Bevor Mitte des 19. Jahrhunderts die Farbtube patentiert wurde, mussten Künstler auf kreative und oft umständliche Lösungen zurückgreifen, um ihre Ölfarben für die Malerei im Freien transportfähig zu machen. Statt der praktischen Tuben, die für uns heute allgegenwärtig sind, dienten damals kleine, fest verschnürte Säckchen aus Schweinsblase als Farbbehälter. Ein besonders gut erhaltenes Beispiel dieser historischen Reisefarbkästen wird derzeit in unserem Restaurierungszentrum untersucht.
Dieser fast 200 Jahre alte Reisefarbkasten stammt aus dem Nachlass eines ehemaligen Vergoldermeisters des Restaurierungszentrums. Im Deckel des Metallkastens gibt eine Adresse den Hinweis auf seine Pariser Herkunft: „PARIS chez EUGENE JOUY Boulevart Sebastopol 56“. Ob es sich bei Eugene Jouy – einem Pariser Verleger – um den ehemaligen Besitzer oder Hersteller des Kastens handelt oder ob jemand lediglich das Papier eines Druckes von Jouy wiederverwertet hat, bleibt offen. Er enthält 26 verschnürte Säckchen mit malfertiger Ölfarbe, die alle feinsäuberlich beschriftet sind sowie zwei Näpfe zur Aufbewahrung von Lösungsmitteln. Außerdem sind zwei handbeschriebene Blätter mit einer Malanweisung beigelegt, die erklärt, wie man Firnis herstellt, Nußöl reinigt oder welche Farbtöne (in welchen Mischverhältnissen) sich für die Darstellung bestimmter Bildgegenstände am besten eignen, wie beispielsweise Feuer, Licht, Berge oder Haut.
Wie auch die Malanleitung sind die Säckchen auf Französisch beschriftet. Einige Bezeichnungen verweisen auf den enthaltenen Farbstoff, wie Terre de S. naturelle (Terra di Siena) oder jaune chrome (Chromgelb), andere beschreiben Bildgegenstände, die sich mit der Farbe malen lassen, wie cheveux blonds (Blonde Haare) oder Carnation de Viellards (Hautfarbe der Greise).
Die Farbsäckchen sind je nach Farbton unterschiedlich groß. So wurde für Ultramarin ein besonders kleines Säckchen verwendet, da die Farbe aufgrund ihrer Herstellung aus Lapislazuli besonders kostspielig war.
Wie frische Butter in Paris – auf die Konsistenz kommt es an
Wie man solche Farbsäckchen befüllt und richtig anwendet, beschreibt Pierre Louis Bouvier in seinem Handbuch für angehende Künstler, dem Manuel des jeunes artistes et amateurs en peinture aus dem Jahr 1832.
Zunächst kommt es auf die richtige Konsistenz der Farbe an: Nicht zu flüssig und nicht zu fest soll die Ölfarbe angerührt werden – etwa so wie frische Butter in Paris, ergänzt Bouvier als Hilfestellung. Ist die Farbe fertig angerührt, kann die Schweinsblase vorbereitet werden. Hierzu wird ein kreisrundes Stück getrockneter Schweinsblase ausgeschnitten und in Wasser getaucht, um die nötige Flexibilität zu gewährleisten. Vorsichtig trockengetupft kann die Farbe eingefüllt werden, indem man ein kleines Häufchen Farbe auf das Stück Schweinsblase setzt und diese vorsichtig luftdicht verschließt. Zu guter Letzt wird das Säckchen fest verschnürt. Ganz wie bei unserem Farbkasten empfiehlt Bouvier Malanfängern, ihre Farbsäckchen mithilfe kleiner Papierstreifen zu beschriften, die am Knoten des Säckchens befestigt werden, um diese besser auseinanderhalten zu können.
Mit einem kleinen Schnitt zur malfertigen Farbe
Wenn man beim Malen Farbe entnehmen möchte, öffnet man nicht den Knoten des Säckchens, sondern sticht mit einem spitzen Gegenstand das Säckchen auf und drückt die gewollte Menge an Farbe aus. Bouviers Geheimtipp: Anstatt mit einem Nagel das Säckchen aufzustechen, wie es damals gängig war, empfiehlt Bouvier einen kreuzförmigen Einschnitt am Boden der Blase. Auf diese Weise kann mehr Farbe austreten und die Stelle verschließt sich automatisch, wenn man das Säckchen wieder hinlegt.
Auch an den Farbblasen unseres Kastens findet man unterschiedliche kleine Öffnungen mit eingetrockneten Farbresten. Ein Säckchen mit weißer Farbe hat eine besonders große Öffnung und ist fast leer. Da man vom Weiß meistens größere Mengen benötigt, empfiehlt Bouvier gleich mehrere Blasen mit weißer Farbe anzufertigen.
Insgesamt sind die Säckchen allerdings alle noch relativ voll – das Ultramarin wurde gar nicht angerührt. Wir können also davon ausgehen, dass der Kasten kaum genutzt wurde. Vielleicht war das Reiseset so kostbar, dass sich der Besitzer nicht getraut hat die Farben intensiv zu verwenden?
Ein Glücksfund für das Restaurierungszentrum
Für das Restaurierungszentrum ist der Farbkasten ein ganz besonders wertvoller Fund, da man mit seiner Hilfe wichtige Farbdaten sammeln kann. Unsere Restauratorinnen und Restauratoren können Rückschlüsse ziehen, welche Farben um 1830 auf dem Markt waren und umgekehrt lässt sich prüfen, ob die hier vorhandenen Farben auf bestimmten Gemälden verwendet wurden.
An den Knoten der verschnürten Säckchen befinden sich noch eingetrocknete Reste der jeweiligen Farbe. Mithilfe unterschiedlicher Messmethoden können diese Farbreste bei uns im Restaurierungszentrum untersucht werden, ohne die Säckchen zu beschädigen.
Mit der Röntgenfluoreszenzspektroskopie lassen sich die chemischen Elemente analysieren, die Bestandteil der Ölfarbe sind: Jede Farbe hat eine spezifische Elementzusammensetzung, an der man sie erkennen kann. So besteht Chromgelb beispielsweise vorwiegend aus Chrom und Blei.
Eine weitere Untersuchungsmethode ist die UV/VIS-Spektroskopie. Sie erzeugt eine Art optischen Fingerabdruck der Ölfarbe. Die Probe wird einer Weißlichtquelle ausgesetzt, um die Absorption bzw. die Reflektion der Farbe zu messen. Je nachdem in welchem Wellenlängenbereich die Farbe das Licht absorbiert, entsteht ein individuelles Absorptionsspektrum. Die Ergebnisse können anschließend mit der Datenbank abgeglichen werden, um Ähnlichkeiten zu anderen vermessenen Materialien festzustellen. Vergleicht man das Chromgelb unseres Farbkastens mit anderen gemessenen Gelbtönen, so weist das Chromgelb aus dem Farbkasten für Miniaturmalerei des Bayerischen Nationalmuseums die höchste Übereinstimmung auf.
Da alle Farbsäckchen beschriftet sind, können die Messergebnisse mit den angegebenen Farbbezeichnungen verknüpft werden. Auf diese Weise entstehen wertvolle Referenzwerte für zukünftige Farbanalysen, mit denen unbekannte Farben identifiziert werden können.
Von gedeckten Brauntönen zur floralen Farbvielfalt
Solche Farbdaten sind insbesondere für Rekonstruktionen von unschätzbarem Wert. Bei Objekten, deren Farben entweder stark ausgeblichen oder kaum mehr vorhanden sind, sodass man mit dem bloßen Auge die Originalfarbe nicht mehr erkennen kann, lässt sich in vielen Fällen mithilfe der Röntgenspektroskopie und der UV/VIS-Spektroskopie die Originalfarbe bestimmen. So war es beispielsweise möglich, die ursprüngliche Farbigkeit der floralen Marketerie der Prunkmöbel des Ebenisten Jean François Oeben zu rekonstruieren. Schaut man sich beispielsweise den Schreib- und Toilettetisch in der Residenz München an, dann wirkt es so als seien die unterschiedlichen Blätter und Blüten in verschiedenen Brauntönen gehalten.
Mithilfe der Röntgenfluoreszenzspektroskopie konnte das J. Paul Getty Museum (LA) Spuren von Eisen in den Blattbereichen der Pflanzen feststellen, was auf eine Eisenbeize schließen lässt, die genutzt wurde, um die Farbe zu fixieren. Unser Restaurator Dr. Heinrich Piening konnte dagegen mit UV/VIS-Spektroskopie Reste eines gelben Pflanzenfarbstoffs feststellen, der in Kombination mit Eisenbeize schilfgrün färbt. Die Blumenstängel und Blätter waren demnach nicht in einem dunklen Ebenholzton gehalten, sondern strahlten damals in leuchtendem Grün.
Unser Farbkasten ist somit nicht nur ein seltenes Zeugnis historischer Maltechniken, sondern ein wertvoller Datenträger für die Forschung. Dank moderner Analysemethoden ermöglicht er es, die ursprüngliche Farbvielfalt historischer Objekte zu rekonstruieren und somit ein Stück Geschichte lebendig zu erhalten. Wir sind gespannt, welche Farbrätsel sich mit unserem Reisefarbkasten in Zukunft noch lösen lassen.
Weiterführende Links:
Das Victoria and Albert Museum in London besitzt ebenfalls eine solche Farbblase, gefüllt mit Preußisch Blau. Sie wird zwischen 1800 und 1830 datiert und stammt aus „Turner’s paintbox“ – einem Farbkasten, der sich im Tate Museum in London befindet und neben Fläschchen mit losem Pigment auch einige Blasen mit Ölfarbe enthält. Der Kasten stammt nicht aus dem Besitz William Turners, er wird lediglich „Turner‘s paintbox“ genannt, weil er aus der Schaffenszeit des Künstlers stammt.