Kurz vor Weihnachten haben wir in der Residenz auch einmal Nikolaus gespielt und uns selbst – und damit auch stellvertretend unsere Besucher – mit einem schönen Stück aus dem Kunsthandel beschenkt: Während aber der fromme Bischof Nikolaus aus dem kleinasiatischen Myra armen Mädchen in Not Goldklumpen in die aufgehängten Strümpfe zu werfen pflegte, landete bei uns ein silberner Teller auf dem Gabentisch; und während besagte Socken zum Trocknen über dem Kamin hingen, in dem ein lustiges Feuerchen brannte, stammt unser Erwerbung aus den Tiefen des feuchten Nass….
Die tief gemuldete Rundschale mit dem dekorativen „Umbo“, einem polierten Schildbuckel am Boden, ist mit einem Durchmesser von gut 33 cm und ihrem stattlichen Gewicht von einem Dreiviertelkilo schon von sich aus ein beachtliches Prunkstück. Zusätzlich interessant für uns wird sie durch das aufgravierte Rautenwappen mit den beiden Löwen und der Buchstabenfolge MHIB – die steht für einen der bekanntesten Residenzbewohner: Maximilian (I.), Herzog In Bayern. Bekanntlich hat der ehrgeizige Machtpolitiker (1573-1651), der 1597 von seinem abgedankten Vater, dem melancholischen (und bankrotten) Wilhelm V., die Regierung übernahm, im Laufe seiner Herrschaft einen beachtlichen und folgereichen Karriereschritt hingelegt: Die Erhebung zum ersten bayerischen Kurfürsten durch den kaiserlichen Vetter Ferdinand II. im Jahr 1623. An diese denkwürdige Rangerhebung erinnert auf unserem Teller, der noch für den schlichten Herzog Maximilian, also vor den 1620er Jahren angefertigt worden ist, der kleine Reichsapfel, der nachträglich ins Zentrum des Rautenwappens hineingestochen wurde: Das symbolschwere Kleinod war das Zeichen des mit der bayerischen Kurwürde verbundenen Amts des Reichs-Erztruchsess und machte aus dem nur noblen einen wahrhaft fürstlichen Silberteller, ohne auch noch das herzogliche „H“ in ein „churfürstliches“ „C“ umgravieren zu müssen.
Außer der der rückseitig eingravierten Zahl „76“, die uns darauf hinweist, dass wir es mit einem Teil aus einem mehr als fünf Dutzend Silberstücke umfassenden Service zu tun haben, findet sich auf der Standfläche des Tellers der sogenannte „Tremolierstich“, die gezackte Schabspur eines ausgekratzten Silberspans. Ein solcher wurde routinemäßig von fertigen Silberstücken abgestochen und untersucht, um festzustellen, ob das edle Metall auch im richtigen Legierungsverhältnis verarbeitet worden war. Erst nach bestandener Probe setzten die Augsburger Prüfungskommissare ihr Qualitätsstempel neben die eingeprägte Monogramm-Marke des ausführenden Goldschmieds. Übrigens findet sich auch dieses Meisterzeichen auf unserem Teller und weist diesen als Werk des 1640 gestorbenen Meisters Hans II Priester aus, der seit ca. 1612 seine Werkstatt in Augsburg unterhielt – dem internationalen Zentrum für Silberarbeiten aller Art.
Der Teller gehört so zu den umfänglichen Bestellungen an Tafelsilber, die Maximilian I. zu Beginn des 17. Jahrhunderts an Münchner und Augsburger Goldschmiede vergab: Denn parallel zu dem rigorosen Sparkurs, mit dem der neue Mann an der Spitze erfolgreich bemüht war, den väterlichen Schuldenberg abzutragen, richtete der Wittelsbacher seinen Ehrgeiz darauf, schrittweise erneut „aynen Schatz zu machen“, wie es der Zeitzeuge Philipp Hainhofer beobachtet: Ein Sparpfennig in gegossener, getriebener und ziselierter Form – schließlich war das kunstvoll verarbeitete Silber in den fürstlichen Residenzen der Frühen Neuzeit immer auch ruhendes Kapital, das im Notfall zu Münzgeld geprägt werden konnte! Zugleich wies Maximilians Anhäufen wertvollen Tafelgeräts aber auch auf den Reichtum und Luxus des Münchner Hofes hin und das geschah nicht ohne Grund in denselben Jahrzehnten, in denen Maximilian auch seine ererbte Residenz prachtvoll um den neu angelegten Kaiserhof herum erweitern ließ: Wichtiges Ziel all dieser Prunkentfaltung war, die politische Führungsrolle, die der machtbewusste Noch-Herzog für sich am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges reklamierte, den beeindruckten Zeitgenossen anschaulich vor Augen zu führen.
Doch unser Teller berichtet nicht nur von hochgespannten Erwartungen und einer erfolgreichen Machtpolitik, sondern auch von den Grenzen, die solchen weitreichenden Plänen gesteckt sind: Konnte Maximilian in den ersten Jahren des mörderischen Kriegstreibens als eigentliches politisch-militärisches Haupt der katholischen Partei im Reich zahlreiche Erfolge verbuchen, änderte sich die Situation grundlegend, als der „Löwe von Mitternacht“, der schwedische König Gustav Adolf, ab 1630 in das Kriegsgeschehen eingriff: Prompt besetzte der ungemütliche Skandinavier 1632 München, das Maximilian fluchtartig verlassen musste, und ließ sich nur mit einer gewaltigen Geldzahlung bewegen, wieder aus der Residenz, in der er Quartier genommen hatte, abzuziehen. Mit Maximilians Plänen, sich weiter „aynen Schatz zu machen“, war es erst einmal aus. Zwar war Gustav Adolf noch im November desselben Jahres so zuvorkommend, in der Schlacht bei Lützen zu fallen, die schwedischen Armeen aber blieben weiterhin in Deutschland. Zu allem Überfluss kehrten sie1648, also kurz vor dem Ende des jahrzehntelangen Mordens, noch einmal nach Bayern zurück.
Diesmal wollte Maximilian auf die Invasion besser vorbereitet sein: Außer seiner Familie ließ er auch die Bestände seiner Silberkammer einpacken, darunter auch das elegante Service, zu dem unser Teller Nr. 76 gehörte, um es auf dem Inn ins sichere Braunau zu flüchten. Nachdem man das gefährdete München verlassen und Schiffe bestiegen hatte, scheint die Stimmung an Bord gleich blendend gewesen zu sein: Offensichtlich kreiste die Weinflasche und machte auch beim Führungspersonal nicht halt. Als die kurfürstliche Flotte bei Mühldorf die Brücke passierte, sah der Steuermann des „Kuchlschiffs“ schon doppelt: Anstatt zwischen den Brückenpfeilern hindurch zu navigieren, produzierte er einen astreinen Auffahrunfall: 500 Stück Silber im Gesamtgewicht von 1008 Mark, das sind etwas 238 Kilogramm Edelmetall, mit dem Maximilian gern noch die eine oder andere Kanone abbezahlt hätte, gingen im Wortsinne den „Bach runter“, sodass seitdem nun nicht nur mehr die Rheintöchter auf den Nibelungenhort aufpassen dürfen, sondern auch die bayerischen Inn-Nixen einen Schatz hüten können: Denn eine eilig eingeleitete Rettungsaktion blieb erfolglos.
Auch in den Jahren und Jahrzehnten danach wurde der kurfürstliche Silberschatz nicht geborgen – oder ein paar mittlerweile sehr wohlhabende Mühldorfer wussten sehr gut zu schweigen… Nur ein Bruchteil der Unglücksfracht, ein im 19. Jahrhundert geborgener Löffel und ein paar Teller, sind seit damals wieder aufgetaucht. Zu ihnen gehört unsere Glückszahl 76, die in ihrem glänzenden Rund eine ganzes, wichtiges Kapitel bayerischer Landes- und natürlich auch Residenzgeschichte spiegelt.
Ab Sommer können Besucherinnen und Besucher diesen traurig-schönen Rest der maximilianischen Silberkammer in unseren neuen Ausstellungsräumen im wiedereröffneten Königsbau bewundern!