Weihnachten – das wird ja viel zu oft vergessen – ist ja nicht nur die Zeit der Innerlichkeit und Besinnlichkeit, die Feier der Familie und der Nächstenliebe, sondern wunderbarerweise auch die Zeit der Geschenke, solcher die man gern macht und noch lieber erhält. Manchmal ergibt sich die Gelegenheit, beides optimal miteinander zu kombinieren und sich selbst ein Geschenk zu machen – der Vorteil liegt auf der Hand: das lästige Warten auf das Christkind kann abgekürzt, unnötiges Einpackpapier umweltfreundlich eingespart werden – und man bekommt genau das, was man will!
So freuen wir uns in der Residenz dieser Tage besonders über eine solche selbst organisierte Liebesgabe an unser Schloss und unsere Sammlung: Ist es doch gelungen, auf einer der letzten Auktionen eine schöne Zeichnung aus dem 19. Jahrhundert zu erstehen – ein überlebendes Zeugnis eines der einst wohl beeindruckendsten Raumkunstwerke der Residenz, der Allerheiligenhofkirche: Diesen großzügigen Sakralbau im Osten des Residenzareals hatte der nimmermüde Hofarchitekt Leo von Klenze zwischen 1826 und 1837 im Auftrag König Ludwigs I. errichten lassen.
Die neue Hofkirche sollte nicht nur die Funktionen der alten barocken Hofkapelle aus dem 17. Jahrhundert übernehmen, von dem Bauprojekt ging auch eine über die Residenz ausstrahlende Signalwirkung für das Königreich aus, handelte es sich doch um den ersten repräsentativen Kirchenneubau seit der Säkularisation, der Enteignung der Kirchengüter zu Beginn des Jahrhunderts, die der Krone finanzielle wie territorial viele Vorteile, daneben aber natürlich massive gesellschaftliche Konflikte beschert hatte. Die programmatische Weihe des Gotteshauses als die Kirche gleich „Aller Heiligen“ sollte insofern auch Signal eines neuen Bündnisses von Thron und Altar sein. Dass der Thron dabei aus Sicht Ludwigs I. nicht zu kurz kommen sollte, das fand bereits in der Ausstattung der neuen Hofkirche zum sichtbaren Ausdruck: Als unmittelbares Vorbild seines Neubaus schwebte dem König die hochmittelalterliche Palastkapelle von Palermo vor, die die normannischen Eroberer Siziliens im 12. Jahrhundert als eindrucksvolle Manifestation ihrer neu errungenen Herrschaft über die reiche Mittelmeerinsel und ihr antikes Erbe hatten errichten lassen.
Ludwig hatte die Cappella Palatina während einer seiner zahlreichen Italienreisen kennen- und im Zuge einer inspirierenden Weihnachtsmesse spontan lieben gelernt. Er war hingerissen von der weihevollen Stimmung die von den überaus üppig mit Mosaikbildern auf goldenem Grund ausgeschmückten Kuppeln ausging: Byzantinische Künstler hatten diese in mühevoller Arbeit mit Hundertausenden winziger Steinchen aus Glaspaste, teils mit Goldfolie hinterlegt, in den Putz der Wände und Gewölbe hinein“gemalt“. Eine solche wahrhaft königliche Kapelle im „byzantino-normannischen Stile“ wollte Ludwig auch seinem klassizistischen Königsbau angliedern, ein Plan, der dem Kummer gewöhnten Klenze, dessen Mittelalterbegeisterung eher gegen Null tendierte, – vorsichtig gesprochen – wenig behagte. Da byzantinische Mosaikkünstler seit einigen Jahrhunderten bereits Mangelware waren, entschied man sich, die neue Kirche flächendeckend mit buntfarbigen Malereien auf Goldgrund dekorieren zu lassen, die den Pomp der schimmernden Steinlegearbeiten gewissermaßen imitieren sollten.
Bis 1837 wurden Kuppeln und Wände mit alt- und neutestamentlichen Szenen, Darstellungen der Verherrlichung der Jungfrau und der Dreifaltigkeit, von Aposteln und Propheten ausgeschmückt. In den Zwickeln der zweiten flachen Kuppel, die das Kirchenschiff überspannten, erschienen die Figuren der vier Evangelisten – und dienten an dieser statisch relevanten Position anspielungsreich tatsächlich als „Stützen“ der christlichen Heilsbotschaft, die das Bildprogramm der Kirche in der lichten Höhe des Gewölbes verkündete.
Unsere neu erworbene Graphik zeigt eine Vorzeichnung für eine dieser Evangelistenfiguren bzw. für die mit der Einweihung 1837 erschienene Graphikmappe, die die gesamte malerische Ausstattung in aufwendigen Litographien einem überregionalen Publikum vorstellte.
Sie stammt wohl von dem ausführende Künstler Heinrich Maria Hess selbst, der den Heiligen hier mit peniblem Bleistiftstrich auf das Papier gesetzt hat: Dargestellt ist der bärtige Matthäus, begleitet von seinem traditionellen Attribut, dem Engel, der ihm das Tintenfass hält und damit auf die göttliche Inspiration des Evangelisten verweist. Ein weiterer Himmelsbewohner hält rechts des Schreibenden die Tafel, auf der bereits der berühmte Beginn des heiligen Textes, der die Ahnenreihe Jesu auflistet, eingetragen ist.
Die ganze Komposition sowie die Figurenbildung lehnen sich allerdings nicht an die stark stilisierten mittelalterlichen Ikonen der byzantinischen Kunst an, sondern auch hier „griff“ man neuerlich auf ein repräsentatives Vorbild zurück, das die Abfolge der historischen Stile anbot, nämlich die italienische Hochrenaissance, mit ihren im 19. Jahrhundert stets gepriesenen „Göttern“ – Raffael und Michelangelo.
Für uns ist das schöne kleine Blatt ein besonders kostbares Bilddokument, ist doch die malerische Ausstattung der Allerheiligenkirche bis auf geringste Reste 1944 für immer untergegangen!