Dass Queen Victoria es liebte, Gast auf Schloss Rosenau zu sein, ist kein Geheimnis. Doch wo traf sie dort gleich beim ersten Aufenthalt 1845 auf „alte Bekannte“? Wo versteckt sich Britisches in Schloss Rosenau – und zwar aus Jahren vor Victorias Geburt? Das verraten wir euch in diesem Blogbeitrag!
Im Erdgeschoss von Schloss Rosenau, neben dem Marmorsaal, liegt eine kleine, elfeckige, holzvertäfelte Bibliothek. In ihr konnten Herzog Ernst III. von Sachsen-Coburg-Saalfeld und seine Frau Luise vor 200 Jahren Werke der Romantik nicht nur lesen, sondern auch betrachten. Über den Bibliotheksschränken, in dreieckigen Bogenfeldern, sitzen umrahmt von Blattrankenintarsien sieben Ölgemälde. Alle zeigen zu Bildern gewordene Passagen aus Literatur jener Zeit.
Eine der dargestellten Szenen hat ihre Grundlage in einem Werk von Friedrich Baron de la Motte Fouqué (1777-1843). Die anderen verdanken ihre Komposition dem in Edinburgh geborenen Walter Scott (1771-1832).
Dieser war eigentlich Prozessanwalt und lange parallel dazu Sheriff, worunter man sich zu jener Zeit in Schottland ein hochangesehenes Amt mit administrativen, polizeilichen und richterlichen Aufgaben vorstellen muss. Scott war aber auch ein überaus produktiver Schriftsteller und als solcher einer der meistgelesenen Autoren seiner Tage. Er feierte zunächst Erfolge mit Versdichtungen und wurde dann mit Stoffen aus der britischen Geschichte zum Wegbereiter des historischen Romans.
Bis heute ein Begriff ist sein Buch „Ivanhoe“, das mehrfach musikalisch vertont und von Hollywood verfilmt wurde. Von den Erlösen seiner Werke baute Scott sich ein imposantes Anwesen im Süden Schottlands. Abbotsford wurde wegweisend für einen Scottish Baronial genannten Architekturstil, in den zum Beispiel das später entstandene königliche Schloss Balmoral einzuordnen ist. Sein beherztes Eintreten für den Erhalt der in Schottland seinerzeit weitverbreiteten 1-Pfund-Banknote sichert Scott bis heute einen Platz auf den Geldscheinen der Bank of Scotland. Die Natur und Kultur Schottlands flocht er authentisch in seine literarischen Handlungsstränge ein, was für einen frühen Tourismusboom sorgte. Viele seiner Werke erzählen aus Schottlands stolzer Geschichte, aber sie stellen die seit 1707 bestehende Union mit England dabei nicht infrage.
Dies machte Scotts Verse und Prosa auch für das Publikum in England attraktiv. Man las ihn außerdem eifrig auf dem Kontinent. Auch in den Rosenauer Bibliotheksschränken standen nachweislich mehrere „Scotts“. Dem zu Lebzeiten ungemein populären Autor wurde posthum in seiner Heimatstadt Edinburgh ein 61 Meter hohes Denkmal errichtet, geschmückt mit Figuren aus seinen Versen und Romanen und mittig einem Marmorporträt des Meisters selbst.
Doch noch einmal zurück nach Schloss Rosenau:
Woher weiß man so sicher, dass sechs der sieben dortigen Gemälde auf Texte von Sir Walter Scott zurückgehen?
Weil deren Maler Gustav Heinrich Naeke (1785-1835) Scotts Geschichten 1816/17 nicht selbstständig in Bilder umsetzte, sondern eng nach Illustrationen in damaligen Buchausgaben arbeitete. Eines der Rosenau-Gemälde etwa entspricht exakt einer Bebilderung des Engländers Thomas Stothard (1755-1834) zu Scotts „Rokeby“.
Ein anderes Motiv hatte sich der Illustrator Richard Westall (1765-1836) zu Scotts „The Lord of the Isles“ ausgedacht.
Westall war ab den späten 1820er Jahren zudem Zeichenlehrer der jungen Prinzessin Victoria von Kent, die mehrfach wiederkehrend in ihrem Tagebuch notierte, zu Scott als Lektüre zu greifen; gleich der erste Roman, den sie jemals gelesen habe, sei von Scott gewesen („The Bride of Lammermoor“).
Aus besagter Victoria von Kent wurde 1837 Queen Victoria, Herrscherin des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Irland. Und 1845, bei ihrem ersten Besuch von Schloss Rosenau, dem Geburtsort ihres Gatten, begegnete sie im Angesicht der Bilder nach Scott und Westall an den Wänden der kleinen Bibliothek mitten im Coburger Land letztlich „alten Bekannten“.
Die Gemälde in der Bibliothek von Schloss Rosenau illustrieren folgende Werke von Sir Walter Scott: „Thomas the Rhymer“, erschienen in Scotts mehrbändigem Werk „The Minstrelsy of the Scottish Border“ (veröffentlicht ab 1802), „The Lay of the Last Minstrel“ (1805), „The Vision of Don Roderick“ (1812), „Rokeby“ (1813) und „The Lord of the Isles“ (1815). Das siebte Bild zeigt eine Szene aus „Die Fahrten Thiodolfs des Isländers“ (1815) von Friedrich Baron de la Motte Fouqué.
Literatur
Sabine Heym: Feenreich und Ritterwelt. Die Rosenau als Ort romantisch-literarischen Welterlebens, Sonderdruck aus „Bayerische Schlösser – Bewahren und Erforschen“, München 1996.