Hella Huber und Cornelia Wild //
‚Hier, zwischen den zwei Fenstern, saß in türkischer Tracht Ludwig II. lesend, während der Troß seiner Dienerschaft, als Moslems gekleidet, auf Teppichen und Kissen herumlagerte, Tabak rauchend und Mokka schlürfend, wie es der königliche Herr befohlen hatte, der dann häufig überlegen lächelnd die Blicke über den Rand des Buches hinweg auf die stilvolle Gruppe schweifen ließ. Dabei dufteten Räucherpfannen, und wurden große Pfauenfächer durch die Luft geschwenkt, um die Illusion täuschender zu machen‘.
So beschreibt Luise von Kobell 1898 einen der seltenen Aufenthalte des bayerischen Königs im Türkischen Saal auf dem Schachen.
Den Bau in traditioneller Holzkonstruktion hatte Ludwig II. als Gesamtkunstwerk konzipiert und im Obergeschoss mit einem prachtvollen orientalischen Saal ausstatten lassen. Nach strengen Vorgaben des Königs erfolgte die Umsetzung der Entwürfe in enger Abstimmung mit den ausführenden, zumeist einheimischen und Münchner Kunsthandwerkern. Die Vorgehensweise spiegelt sich in der stilistischen Einheitlichkeit des imposanten Raumes wieder.
Anlässlich des 175. Geburtstages Ludwigs II. wurden die sechs Tabourets im Restaurierungszentrum der Bayerischen Schlösserverwaltung bearbeitet. Die Recherche und kunsttechnologische Voruntersuchung durch die Fachrestauratorinnen brachten erstaunliche Details ans Licht:
In den Hauptrechnungsbüchern Ludwig II., die nahezu alle Einrichtungsgegenstände mit Herstellungskosten und ausführenden Handwerkern archivalisch belegen, werden die Tabourets nicht erwähnt.
An der schadhaften bunten Fassung der hölzernen Gestelle waren tieferliegende Farbschichten zu erkennen, die zunächst als Vorzeichnung gedeutet wurden. Bei genauerer Untersuchung erwiesen sie sich als Teil einer früheren, schlichteren Gestaltung der Gestelle, die noch keine kostbare Blattvergoldung aufwies.
Die digitale Rekonstruktion der ursprünglichen Bemalung ermöglichte die Zuordnung zu einem Sessel in den Linderhofer Museumsdepots. Bezüglich der Maltechnik und der verwendeten Materialien weisen die Möbel verblüffende Übereinstimmungen auf. Die aus Ahorn gefertigte Garnitur präsentierte sich ursprünglich holzsichtig mit schlichter, teilweise schablonierter Bemalung in Dunkelrot, Rot und Blau auf holzsichtigem Grund.
Das Textil der Tabouret-Sitzpolster ist ein kostbarer Seidenlamé, d. h. ein Gewebe, welches im Schuss Metallfäden enthält. Dieses wurde offensichtlich nicht von den durch Ludwig II. bevorzugt beauftragten, hoch qualifizierten französischen Webereien gefertigt. Vergleichbare Textilien finden sich in der Innenausstattung des türkischen Saales nicht. Allerdings wurde im Marokkanischen Haus im Schlosspark von Schloss Linderhof erstaunlicherweise das gleiche Textil verwendet. Hier dient es als Bespannung der Wandfelder des Salons. Experten vermuten dessen Herstellung in der Türkei, Marokko oder in Syrien.
Bevor das Marokkanische Haus im Auftrag Ludwigs II. auf der Pariser Weltausstellung 1878 angekauft und auf der Stockalpe nahe Linderhof wiedererrichtet wurde, hatte es bereits im Jahre 1873 auf Weltausstellung in Wien dem weltoffenen Publikum der Gründerzeit einen authentischen Eindruck marokkanischer Architektur und Wohnkultur vermittelt. Die gänzlich aus Holz gefertigte kleine maurische Villa wurde auf dem österreichischen Ausstellungsareal von marokkanischen Handwerkern aufgebaut und mit orientalischen Ausstattungsgegenständen eingerichtet. Fünf Jahre später diente sie auf der Pariser Weltausstellung der Präsentation kunstgewerblicher Produkte, unter anderem begehrter orientalischer Seidentextilien, wie sie sich an den Wandbespannungen des Marokkanischen Hauses in Linderhof und den Sitzpolstern der Schachen-Tabourets finden.
Mit dem Ankauf des Weltausstellungspavillons in Paris wurden neben diversen Möbeln nachweislich auch Tabourets nach Linderhof geliefert. Da Ludwig II. mit der authentischen Farbigkeit des marokkanischen Hauses und seiner Innenausstattung unzufrieden war, verlangte er, den Farbkanon der bemalten Hölzer seinem Geschmack und seinen Vorstellungen orientalischer Architekturfarbigkeit anzupassen. So wurde der ursprünglich buntere Anstrich durch flächige Blattvergoldung mit partieller Bemalung in Blau, Schwarz und Rot nobilitiert und somit an die persönlichen Bedürfnisse des Monarchen adaptiert.
Die auf vergleichbare Manier umgestalteten Tabourets gelangten somit wohl erst 1878 oder 1879 in das Königshaus am Schachen, nachdem sie auf Anweisung König Ludwigs II. ihre heutige Fassung erhielten. Auf einer Innenansicht des Malers Peter Herwegen von 1879 sind sie erstmals im Türkischen Saal des Königshauses auf dem Schachen belegt. Das Muster des rotblauen Lamés und die prägnanten Posamenten sind sehr gut sichtbar.
Die ursprüngliche Herkunft der Tabourets konnte bisher nicht eindeutig ermittelt werden. Neben ihrer Zugehörigkeit zum Konvolut der originalen Ausstattung des Weltausstellungspavillons wäre die Provenienz aus früheren Beständen des Wittelsbacher Mobiliars aus dem Umkreis Linderhofs ebenfalls möglich. In diesem Fall könnten die kostbaren orientalischen Stoffe der Wandbespannungen des Marokkanischen Hauses zur Polsterung der Tabourets zweitverwendet worden sein.
Die Nutzung der Tabourets durch Ludwig II. sowie 140 Jahre im rauen, hochalpinen Klima auf dem Schachen hatten sichtbare Spuren an den außergewöhnlichen Sitzmöbeln hinterlassen.
In der Möbelwerkstatt der Bayerischen Schlösserverwaltung wurden die klima- und nutzungsbedingten Schäden an den hölzernen Gestellen und deren Fassung restauriert. Dabei galt es lockere Holzverbindungen, Fugen und Risse zu verleimen und Ausbrüche innerhalb der Holzsubstanz zu ergänzen. Abblätternde und aufstehende Farbschichten wurden mit geeigneten Leimen gefestigt und Fehlstellen durch Retuschen farblich integriert. Um die ursprüngliche Bemalung nicht unwiederbringlich zu kaschieren, kamen ausschließlich reversible, d.h. jederzeit entfernbare Restaurierungsmaterialien zur Anwendung.
Die Konservierung der Sitzpolstertextilien wurde an eine freiberufliche Textilrestauratorin vergeben. Entsprechend des Konzepts der Fachrestauratorin des Restaurierungszentrums erfolgte eine aufwändige und schonende Reinigung der Polster. Gefährdete Schadstellen im orientalischen Seidenlamé wurden mit farblich passendem Seidentaft unterlegt und mit kaum sichtbaren, sogenannten Spannstichen in hauchdünnem Seidengarn gesichert. Abstehende Seidenfäden wurden mit Tylose fixiert und partielle Wachsflecken behutsam mechanisch entfernt. Danach erhielten alle Bezüge eine schützende, farblich passende Tüllkaschierung. Auch die Posamenten wurden fachgerecht gereinigt und restauriert.
Nach ihrer Restaurierung sind die Tabourets nun wieder im Türkischen Saal des Königshauses auf dem Schachen zu besichtigen. In dem von abendländischen Kunsthandwerkern im Stil des Orients geschaffenen Gesamtkunstwerk stellen sie aufgrund ihrer rätselhaften Herkunft und der authentischen orientalischen Seidentextilien eine beachtenswerte Besonderheit dar.