Die Museumsabteilung der Bayerischen Schlösserverwaltung konnte vor einiger Zeit einen fast lebensgroßen Waldkauz ankaufen. Der Porzellankauz, der 1915 in der Nymphenburger Porzellanmanufaktur gefertigt wurde, ist nun nach Nymphenburg zurückgekehrt. Als Keramikspezialistin freue ich mich ganz besonders über diesen hübschen, sehr gut erhaltenen Vogel. Seit Januar 2021 ist er in der Nymphenburger Porzellansammlung Bäuml im Obergeschoß des Marstallmuseums ausgestellt, wo er dem anderen Federvieh beste Gesellschaft leistet. 2017 wurde der Waldkauz übrigens zum Vogel des Jahres gekürt.
Eine Neuerwerbung für die Nymphenburger Porzellansammlung
Für diesen Ankauf waren mehrere Argumente ausschlaggebend: Der Waldkauz ist eng mit dem Nymphenburger Schlosspark verbunden. Die künstlerische Qualität des Modells und der Bemalung sind bemerkenswert. Außerdem ist sein Erhaltungszustand hervorragend.
Doch zurück zum Nymphenburger Schlosspark, wo die Waldkäuze in den Asthöhlen der alten Bäume hausen. Die beiden berühmtesten haben sogar Namen: Sie heißen Kasimir und Laurenzia. Instagram-Besucher der Bayerischen Schlösserverwaltung haben sie so genannt. Beide gehören zu den Sehnsuchtsmotiven der vielen Fotografen, die sich alljährlich im Herbst, wenn das Laub lichter geworden ist, mit großen Teleobjektiven auf die Pirsch durch den Park begeben.
Da hatten es nun unsere Fotografinnen, Andrea Gruber und Maria Scherf, etwas einfacher mit dem Porzellankauz. Er versteckt sich nicht und hält geduldig still. Dafür war die reflektierende Oberfläche des Porzellans eine Herausforderung.
Der Porzellan-Vogel wurde in Unterglasurmalerei dekoriert. Wie der Begriff ausdrückt, liegt die Malerei unter der transparenten Glasur, direkt auf dem gebrannten Scherben. Durch diese Technik erhalten die Farben nicht nur eine besondere Leuchtkraft, sondern auch mehr Tiefe. Allerdings müssen die Malfarben so beschaffen sein, dass sie die hohen Brenntemperaturen (um 1400°C) beim Glasurbrand nicht nur aushalten, sondern darüber hinaus ihre eigentliche Farbe entwickeln. Über Jahrhunderte konnte bei diesen hohen Brenntemperaturen nur eine kleine Farbpalette erreicht werden. Am bekanntesten ist das Kobaltblau, ein Metalloxid, das aus der Majolika- und Fayence-Malerei bekannt ist. Um 1730 experimentierte man in der noch jungen Meissner Porzellanmanufaktur mit Kobaltoxid und erfand das berühmte Meissner Zwiebelmuster. Das waren die Anfänge der Unterglasurmalerei.
Im ausgehenden 19. Jahrhundert wird diese Technik durch die Erfindung neuer geheimer Rezepturen weiterentwickelt. Die Farbpalette enthält nun neben dem Kobaltblau, dem Manganviolett, dem Antimongelb und dem Kupferoxid neue lasierende Farbtöne wie Rosa, Zartgrün, Hellgrau oder Hellbraun. Die Farben wurden nicht mehr mit dem Pinsel aufgetragen, sondern auf das einmal gebrannte Porzellan hauchdünn mittels Airbrush aufgesprüht. Die neue Technik entstand in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts im Kontext einer Neubelebung des Kunsthandwerks. Entscheidende Impulse gab die japanische Kunst mit ihren flächigen, die Konturen betonenden Holzschnitten, die dem Geist des Impressionismus und bald auch dem Jugendstil entsprachen. Als Katalysator dienten die Weltausstellungen, die seit 1862 in London, Paris (1867) und Wien (1873) gezeigt wurden. Beeinflusst vom französischen Impressionismus entwickelte die Porzellanmanufaktur in Sèvres einen völlig neuen Porzellanstil. Dieser wurde von skandinavischen Manufakturen, wie der Königlichen Porzellanmanufaktur in Kopenhagen, begeistert aufgenommen und im Sinne des Jugendstils weiter entwickelt. Das Jugendstilporzellan zeichnet sich durch die untrennbare Verbindung von Form und Dekor aus. Auch die Gestaltung des figürlichen Porzellans wurde durch die skandinavischen Manufakturen erneuert. Schon 1918 schrieb ein Kritiker: „Man erinnere sich der geschmeidigen Kopenhagener Tierkörper der neunziger Jahre [1890]. Da ist nicht die peinlich stilisierte Haut oder sorgfältige, spitzpinselige Bemalung: das Packende der Tiereigenschaft ist ganz in dem Wohlgefühl ornamentaler Formen geschildert.“ (Moderne Tierplastik, 1918, S. 264)
Aus Sèvres kamen 1901/02 technische Impulse auch nach Nymphenburg. Albert Bäuml, der damalige Pächter und Leiter der Nymphenburger Porzellanmanufaktur, besuchte die „École de Céramique“ in Sèvres. Dort konnte er wohl wichtige Mitarbeiter abwerben, denn bald kamen Modelleure, Porzellanmaler und ein Chemiker aus Sèvres nach Nymphenburg. Der Chemiker Raymond Keller, der bis 1907 in der Nymphenburger Porzellanmanufaktur arbeitete, entwickelte hier eine breite Palette an Unterglasurfarben. Die Erfindung der Unterglasurmalerei trug im Kontext der künstlerisch hochwertigen Tierplastiken, die berühmte Modelleure und Bildhauer wie Theodor Kärner, Hans Behrens, Wilhelm Neuhäuser und Willy Zügel schufen, maßgeblich zum Erfolg der Nymphenburger Porzellanmanufaktur im frühen 20. Jahrhundert bei. Dass die Tierplastik gerade in Nymphenburg eine derart hohe Qualität erreichte, liegt auch am Standort München. Hier entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine einzigartige, naturalistische Tierdarstellung. An der Münchner Kunstakademie wurde eine eigene Klasse für Tiermalerei eingerichtet, die Professor Heinrich von Zügel von 1895-1922 unterrichtete. Bei ihm studierten auch dessen Sohn Willy Zügel und Wilhelm Neuhäuser, die sich nach einigen Semestern von der Malerei ab- und der Tierplastik zuwandten. Beide arbeiteten später auch für die Nymphenburger Porzellanmanufaktur.
Wilhelm Neuhäuser war gelernter Modelleur und arbeitete in verschiedenen deutschen Keramikwerkstätten, bevor er vom 9.5.1910 bis zum 30.11.1911 in der Nymphenburger Porzellanmanufaktur einige bemerkenswerte Tiermodelle schuf. Mit Hilfe von Negativformen aus Gips konnten auch viele Jahre später seine Tiere neu ausgeformt werden. Durch die Signatur auf dem Sockel wissen wir, dass unser Waldkauz 1915 von Robert Böck bemalt wurde. Er hatte sich in der der Nymphenburger Porzellanmanufaktur auf die Technik der Unterglasurmalerei spezialisiert und dekorierte vor allem Tierfiguren. Erst die Bemalung lässt den Kauz wirklich lebendig erscheinen. Dabei schafft Robert Böck eine Synthese zwischen naturalistischer Farbgebung und Dekormuster. Die Deckfedern erscheinen als stilisierte Ornamente, die mittels Schablonen auf den lasierenden Untergrund aufgesprüht wurden. Hiermit hat er bereits den Stil des Art Déco vorweggenommen, ein Begriff der erst zehn Jahre später durch die Ausstellung der „Arts Décoratifs et Industriels Modernes“ in Paris entstand. Im Kontext des übrigen, naturalistisch bemalten Federviehs in der Vitrine zeigt der Dekor des Waldkauzes eine neue, wegweisende Modernität des Nymphenburger Porzellans.
Zum Schluss stellt sich noch die Frage nach der Funktion dieser großen Porzellantiere. Während figürliches Porzellan im 18. Jahrhundert die fürstliche Desserttafel schmückte, wurde die Porzellanplastik im Laufe des 19. Jahrhunderts zu Objekten des Lifestyles. Möbelprospekte zeigen sie auf Schreibtischen, Bücherschränken und Vertikos. So schreibt unser anonymer Kritiker 1918: „Die ornamentale Aufgabe des modernen Ziergegenstandes kommt in ihrer vollen Wirkung allerdings erst dann zur Geltung, wenn man diese reizvolle Vogelwelt in der ihr zukommenden Umgebung, als Schmuckstück in moderner Einrichtung, sich vergegenwärtig.“ (Moderne Tierplastik, 1918, S. 264)
Literatur
Claudia Kanowski: Krise und Aufbruch. Die Porzellankunst des Jugendstils im historischen Kontext. In: Birgitt Hellman (Hrsg.), Porzellanmanufaktur Burgau a.d. Saale, Ferdinand Selle 1901-1929, Städtische Museen Jena, 2020, S. 17–24
Gustav Weiß: Ullstein Porzellanbuch. Eine Stilkunde und Technikgeschichte des Porzellans. Frankfurt u.a., 1975, S. 168-171
Gerhard P. Woeckel: Die Tierplastik der Nymphenburger Porzellanmanufaktur. Bestandskatalog 1905-1920. München/Berlin, 1978
Alfred Ziffer: Nymphenburger Moderne. Die Porzellan-Manufaktur im 20. Jahrhundert. Münchner Stadtmuseum 1997
N.N.: Moderne Tierplastik. Ziervögel der Nymphenburger Porzellan-Manufaktur. In: Dekorative Kunst, Bd. XXVI, Juni 1918, S. 261-266.