Wenn heute Abend zur Eröffnung der diesjährigen Residenzwoche ein Konzert im Kaisersaal stattfindet und die barocken Melodien von Marini und Legrenzi unter der vergoldeten Decke ertönen, dann nicht nur, weil dieser Prunkraum wohl den meisten Platz in der Residenz bietet, oder weil die Ausstattung des erst in den 1980er Jahren rekonstruierten Saals vergleichsweise robust Schallwellen und neugierig prüfenden Besucherhänden widersteht.
Vielmehr versammeln wir die Hörer dann auch an einem Ort, an dem solche Konzerte von jeher stattfanden, also auch damals, als die heute hier aufgeführte Musik noch brandneu war. Natürlich wurde schon immer und an vielen Orten in der Residenz musiziert: Zahlreiche Wittelsbacher haben sich im Lauf der Jahrhunderte im Vergleich mit dem allgemeinen fürstlichen Durchschnitt als außergewöhnlich musikalisch erwiesen, viele spielten Instrumente, manche komponierten (wahrscheinlich unter diskreter Anleitung des kurfürstlichen Kapellmeisters). Bei soviel Musikbegeisterung ist selbstverständlich, dass kleine Konzerte und Kammermusiken in praktisch jedem der fürstlichen Prunk- und Wohnräume abgehalten werden konnten. Dazu kamen die regelmäßige musikalische Untermalung der kurfürstlichen Mahlzeiten sowie die der täglichen Messen in der Hofkapelle. Weitere große Momente in einem Zeitalter, in dem Musik nur „live“ gehört werden konnte, waren die opulenten Opernaufführungen, die vor allem in der (großzügig terminierten) Karnevalszeit anberaumt wurden. Bevor Cuvilliés prachtvolles „Opera-Haus“ 1753 eingeweiht wurde, fanden solche Aufführungen entweder „direkt vor der Haustür“ der Residenz im nahen Salvatortheater statt, oder aber im Georgsaal, der im östlichen, ältesten Teil der Schlossanlage lag, in den Resten der Wasserburg aus dem 15. Jahrhundert, die erst ein Brand 1750 endgültig zerstörte.
Der Kaisersaal aber, entstanden um 1612, war im Speziellen im 18. Jahrhundert der Schauplatz der regelmäßigen „Akademien“. Bei diesen Veranstaltungen handelte es sich um mehr oder minder öffentliche Konzerte im einem fast schon heutigen Sinne. Wie viele Dinge, die unseren Vorvätern und –müttern Spaß machten, waren solche „Akademien“ nicht so sehr eine höfische Erfindung, sondern ein aus den Städten Italiens übernommenes Modell: Hier wurden an öffentlichen Veranstaltungsorten Adel und betuchte bürgerliche Mittelschicht beim Glücksspiel zusammengeführt und währenddessen mit Musik unterhalten. Dementsprechend fanden die ersten Münchner Akademien auch außerhalb der Residenz im öffentlichen Redoutenhaus statt, bis der Hof das Amusement für sich entdeckte und in den größten Saal der Residenz holte. Bei den Treffen im Kaisersaal, die in den Wintermonaten zwei- bis dreimal wöchentlich stattfanden, fiel den Zeitgenossen jedoch auf, dass von Anfang an die Musik deutlicher im Vordergrund stand. Das erstaunt, wenn man aus den Quellen erfährt, dass an diesen Tagen bis zu 38 Spieltischchen zwischen den frühbarocken Fensterpfeilern des Saals aufgestellt wurden. Allerdings war das Kartenspiel (anders als das Zuhören, das allen Anwesenden freistand) nur den adligen Höflingen gestattet – was diese sicher manchmal bedauerten, denn das Bürgertum hatte in seiner Börse oft mehr Geld zum Verlieren bei sich. Oft ließen sich bei diesen Gelegenheiten auch die Kurfürsten selbst – etwa Karl Albrecht oder Max III. Joseph – mit Familienmitgliedern auf ihren Instrumenten hören – dann ruhte das Kartenspiel natürlich…
Ab 1799 war dann erstmal Schluss mit Konzert und Spiel: Bayerns erster König Max I. Joseph ließ an Stelle des Kaisersaals, dessen schwere barocke Pracht dem Zeitgeschmack nicht mehr entsprach, Raumfolgen im modernen Klassizismus für seine Frau Caroline von Baden und sich selbst einrichte. 1945 wurden dann auch diese „Hofgartenzimmer“ des frühen 19. Jahrhunderts zerstört.
Anstatt sie wiederherzustellen entschied man sich, den älteren Saal des 17. Jahrhunderts zu rekonstruieren. Ob und wieweit dieses denkmalpflegerische Wagnis gelungen ist, mögen unsere Besucher entscheiden, wenn sie in Nachfolge der alten Akademien am kurfürstlichen Hofe heute Abend auf ihren Stühlen der alten, immer neuen Musik lauschen.