Geheimnisse

„Unter Clemens August da trug man blau und weiß, da lebte man wie im Paradeis …“ Ein Wittelsbacher am Rhein

Ellingen Schlosskapelle

Von Benedikt Bauer

Als eine der bedeutendsten Dynastien der Frühen Neuzeit regierten die Wittelsbacher nicht nur in Bayern und der Pfalz, sondern beherrschten zwischen 1583 und 1761 auch das Kölner Erzstift. Der wichtigste der fünf Wittelsbacher Kurfürsten und Erzbischöfe war der als „Monsieur de cinq églises“ bekannte Bruder des bayerischen Kurfürsten Karl Albrecht (1697-1745), Clemens August von Bayern (1700-1761), dessen Spuren noch heute auch in bayerischen Schlössern – wie Schloss Nymphenburg oder der Residenz Ellingen – zu finden sind.

Wappen Clemens August

Wappen von Clemens August über dem Altar der Schlosskirche der Residenz Ellingen.

Clemens August Ferdinand Maria Hyazinth von Bayern wurde am 16. August 1700 als vierter Sohn des „blauen Kurfürsten“ Max II. Emanuel von Bayern (1662-1726) und dessen Gattin Therese Kunigunde (1676-1730) in Brüssel geboren. Max Emanuel residierte am Vorabend des Spanischen Erbfolgekrieges (1701-1714) als Statthalter der Spanischen Niederlande in der heutigen belgischen Hauptstadt. Ein Kinderbild des dreijährigen Clemens August, der auf dem Portrait ein damals übliches Kleid für Kinder im Alter von ein bis sechs Jahren trägt, befindet sich heute im Festsaal des Schlosses Lustheim. Als nachgeborener Sohn war Clemens August für den geistlichen Stand vorbestimmt und von den Jesuiten im katholischen Glauben erzogen worden. Da Max Emanuel im Spanischen Erbfolgekrieg in der Schlacht von Höchstädt (1704) gegen die kaiserlichen Truppen verlor und über ihn und seinen in Kurköln regierenden Bruder Joseph Clemens (1671-1723) 1706 die Reichsacht verhängt worden war, musste er bis 1714 im Exil in Brüssel und Therese Kunigunde in Venedig bleiben. Die älteren Söhne Karl Albrecht, Philipp Moritz (1698-1719), Ferdinand Maria (1699-1738) und Clemens August wuchsen ohne Kontakt zu ihren Eltern in Graz auf, wo sie zu kaisertreuen Reichsfürsten erzogen werden sollten. Erst 1715 wurde die Familie im Schloss Lichtenberg am Lech wiedervereint, was auf einem Gemälde im Neuen Schloss Schleißheim als triumphale Rückkehr des Kurfürsten Max Emanuel inszeniert wurde. Dieser war mit dem Frieden von Rastatt (1714) in alle Ämter wiedereingesetzt worden. An die Kinder Max Emanuels wird heute noch im Vorzimmer des Nördlichen Appartements im Mittelbau von Schloss Nymphenburg in Form von Portraits erinnert. Clemens August wird dort neben seinen Brüdern als junger Bischof von Münster und Paderborn gezeigt. Für die Aufenthalte in den Sommermonaten verfügten alle Geschwister im ersten Südlichen Pavillon sogar über ein eigenes Appartement.

Clemens August um 1725

Clemens August als Kurfürst und Erzbischof von Köln um 1725, Residenz Ellingen

Wie alle weltlichen Reichsfürsten hatten auch die Wittelsbacher seit 1700 nach einer Königskrone gestrebt, die die volle Souveränität gegenüber Kaiser und Reich garantieren sollte. Nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges zeichnete sich mit dem vermeintlich nahenden Aussterben der Habsburger im Mannesstamm, die Möglichkeit der Erlangung der Kaiserwürde ab. Um den dafür nötigen Einfluss auf die Reichspolitik ausüben zu können, versuchte Max Emanuel seine Söhne mit zahlreichen Fürstentümern auszustatten. So wurde der erst 16-jährige Clemens August zum Fürstbischof von Regensburg gewählt. Ein von Francesco Trevisani gemaltes Portrait im Oratorium des kurfürstlichen Appartements im Neuen Schloss Schleißheim zeigt Clemens August 18-jährig als Regensburger Bischof. Auf einer Studienreise, die Clemens August zusammen mit seinem Bruder Philipp Moritz nach Rom unternahm, verstarb dieser plötzlich und unerwartet vor dessen Wahl zum Bischof von Münster und Paderborn. Ohne zu zögern ernannten die Domkapitel den jüngeren Wittelsbacherprinzen zum neuen Fürstbischof. Dies legte den Grundstein für Clemens Augusts Karriere als mächtiger Reichsfürst im Nordwesten Deutschlands. 1723 starb nun auch sein Onkel Joseph Clemens und Clemens August wurde, nachdem er bereits 1719 das Bistum Regensburg preisgegeben hatte, zum neuen Kölner Erzbischof und Kurfürsten gewählt. Mit dem Amt des Kölner Erzbischofs war nicht nur der Ehrentitel eines Reichserzkanzlers für Reichsitalien und die dritthöchste Stelle in der Reichshierarchie, sondern die Kurwürde verbunden. (Der Begriff des Kurfürsten leitet sich vom älteren Wort „küren“ für wählen ab, da die Kurfürsten den Kaiser wählten.) Clemens August war nach seinen Vorgängern Ernst (1554-1612), Ferdinand (1577-1650), Maximilian Heinrich (1621-1688) und Joseph Clemens (alle waren jeweils Onkel und Neffe) schon der fünfte Kölner Erzbischof aus dem Hause Wittelsbach, die fast 200 Jahre in Folge Kurköln regierten.

Die gesamte Dynastie verfügte 1742 über genug Stimmen im Kurkolleg, um Karl Albrecht gegen den Willen seiner Gegenspielerin Maria Theresia von Österreich (1717-1780) zum neuen römisch-deutschen Kaiser Karl VII. zu wählen. Die obligatorische Kaiserkrönung im Frankfurter Dom soll mit einer „unvergleichlichen Pracht“ vonstattengegangen sein und Clemens August, der mit mehr Gefolge als der neue Kaiser in Frankfurt eingezogen war, ließ es sich nicht nehmen, seinem älteren Bruder persönlich die Kaiserkrone aufs Haupt zu setzen. An die Krönung erinnert noch heute eine als bayerische Hauskrone geschaffene Barockkopie der Kaiserkrone. Diese befindet sich noch heute, leider ohne den ursprünglichen Edelsteinbesatz, in der Schatzkammer der Münchner Residenz. Das goldene Messgewand, das Clemens August während des Krönungsgottesdienstes getragen hat, kann noch heute in der Kölner Domschatzkammer bewundert werden.

Clemens August um 1735

Clemens August als Hoch- und Deutschmeister im Intarsienkabinett der Ellinger Residenz.

Trotz der familiären Bande unterstützte Clemens August die Politik seines Bruders nicht blind, sondern bedachte stets die Interessen seines eigenen Herrschaftsbereiches. So waren mit Unterstützung des Kaiserhauses in Wien die Bischofswahlen in Hildesheim und Osnabrück ebenfalls zu Gunsten des bayerischen Erzbischofs ausgegangen. 1732 war der Hochmeister des Deutschen Ordens, Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg, Spross der in Düsseldorf und Mannheim regierenden Nebenlinie der Wittelsbacher, verstorben und das Hochmeisteramt sollte nach dem Willen Karl Albrechts an ihren jüngeren Bruder Johann Theodor (1703-1763) fallen. Dieses prestigeträchtige Amt war in der Frühen Neuzeit zwar nicht mehr mit großem politischen Einfluss, jedoch mit hohen finanziellen Einnahmen verbunden gewesen. Daher strebte auch Clemens August nach der Leitung des Deutschen Ordens, sollte aber nach dem Willen seines älteren Bruders lediglich das Hochstift Lüttich erhalten. Durch einen politischen Coup Clemens Augusts, der sich mit den Habsburgern verbündet hatte, gelang es ihm, neuer Hoch- und Deutschmeister zu werden. Johann Theodor, der erst 1730 in München von Clemens August die Priesterweihe empfangen hatte, wurde dafür Fürstbischof von Lüttich. In den folgenden Jahren ließ sich Clemens August besonders häufig als Hoch- und Deutschmeister portraitieren und umfangreiche Baumaßnahmen am Mergentheimer Schloss durchführen. Der Sitz der wichtigsten der 13 Ordensballeien (Verwaltungsprovinzen) war Ellingen. Die dortige Residenz, die dieses Jahr das 300-jährige Jubiläum der Vollendung des Hauptbaues feiern kann, wurde 1740 und 1750 von Clemens August auf seinem Weg nach Bayern besucht und gefördert. Bis heute ist der Hoch- und Deutschmeister in Ellingen auf vielen Portraits und dem Wappen über dem Eingang der Schlosskirche präsent.

Clemens August in der Ahnengalerie

Clemens August Portrait in der Ahnengalerie der Münchner Residenz. Das Gemälde befindet sich über der östlichen Eingangstür neben weiteren Kirchenfürsten des Hauses Wittelsbach.

Als Ausdruck seiner persönlichen Frömmigkeit und um den päpstlichen Dispens für seine Wahl zum Bischof von Osnabrück zu erhalten, ließ sich Clemens August 1727 in Viterbo von Papst Benedikt XIII. zum Bischof weihen, was für Bischöfe des 18. Jahrhunderts keineswegs selbstverständlich war. Ein Gemäldezyklus im Oratorium de Schleißheimer Schlosskapelle dokumentiert die Messfeierlichkeiten. Nachdem Clemens August bereits an der Taufe des Kurprinzen Max Joseph (1727-1777) teilgenommen hatte, weihte er 1728 nach seiner Rückkehr aus Italien die Grottenkapelle der Magdalenenklause im Nymphenburger Schlosspark. Diese als Rückzugsort für die private Andacht errichtete Parkburg inspirierte Clemens August ab 1730 im „Busch“ des Jagdschlosses Falkenlust eine ähnlich gestaltete und der Heiligen Maria Aegyptiaca geweihte Kapelle zu errichten.

Neben seiner persönlichen Frömmigkeit zeichnete sich Clemens August durch eine Vorliebe für prunkvolle Hoffeste, die Parforce- und Falkenjagd, sowie Architektur aus. Neben dem Weiterbau des kurfürstlichen Schlosses in Bonn und des Schloss Clemensruhe in Bonn-Poppelsdorf, ließ er die Schlösser Herzogsfreude, Clemenswerth und die Michaelskirche in Berg am Laim errichten. Als sein Lieblingsbauprojekt kann der Bau der Brühler Schlösser Augustusburg und Falkenlust gelten. Für die Errichtung seiner Sommerresidenz (erbaut zwischen 1725-1768) wurde sogar der bayerische Hofarchitekt Francois de Cuvilliés (1695-1768) ins Rheinland entsandt. Das auch durch sein von Balthasar Neumann (1687-1753) und Michael Leveilly (1694-1762) entworfene Prunktreppenhaus bekannte Schloss Augustusburg verfügt im Cuvillieschen Speisezimmer sogar über die ältesten Rocaillen in Deutschland. Den Schlossgarten entwarf der Münchner Hofgärtner Dominique Girard (1680-1738) und die Fresken des auch in Ansbach, Ludwigsburg und Wien tätigen Carlo Carlone (1686-1775) in den Prunkräumen verherrlichen das Kaisertum der Wittelsbacher.

Zu den bedeutenden zeremoniellen Ereignissen im Laufe des Hofkalenders gehörten die kurfürstlichen Jagden, an denen ein Großteil der bayerischen Fürstenfamilie teilnahm. Im Jagdzimmer der Amalienburg im Nymphenburger Schlosspark zeigen mehrere großformatige Gemälde Peter Jakob Horemanns die Jagdpassion der Wittelsbacher. So ist auch Clemens August als Mitglied dreier Jagdgesellschaften zu identifizieren. Neben seiner Teilnahme an einer Parforce-Jagd in der Nähe von Schloss Fürstenried 1736, wird er auch als Teilnehmer einer Sauhatz im Jahre 1734, sowie als Falkner der Reiherbeiz vom 29. Juni 1741 gezeigt.

Kurkoelnisches Hofservice

Essig- oder Ölkännchen mit dem Monogramm des Kurfürsten Clemens August, Kurkölnisches Hofservice. Foto: Bastian Krack, © Bayerisches Nationalmuseum München.

Ebenfalls 1741 erteilte Clemens August der Porzellanmanufaktur in Meißen den Auftrag für die Herstellung eines Hofservices. Das als „Jagdservice“ oder „Kurkölnisches Hofservice“ bezeichnete Porzellan verfügt über ein aufwendiges Dekor mit goldenen Muscheln, dem Monogramm des Kurfürsten mit dem Michaelsorden, sowie naturalistischen Abbildungen von Pflanzen und Insekten, wodurch das naturwissenschaftliche Interesse des Kurfürsten bezeugt werden sollte. Nach dem Tod von Clemens August wurde das Hofservice versteigert, zwei Teller und ein Kännchen befinden sich jedoch heute als Teil der Porzellansammlung Schneider im Schloss Lustheim.

Paradeschlafzimmer Schloss Schleißheim

Das kurfürstliche Paradeschlafzimmer im Neuen Schloss Schleißheim.

Bei seinen häufigen Besuchen am bayerischen Hof, wie beispielsweise 1733, übernachtete Clemens August oft im kurfürstlichen Paradeschlafzimmer des Neuen Schlosses in Schleißheim oder in den später als Trierzimmer bezeichneten Appartements der Münchner Residenz. Hatte sich Clemens August zu Lebzeiten seines Vaters und Bruders beinahe jedes Jahr in München aufgehalten, besuchte er auch seinen Neffen Max III. Joseph regelmäßig, wie in den Jahren 1753 und 1755 . Eines der letzten Portraits des Kurfürsten, zeigt Clemens August als Musiker im Kreise der kurbayerischen und kursächsischen Familie während des Siebenjährigen Krieges (1756-1763). Das im Todesjahr von Clemens August, 1761, entstandene Gemälde Jakob Horemans (1700-1776), stellt den Kölner Kurfürsten an der Viola da Gamba dar und kann im Schlafzimmer des Nördlichen Appartements des Hauptbaus von Schloss Nymphenburg betrachtet werden.

Schloss Nymphenburg_Musizieren Kurbayerische Familie

Das Gemälde von Peter Jakob Horemans zeigt die kursächsische und –bayerische Familie beim Musizieren während des Siebenjährigen Krieges. Es stellt Clemens August in seinem Todesjahr, 1761, an der Viola da Gamba dar.

Mitten im Siebenjährigen Krieg verstarb Clemens August überraschend 1761 bei einem Aufenthalt beim Trierer Kurfürsten in Koblenz-Ehrenbreitstein. Gemäß der damals üblichen Mehrfachbestattung wurde sein Leichnam im Kölner Dom, Augen, Zunge und Gehirn in Bonn und sein Herz in der Gnadenkapelle von Altötting begraben. Mit Clemens August endete die Ära der Wittelsbacher Erzbischöfe in Kurköln, da in der nächsten Generation nicht mehr genügend nachgeborene Prinzen zur Verfügung standen. Die Nachwelt dichtete in Erinnerung an den „Herrn von Fünfkirchen“ und als Kritik an der, aufgrund der von Clemens August ererbten Schulden, notwendigen Sparpolitik des neuen Erzbischofs den Ausspruch: „Unter Clemens August da trug man blau und weiß, da lebte man wie im Paradeis. Unter Max Friedrich da trägt man schwarz und rot, da leidet man Hunger und die bitt`re Not.“

 


Benedikt Bauer war im März 2020 Praktikant in der Museumsabteilung der Bayerischen Schlösserverwaltung. Er arbeitet neben seinem Studium der Kunstgeschichte an der Universität Bonn als Schlossführer in der UNESCO-Welterbestätte Schlösser Augustusburg und Falkenlust in Brühl bei Köln.