zu umgehen.(Zitate aus: Leo von Klenze, Architekt zwischen Kunst und Hof 1784-1864, hrsg. von Winfried Nerdinger, 2000, S. 317f.)

Auch damals mussten die Architekten Kompromisse eingehen: Die beiden hohen Säulen, die den Eingang zur Sommerreitschule weit sichtbar markieren sollten, flankieren jetzt das große triumphbogenartige Portal. Die großen Pferdeskulpturen wurden zu Medaillons mit Pferdeköpfen reduziert (Bronzereliefs von Johann Martin von Wagner).

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Fassade der ehemaligen Hofreitschule. Foto: G. Szczepanek.

Die feierliche Grundsteinlegung fand am 27. Mai 1820, dem 64. Geburtstag des bayerischen Königs Max I. Joseph statt. Bereits zwei Jahre später war das Gebäude soweit, dass man die Jahreszahl 1822 in die Inschrift über dem Hauptportal einfügte. Komplett mit allen Details fertiggestellt wurde die Hofreitschule 1825.

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Blick ins Innere der Hofreitschule. Fotografie Carl Teufel, um 1890. WAF, Kgl. Bayer. Familienbibliothek.

Nach dem Ende der Monarchie und der Auflösung des Hofmarstalls wurde hier 1923 das erste Marstallmuseum eingerichtet. Der Tierbildhauer Theodor Kärner, der auch für die Nymphenburger Porzellanmanufaktur gearbeitet hat, fertigte acht weiße Pferdemodelle für das repräsentativste Fahrzeug des Münchner Hofs: Die Prunkkarosse, mit der Kurfürst Karl Albrecht 1742 in Frankfurt am Main zu seiner Krönung als Kaiser Karl VII. einzog (heute mit den Pferden aus Pappmaché im Marstallmuseum in Schloss Nymphenburg).

Blick in das erste Marstallmuseum, 1923

Blick in das erste Marstallmuseum in der Hofreitschule von Klenze, 1923. Foto: BSV.

Aus politischen Gründen wurde das Marstallmuseum nicht lange in der Hofreitschule geduldet. Bereits 1936 gab es seitens der Nationalsozialisten erste Pläne, das Museum zu verlegen. Die Reitschule sollte der Reichsorganisation „Das Braune Band von Deutschland“ für Reitsportveranstaltungen überlassen werden. Ende 1939 wurde das gesamte Inventar des Marstallmuseums nach Nymphenburg verlagert. Rückblickend muss man von Glück im Unglück sprechen. Denn 1944 wurde die Hofreitschule durch Luftangriffe schwer beschädigt. Durch den Umzug des Marstallmuseums nach Nymphenburg war wenigstens ein Großteil des Inventars in Sicherheit gebracht worden.

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Ruine der Hofreitschule, Fotograf unbekannt, 1946. Bildarchiv Foto Marburg.

1950 wurde in der ehemaligen Leibpferdestallung von Schloss Nymphenburg das zweite Marstallmuseum eröffnet. Seit ein paar Jahren wird das Museum (bei laufendem Betrieb) neu strukturiert und gestaltet. Ein thematisch neuer Raum zur Entwicklung des Münchner Hof-Marstalls erzählt u.a. vom Entstehen des Marstallplatzes.

Heute ist der Platz kaum noch wiederzuerkennen: Während das Äußere der Hofreitschule 1969/70 rekonstruiert werden konnte, baute man den Innenraum nur provisorisch aus. Seitdem nutzt das bayerische Staatsschauspiel das Gebäude als Kulissenmagazin sowie als Experimentierbühne. Obwohl am Marstallplatz manches Gebäude den Krieg überstanden hat, fiel es Jahrzehnte später dem Modernisierungswillen zum Opfer. Lediglich die südlich der Reithalle liegende ehemalige Schulstallung wurde mit großem Aufwand erhalten, unterkellert und mit einer vorgesetzten Glasfassade versehen.

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Unterfangung der ehemaligen Schulstallung am Marstallplatz, rechts im Hintergrund die Hofreitschule. Foto: Christian Resch, Designposition.

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Glasfassade der ehemaligen Schulstallung neben der Reitschule von Klenze. Foto: G. Szczepanek.

Während die ehemalige Hofreitschule heute verkürzt als „Marstall“ (=Pferdestallung) bezeichnet wird, gibt es an der südlich gelegenen Schulstallung keinen Hinweis auf die ehemalige Nutzung als repräsentative Hofstallung. Man braucht schon etwas Fantasie, um im Kontext der jetzigen Einrichtung eines Restaurants noch die dreischiffige Schulstallung mit dreizehn Gewölbejochen zu erkennen. Diese Stallung war 1810/12 vom Architekten Andreas Gärtner gebaut worden. Die glatte Fassade mit den Rundbogenarkaden steht für eine in München seltene Variante eines schlichten Klassizismus. Der dreischiffige Innenraum zitiert den idealen Stall der Barockzeit, wie er als Bauwerk heute noch mit der ehemaligen Leibpferdestallung von Schloss Nymphenburg, dem heutigen Marstallmuseum erhalten ist.