Am 11. August 1872, vor 150 Jahren, besuchte König Ludwig II. die Schachenalpe und das dortige, nach zwei Jahren Bauzeit vollendete Königshaus.
Mit nur drei lapidaren Zeilen verrät die Neue Würzburger Zeitung vom 25. Juli 1872 ein lang gehütetes Geheimnis: „S.M. der König wird sich in den nächsten Tagen von Schloss Berg auf den Schachen bei Mittenwald begeben und auf dem dortigen Bergjagdschlößchen einige Zeit verweilen.“ Kaum jemand konnte sich wohl damals vorstellen was auf der Schachenalpe auf 1866 Meter Bergeshöhe wirklich entstanden war. Obwohl während der Bauzeit immer als „Jagdhaus“ bezeichnet, hatte sich König Ludwig II. keinen königlichen Stützpunkt zur Hochwildjagd dorthin gebaut, was wohl für die meisten bayerischen Leser noch ein nachvollziehbares Ansinnen gewesen wäre, sondern vielmehr einen fantastisch gestalteten Rückzugsort am Rande seines Königreiches, wo er imaginär in ferne orientalische Welten entfliehen konnte.
Ganz unscheinbar hatten die Planungen zum Königshaus am Schachen im Jahr 1869 mit der Suche nach einem geeigneten Bauplatz für ein Jagdhaus begonnen, wobei anfangs noch ein anderer Standort im Rennen war. Am 12. September 1869, gerade mal eine Woche nach der Grundsteinlegung zur „Neuen Burg Hohenschwangau“ (also Neuschwanstein), unterzeichnete diesbezüglich Ludwig II. ein Dekret: „Ich beabsichtige im nächsten Frühjahr Mir auf dem Eckenberge bei Partenkirchen ein Jagdhaus nebst Küche und Pferdestallung erbauen zu lassen.“
Aber schon Anfang Oktober 1869 fiel die endgültige Entscheidung des Königs für die Schachenalpe: „Ich habe Veranlassung Meine Verfügung vom 12ten vorigen Monats dahin abzuändern, daß das neue Jagdhaus mit Küche und Stallung nicht auf dem Eckenberge, sondern am Wetterstein oberhalb der Schachenalpe erbaut werden soll.“
Um den königlichen Wunsch überhaupt erfüllen zu können, musste aber zunächst ein neuer Weg zum Transport der Baumaterialen geschaffen werden, den es bislang in dieser Bergeinsamkeit gar nicht gab und dessen Kosten – ganz abgesehen von den bautechnischen Schwierigkeiten – fast ebenso hoch waren wie jene des hochalpinen Königshauses selbst!
In Anbetracht der damaligen technischen Möglichkeiten gebührt dem königlichen Hofbauingenieur Joseph Röhrer und seinen Arbeitern der größte Respekt für diese schweißtreibende Arbeit, die jeder nachvollziehen kann, der diesen wunderschönen Weg schon selbst gegangen ist.
Trotz dieser Schwierigkeiten waren Weg und königliches Jagdhaus bereits im Herbst 1870 nach den Plänen und Kostenvoranschlägen des Hofbauingenieurs Röhrer zum geplanten Besuch des Königs bezugsfertig. Ludwigs allererster Aufenthalt im Schachenhaus vom 7. bis zum 9. Oktober 1870 verlief stürmisch: „Das vorgestern hier angelangte gemalte Fenster, welches in die im türkischen Zimmer auf den Balkon führende Thüre eingemacht war, wurde heute Nacht von dem fürchterlichen Sturme eingedrückt.“ (Kammerlakai Hartmann an Hofsekretär Düfflipp, 8. Oktober 1870) Auch hatte der Monarch sofort Kritikpunkte: „Majestät werden an dem hiesigen türkischen Zimmer nächstes Jahr einige Abänderungen vornehmen, weil es gegenwärtig keinem solchen ähnlich sehe.“
Diese vielleicht zunächst gering erscheinenden „Abänderungen“ waren aber doch nichts anderes als eine erhebliche Vergrößerung des oberen Stockwerks, das deshalb durch zusätzliche Stützen außerhalb der Hausmauern abgestützt werden musste, was auch heute noch jeder aufmerksame Besucher erkennen kann.
Dieser Eingriff, der die äußere Erscheinung des Königshauses gravierend änderte, wurde unverzüglich umgesetzt und vom König selbst Anfang August 1871 bei seinem zweiten Besuch kontrolliert. Auch sämtliche Ausstattungen, Stoffe, Lüster, türkische Tische und Hocker wies Ludwig mit genauen Angaben an. („wenn die Vorhangstoffe für den Schachen eingetroffen sind, möchten Majestät dieselben sehen“)
Mittlerweile sickerten aber doch sensationelle Details über das hochalpine Bergjagdschlösschen in die stets neugierige Öffentlichkeit: „In einem anderen, noch höher in der Felseinöde gelegene Hause, das seine Laune entstehen ließ, dem „Schachen“ auf dem Wetterstein, sprudelt ihm ein Springbrunnen mitten im Wohngemache.“ (Neue Freie Presse aus Wien vom 6. 10. 1871) Noch hielten die strapaziöse Unwegsamkeit die Berichterstatter auf Abstand: „Wir haben leider es versäumt, die Schachenalpe, die wohl vom Rainthalhof in der Nähe von Partenkirchen, dem letzten bewohnten Haus vor einer großen, wilden Einsamkeit, erstiegen wird, zu besuchen, auf welcher dieses neue lustige Noli me tangere in Arbeit sein soll.“ (Friedrich Lampert, der bekannte spätere Chronist König Ludwigs II. in „Über Land und Meer“ Nr. 39, vom 01.06.1872)
Noch im Mai 1872 wies der König persönlich an, die „Fächer und Vasen sollen um Vieles größer werden, wie die im Kioske in Berg“. Auch sollen die „flachen Dächer der beiden Seitenflügel des Hauses […] so gerichtet werden, daß Majestät darauf herumgehen können.“ Diese Plattformen über den Seitendächern wurden leider nach dem Tod Ludwigs II. 1886 wieder abgebaut, über ihre Bauart geben uns immerhin historische Fotografien Auskunft.
Alle Kräfte wurden aufgeboten die vom König angewiesene prunkvolle Ausstattung des türkischen Saals bis seinem Besuch im August 1872 fertigzustellen, wobei vieles von München auf das über 1.800 Meter hochgelegene Schachenhaus verfrachtet werden musste. Es gelang, den von Ludwig festgesetzten Termin einzuhalten. Nur wenige Tage vor dem königlichen Besuch konnte der „k. Hofbauinspector, Herr Röhrer, nach Vollendung des Jagdhausbaues am Schachen die Schlüssel dem Gg. Rieger, Groll, Söldner von hier übergeben.“ (Bericht des Forstamtes Partenkirchen am 07. August 1872)
Vom 11. bis zum 15. August 1872 konnte König Ludwig II. erstmals seinen farbenprächtigen türkischen Saal im Obergeschoss des Schachenhauses genießen.
Kaum aber war der König weg, gelang es einem konditionsstarken Paparazzo aus Wien das Geheimnis des gerade fertiggestellten „Secret Escapes“ zu lüften: „Das Königshaus, im schweizerischen Gebirgstyle erbaut, enthält ein Erdgeschoß von drei Zimmern und ein oberes Stockwerk, um das die Altane führt und in dem der Speisesaal liegt. Seine himmelblaue Decke ist mit goldenen Sternen besät; in seiner Mitte steht, vom Halbmond überragt, ein prächtiger Springbrunnen, an dem der Sonnenstrahl spielt, der durch die Fenster fällt.“ (Deutsche Zeitung vom 11. September 1872) Aber trotz dieser ersten und der noch (zum Leidwesen Ludwigs) zahlreichen folgenden Enthüllungsgeschichten hat das „Bergjagdschloss“ auf dem Schachen bis heute nichts von seiner Faszination und seinem geheimnisvollen orientalischen Zauber eingebüßt.