Residenz München

Alternativen zu Bayerisch-Balkonien? Fürstenurlaub in der Frühen Neuzeit

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Richtig gemütlich gemacht hat es sich der heilige Kirchenvater Hieronymus mit Büchern und seinen friedlich dösenden Haustieren! Zusammen kuscheln sie in der komfortabel eingerichteten Einsiedelei auf unserer Miniatur im Residenzmuseum, die einen berühmten Kupferstich Albrecht Dürers von 1514 wiederholt: Zirbelstuben-Romantik vom Feinsten – Sonnenstrahlen finden nur als Reflexe der glänzenden Butzenscheiben Einlass in diese Klause….
In der Feriensaison 2020 haben wohl viele Leser*innen Urlaub wie der Münchner „Hieronymus im Gehäuse“ gemacht, nämlich zuhause.

Eine ungewohnte Erfahrung…

Denn schließlich sind die Deutschen dem wohlinformierten Internet zufolge ein reiselustiges Völkchen: Rund 55 Millionen ließen noch 2019 urlaubshalber Haus und Hof kurzzeitig hinter sich. Weit oben auf der Liste der Sehnsuchtsziele rangieren Berge und Meer, und wer nicht in den eigenen Landesgrenzen klimmt und schwimmt, sucht die Sonne vor allem in Spanien, Italien oder der Türkei. Klar, dass das nötige Kleingeld und gute internationale Beziehungen das anregende Fernreisen erleichtern. Insofern sollte man annehmen, dass Fürstlichkeiten und gekrönte Häupter, welche heutzutage die Yellow Press als gewiefte Staatsbesucher vorstellt und bei dynastischen Verwandtschaft-Visiten begleitet, auch schon in der Vergangenheit Diadem und Szepter öfters für ein paar Augustwochen an den sprichwörtlichen Nagel hingen und dem Luxusurlaub samt Longdrink frönten!

wohin zuerst? Die niederländischen

Wohin zuerst? Die niederländischen „Weltlandschaften“ in der Tradition Patiniers und Bruegels d.Ä. versammeln eine Fülle von Reise- und Sehnsuchtszielen, die selbst im Miniaturformat Fernweh wecken!

Doch muss dieser Eindruck bei genauerer Überprüfung relativiert werden: Zwar waren unsere Vorväter und -mütter in früheren Jahrhunderten tatsächlich weitaus mobiler, als man lange Zeit annahm. Aber anders als für Pilger, wandernde Handwerksburschen, gepresste Soldaten oder risikofreudige Kauffahrer gab es gerade für Fürstlichkeiten, namentlich regierende Herrscher, kaum Gelegenheit, mal „raus“ aus den Grenzen des eigenen Territoriums zu kommen. Sich zumindest zeitweise von den Ansprüchen des eigenen, hochwohlgeborenen Standes frei zu machen, war gleichfalls nicht vorgesehen. Da Monarch kein gewählter Beruf, sondern ein durch Geburt angestammter Zustand war, blieb man es normalerweise auf Lebenszeit und rund um die Uhr: 24/7! Freizeit im heutigen Sinne als privat verfügbare Ruhephase gab es an den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts eigentlich nicht.

Das kurfürstliche Schloss Berg am Starnberger See und das

Tag am Wasser: Das kurfürstliche Schloss Berg am Starnberger See und das „Freizeitschiff“ Bucentaur standen den bayerischen Herrschern für Entspannung außerhalb der Residenzmauern im 17. Jh. zur Verfügung. Miniatur von M. de Geer nach Vorlage von J. Beich, Residenzmuseum.

Das Anrecht auf vergnügliche Entspannung wurde zwar anerkannt – „Rekreation“ und „Divertissement“ aber mussten dem sozialen Rang angemessen und vor den Augen zumindest einer beschränkten Öffentlichkeit stattfinden. Auch am bayerischen Hof: Das stetig ausgebaute Netz von Wittelsbacher Lust- und Jagdschlössern, welches die Münchner Residenz und ihr Umland noch heute umgibt, und in denen das rigide Hofzeremoniell teilweise runtergefahren werden konnte, belegen diese Erholungspraxis.

Hingegen war das Verlassen des Landes ohne triftigen Grund praktisch weder möglich noch opportun: Vor allem, wenn die dynastische Nachfolge nicht gesichert war, erwiesen sich Regentschaften für den abwesenden Landesherrn als unsicher – das lehrten betrüblich historische Beispiele. Auch geriet das fein hierarchisierte Hofleben bei längeren Abwesenheiten des Chefs durcheinander: Der jahrelange Umzug des umtriebigen Kurfürsten Max Emanuel (reg. 1679-1726), erst nach Brüssel als Statthalter der Spanischen Niederlande, dann nach Frankreich als geächteter Exilant, brachte das Gesellschaftsleben im funktionslos gewordenen Residenzschloss und ganze Wirtschaftszweige in der „verwaisten“ Hauptstadt München zeitweise zum Erliegen.

Am ehesten mochten sich vielleicht noch Kirchenfürsten längere Absenzen erlauben – Gottvertrauen und ein funktionierender Verwaltungsapparat in Gestalt von Stiftsherren und Domkapitel machten’s möglich. So konnte sich etwa der Schwager von Kurfürst Max III. Joseph (reg. 1745-1777), der sächsische Prinz Clemens Wenzeslaus, Kurfürstbischof von Trier und Erzbischof von Freising, häufiger bei seinen Verwandten im schönen München einquartieren (Der geläufige Name der dort von ihm bewohnten barocken „Trierzimmer“ erinnert noch an solche Aufenthalte).

Schloss Nymphenburg Konversationsstück

Familienurlaub? Ein dynastisches Großtreffen, wie es auf diesem Sammelporträt der Familie Max III. Josephs und ihrer sächsischen Verwandtschaft von P. J. Horemans im Schloss Nymphenburg dargestellt ist, fanden nur in Ausnahmesituationen statt – wie während des Siebenjährigen Krieges, als das sächsische Thronfolgerpaar auf der Flucht in München unterschlüpfte….

Generell aber blieben Familientreffen, vor allem über Ländergrenzen hinweg, Ausnahmen: sie waren protokollarisch schlichtweg kaum zu bewältigen, da es regelmäßig zugleich um die angemessene Repräsentation zweier Monarchien ging – letztlich war ja fast jeder Staatsbesuch eine Zusammenkunft von Verwandten zweiten, spätestens dritten Grades.

Was also gab es für Möglichkeiten, als Kurfürst mal ein bisschen von der Welt zu sehen?

Da sind natürlich die nahezu ununterbrochenen Militärkampagnen zu nennen, an denen der Landesherr zuweilen in sicherer Entfernung auf dem Feldherrenhügel teilnahm. Allerdings lernt man Land und Leute kaum in entspannter Atmosphäre kennen, während man die touristischen Hotspots unter Beschuss nimmt.

Kurprinz Karl Albrecht bei der Belagerung von Belgrad, 1717, Gemälde von J. Beich und J. Vivien in Schloss Schleißheim

Kurprinz Karl Albrecht bei der Belagerung von Belgrad, 1717, Gemälde von J. Beich und J. Vivien in Schloss Schleißheim.

Friedlicher gestalteten sich die regelmäßigen Wallfahrten, die von den frommen Wittelsbachern (und ihrem unchristlich fluchenden Hofstaat) gern und in Demut auch mal als mehrtägige Wanderung Richtung Altötting, Wessobrunn oder Tuntenhausen absolviert wurden. Schließlich konnten saisonale Jagdausflüge mit Einkehr in den Schlössern des eigenen Landesadels das kurfürstliche Balkonien zumindest ins weitere Umland ausdehnen. Derartige „Kurztrips“ standen immerhin auch den Herrschergemahlinnen offen, die in aller Regel ihre erste und letzte größere Reise als Teenager unternahmen: Im Anschluss an eine Ferntrauung, aus der Heimat in die Fremde, wo ein meist noch unbekannter Ehemann wartete – also vermutlich keine entspannte Tour, bei der die Seele mal baumeln kann…

Urlaubsreif! Kurfürst Ferdinand Maria und Henriette Adelaide von Savoyen mit einem ihrer Söhne auf einer Miniatur im Residenzmuseum

Urlaubsreif! Kurfürst Ferdinand Maria und Henriette Adelaide von Savoyen mit einem ihrer Söhne auf einer Miniatur im Residenzmuseum.

Eine Ausnahme ist hier die gleichfalls mit 14 Jahren aus dem sonnigen Savoyen ziemlich unsanft ins kalte Bayern verpflanzte Kurfürstin Henriette Adelaide (1636-1676), der eine dauerhaft schwächelnde Gesundheit im Laufe der Zeit gleich zwei „Urlaube“ außer der Regel gestattete: Nach jahrelangem, folge- (sprich: kinder)losem Eheleben bezog die verunglückte Landesmutter auf Rat der Hof-Medici 1659 für einige Wochen den Kurort Heilbrunn bei Tölz, um in einem eigens aus dem Boden gestampften „Spa“ mineralhaltigen Brunnen zu trinken, Sitzbäder zu nehmen – und Wellness-Tourismus mit ländlicher Strukturförderung zu verbinden. Erfolgreich! 1660 erblickte eine kleine bayerische Prinzessin als Vorbotin zahlreicher Geschwister das Licht der Welt – und das bis dato recht kaffige Heilbrunn freute sich über ein fürstliches Qualitätssiegel erster Güte.

Noch einmal im Frühling 1667 bestieg die geschwächte, aber reiselustige Henriette Adelaide in Begleitung ihres Gemahls, Kurfürst Ferdinand Maria (reg. 1651-1679), und eines unbedeutenden Gefolges von rund 150 Personen die Kutsche, die sie rumpelnd zur Kur Richtung Padua führte, bzw. in ein benachbartes Schlösschen, das man über diplomatische Beziehungen „besorgt hatte“ (Airbnb lässt grüßen…). Vielleicht ein etwas dröges Ziel auf den ersten Blick, aber versüßt durch einen Incognito-Besuch ihres Bruders, des Herzogs von Savoyen, und einen mehrwöchigen, ereignisreichen Abstecher ins nahe Venedig – damals wie heute eine boomende Hochburg des internationalen Tourismus! Die Patientin, aber auch ihr Gemahl, der hier seine erste und einzige Auslandsreise unternahm, amüsierten sich blendend und brachten Ende Juli viele hübsche Souvenirs mit in die Heimat – unter anderem einen stimmgewaltigen Paduaner Chorknaben namens Agostino Steffani (1654-1728), der zum hochberühmten Münchner Hofkomponisten aufsteigen sollte!

Sehnsuchtsort: Die „Skyline“ von Venedig (Druckgraphik, 19. Jh.).

Dennoch waren derartige Auslandsaufenthalte bayerischer Herrscher Ausnahmen. Und das blieb noch so bis ins 19. Jahrhundert (in dem Ludwig I. erst als Kronprinz, dann als König fast im Jahresrhythmus Italienreisen unternehmen sollte). Für die Prinzen des Hauses hingegen etablierte sich schon seit dem Zeitalter der Renaissance  zunehmend die eine, dafür dann aber vielmonatige Kavaliersreise oder „Grand Tour“, die den krönenden Abschluss ihrer Erziehung bildete und nach Möglichkeit Italien, Frankreich und die Niederlande sowie den kaiserlichen und den päpstlichen Hof einschloss. Ein straffes Programm also, denn natürlich handelte es sich nicht um eine unbeschwerte Klassenfahrt, sondern über weite Strecken um Arbeit – nicht umsonst saßen Tutor und Hofmeister mit in der Karosse, Terminkalender und Reisetagebuch auf den Knien! Im Ausland und an den befreundeten Höfen sollten sich der Thronfolger und seine Brüder als Mitglieder der internationalen High Society vorstellen und bewähren, ihrer Bildung (namentlich den Sprachkenntnissen) den letzten Schliff verleihen, ein Netzwerk an Kontakten aufbauen – und natürlich auch etwas Kunst und Kultur abhaken.

reiselustig: Kurprinz Karl Albrecht, Porträt von J. Vivien, Residenzmuseum (Ausschnitt)

Reiselustig: Kurprinz Karl Albrecht, Porträt von J. Vivien, Residenzmuseum (Ausschnitt).

Solche Bildungsreisen des fürstlichen Nachwuchses konnten traumatisch enden – das mussten besonders Henriette Adelaides Enkel lernen, die Kinder ihres Sohnes Max Emanuel: Deren erster Abschied von der heimatlichen Residenz im Jahr 1706 war gleich eine Entführung: Nachdem Kaiser Joseph I. im Verlauf des Spanischen Erbfolgekriegs über ihren abwesenden Vater die Reichsacht verhängt hatte und Bayern von Truppen besetzen ließ, wurden der achtjährige Kurprinz Karl Albrecht (1697-1745) und seine kleinen Brüder von österreichischen Soldaten in Kutschen verpackt und ihnen ein Ausflug versprochen. Eine ziemlich ausgedehnte Expedition – sie führte nämlich über die Grenze, nach Klagenfurt in habsburgisches Gebiet. Ziemlich ramponiert kamen die reisekranken Prinzen nach wochenlanger Irrfahrt an, um fortan dort, später in Graz unter kaiserlicher Kontrolle zu loyalen kleinen Reichsfürsten erzogen zu werden – erst 1715 sahen sie München wieder. Thronerbe Karl Albrecht übrigens nur kurz, denn für ihn ging es nun auf die wahre, die „Grand Tour“! Ausgestattet mit dem nötigen Reisegeld, für das Papa Max Emanuel (der war auch wieder zurück) Kredite hatte aufnehmen müssen, und im Schutz eines schmissigen Incognito-Namens, der ihm erlaubte, die zeremoniellen Anforderungen an einen hochadeligen Touristen teilweise zu ignorieren, machte sich der „Graf Trausnitz“ mit seinem Gefolge im Dezember 1715 auf den Weg Richtung Italien.

Der Anfang der Reise verlief leider schleppend, den vor den Anlegestellen Venedigs und seines Amüsierbetriebs, wo der 18jährige Karl Albrecht mal so richtig Karneval zu feiern hoffte, saß man zunächst vier Wochen in Quarantäne fest – in Norditalien grassierten Pestfälle, und für einen Grafen Trausnitz, auch wenn er dem Wittelsbacher Kurprinzen verdächtig ähnelte, wurden die strengen Einreisebeschränkungen nicht gelockert. Als die bayerische Gesellschaft dann endlich ihren Palazzo am Canal Grande beziehen konnte, galt es bei Banketten, in der Oper und auf Maskenbällen stets auf Augenhöhe mit dem Kurprinzen von Sachsen zu feiern, der sich gerade gleichfalls unter Pseudonym in der Lagunenstadt aufhielt (und mit dem Karl Albrecht überdies um die Hand der Kaisertochter rivalisierte…). Wahrscheinlich hat unser Wittelsbacher Fernreisender erleichtert aufgeseufzt, als der bayerische Kutschentross nach ein paar Wochen in Richtung auf Rom loszockelte, wo ihn weitere entspannende Empfänge und Ostermessen sowie Adelsbesuche, Antiken und Audienzen bei seiner Heiligkeit Clemens XI. erwarteten… – was nochmal spricht eigentlich gegen einen gemütlichen Urlaub auf Balkonien??

Kann Sommer auf Balkonien eine Alternative sein, wenn der Balkon so hübsch ist, wie dieser vor den Fenstern der Grünen Galerie in der Residenz?

…. erst recht, wenn der Balkon so hübsch ist, wie dieser vor den Fenstern der Grünen Galerie in der Residenz?

 

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