Dieser Beitrag erscheint im Rahmen unserer Blogserie anlässlich des Jubiläumsjahres „200 Jahre Albert und Victoria von Coburg“. Heute werfen wir einen Blick auf die Ansichten der Rosenau von William Turner, dem bekannten englischen Maler. Wie die britische Presse und Queen Victoria Turners Darstellung der Heimat ihres geliebten Prinzgemahls Albert wohl fanden? Die Antworten gibt es im Beitrag.
Wir schreiben das Jahr 1841 in England.
Queen Victoria fühlt sich ihrem frisch vermählten Gatten Albert innig zugewandt. Gemalte Ansichten von Alberts Coburger Heimat – woher auch Victorias Mutter stammt – könnten königliches Interesse wecken! Schließlich steckt die Fotografie in ihren Kinderschuhen und aus eigener Anschauung kennt Victoria Alberts Heimat zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
So macht der englische Maler Joseph Mallord William Turner (1775-1851) im Herbst 1840 auf dem Rückweg von einer Studienreise nach Venedig in Coburg Station. Vier Tage lang sammelt Turner dort in seinem Skizzenbuch Motive, unter anderem von Schloss Rosenau, Prinz Alberts Geburtsort vor den Toren Coburgs.
Zurück in England verarbeitet er die Eindrücke der Rosenau in einem Ölgemälde. Dieses präsentiert Turner 1841 unter dem sperrigen, doch dafür unmissverständlichen Titel Schloss Rosenau, Seat of HRH Prince Albert of Coburg, near Coburg, Germany in einer Ausstellung der Kunstakademie in London.
Ob es die Königin gut heißen und am Ende vielleicht sogar erwerben wird?
Nun, Victoria vermerkt in ihrem Tagebuch, die gesamte Ausstellung habe sie enttäuscht: I don’t think it is a very good Exhibition. Sie vermisst namentlich Werke von Edwin Landseer, einem ihrer Lieblingsmaler, der aus gesundheitlichen Gründen nicht ausstellt. Dieser arbeitet überaus detailgetreu und realistisch – anders als der alternde Turner, dessen Ansicht von Schloss Rosenau im Tagebuch Victorias keine Erwähnung findet.
Turners Gemälde der Rosenau ist keine Landschaftsvedute, die alles topographisch genau und perspektivisch korrekt wiedergibt. Vielmehr erlaubt Turner sich in der Darstellung der Örtlichkeit künstlerische Freiheiten, wie auch der Vergleich mit einer vor Ort erstellten Skizze zeigt.
Turner interessierten offenkundig andere Aspekte viel mehr: die malerische Wiedergabe des Sonnenlichts etwa oder die Spiegelungen im Wasser.
Die Zeitgenossen reagierten auf solche Werke, die typisch sind für Turners Spätwerk, zumeist mit Skepsis und manchmal gar mit beißendem Spott. So befand ein Kritiker der Londoner Tageszeitung The Times, Turners Ansicht der Rosenau sei mehr ein Werk der Kochkunst als der Malerei und sprach beim Dargestellten von Eiern, Spinat und reichlich Salatöl.
Angesichts eines solchen Verrisses muss aber gesagt werden: Turner war keineswegs ein unverstandener, erfolgloser Künstler. Er war wohlgemerkt Professor an der Royal Academy of Arts in London, wo er sich ein Haus samt Galerieanbau leisten konnte. Sein Gemälde der Rosenau kaufte zwar nicht die königliche Familie, doch ein begeisterter Industrieller aus Birmingham.
Mit zunehmendem Alter änderte sich allerdings unübersehbar sein Malstil. Licht und Atmosphäre wurden ihm wichtiger als die Einhaltung der seinerzeit vorherrschenden akademischen Malweise. In dieser Abkehr und vielleicht auch Turners zuweilen als kauzig beschriebener Persönlichkeit lagen die Gründe für ein zunehmendes Unverständnis unter den Zeitgenossen. Erst nach Turners Tod wurde die Qualität seiner Werke mehr gewürdigt, zum Beispiel durch die Impressionisten, die auf die Wiedergabe des optischen Seheindrucks Wert legten. Seitdem hat sich der Blick auf den Künstler weiter gewandelt. Gerade sein Spätwerk gilt heute als meisterhaft. Der bedeutendste britische Kunstpreis der Gegenwart trägt Turners Namen.
Nach Turners Ableben gingen alle noch in seinem Besitz befindlichen Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe an die englische Nation. Aus diesem Nachlass wurde ein Schatz, der heute zahllose Besucher in die staatlichen Museen lockt, ein Pfund in Händen der Kunstnation England – und nahezu unbezifferbare britische Pfund wertvoll. Sicherlich wären die Nachkommen des Times-Kritikers heute froh darüber, wenn ihr Vorfahre die Eier mit Spinat und reichlich Salatöl kurzerhand einfach gekauft hätte.
Die erwähnte Passage aus der Londoner The Times vom 4. Mai 1841 im Wortlaut:
Here is a picture that represents nothing in nature beyond eggs and spinach. The lake is a composition in which salad oil abounds, and the art of cookery is more predominant then the art of painting.
Literatur
Appeltshauser, Herbert: Ein Gemälde von Schloss Rosenau von J. M. William Turner, in: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 1976, S. 13-20.
Powell, Cecilia: William Turner in Deutschland, München und New York 1995.
Dickel, Hans: Die Befreiung vom Pittoresken. Joseph William Turner in Oberfranken, in: Effinger, Maria u.a. (Hrsg.): Von analogen und digitalen Zugängen zur Kunst – Festschrift für Hubertus Kohle zum 60. Geburtstag, e-Publikation Heidelberg 2019.