Eine Woche, die auf das magische Datum des 25. August folgt, darf in der Schlösserverwaltung nicht enden ohne einen Beitrag auf das prominenteste Geburtstagskind, das wir in den Annalen unserer ehrwürdigen Institution aufführen dürfen:
Ludwig II., der bei Landeskindern und internationalen Tourismusverbänden gleichermaßen beliebte Monarch, dessen „märchenkönigshafte“ Leben nicht ganz so zuckersüß unter weißblauem Himmel verlief, wie Postkarten und Bildbände über seine historistischen Schlossbauten es suggerieren. Tatsächlich ist der „Kini“ als Persönlichkeit durchaus viel interessanter gewesen, als es die Fokussierung auf den feucht-rätselhaften Tod im See und die verdrückte Sisi-Seligkeit in diversen Filmen vermuten lassen (tatsächlich war die kaiserliche Cousine in Wien des Öfteren ganz schön genervt vom bayerischen Vetter…).
Zum Beispiel bestand die Motivation der auch für ihre Zeit spektakulär aufwendigen Schlossbauten nicht (nur) in dem exaltierten Versuch, sich einer als feindlich empfundenen Umwelt zu entziehen oder in der Flucht in eine Phantasiewelt mit permanenter Wagnermusik im Hintergrund. Wie viele seiner Zeitgenossen, versuchte Ludwig II. mindestens genauso, mittels der historischen Architekturvorlagen, die er für seine Neubauten wählte, eine Art öffentliches Statement abzugeben. Diese Strategie war im Zeitalter des Historismus, in dem die Geschichtsschreibung Argumente für das politische und gesellschaftliche Leben der Gegenwart lieferte, gang und gäbe – und gar nicht märchenhaft versponnen: Wenn das Münchner Rathaus im neogotischen Stil errichtet wurde, wollte man damit nicht zuletzt eben auch auf die große Tradition kommunaler Selbstständigkeit verweisen, wie sie etwa in den niederländischen Städten des 15. Jahrhunderts geblüht hatte, als dort ähnliche Rathaus-Paläste entstanden, die den Münchnern nun als Vorbild dienen konnten.
Gar nicht so sehr bekannt ist übrigens, dass Ludwig mit solchen baulichen Kundgebungen nicht in der bayerischen Bergwelt begann, sondern brav „zuhause“, in seiner Haupt- und Residenzstadt: in seinem ersten, unter seiner Leitung eingerichteten Wohnappartement, das wie so vieles in der Residenz 1944 unterging.
Als Kronprinz hatte der junge Ludwig räumlich möglichst weit entfernt von den Gemächern der ungeliebten Eltern eine Wohnung am anderen Ende der Residenz, nämlich im Zwischengeschoss des Trakts am Hofgartens bezogen. Dass seine Räume auch nach der Thronbesteigung 1864 weiterhin in diesem Bereich verblieben, war bereits ein Zeichen: er wollte nicht in den südlichen Königsbau, in dem die Vorgänger residiert hatten. Der neue Mann an der Spitze bestand vielmehr auf „etwas eigenem“ – auch wenn das hieß, das gesamte etablierte Wegesystem der Residenz umzustoßen, weil das neue Appartement im Obergeschoss des klassizistischen Klenzepavillons am Odeonsplatz nur schwer zu erreichen war.
Wie die neue Königswohnung aussehen sollt, kristallisierte sich dann erst in verschiedenen Stufen heraus – ähnlich, wie wir uns heute einrichten: Oft sieht man erst nach dem Streichen, was für ein fundamentaler Fehlschlag die Farbwahl „Olivebeige“ war.
Die erhaltenen Briefe, die Ludwig an seinen Hofsekretär und den Hofbauinspektor schickte, erwecken den Eindruck, als sei der Ausstattungs-Appetit erst mit dem Essen gekommen: Immerhin wusste Ludwig, hier schon ganz der anstrengende Auftraggeber der späteren Jahre, was er nicht wollte. Im November 1867 schließlich scheint eine endgültige Vision in ihm Gestalt angenommen zu haben, die man aus heutiger Sicht vielleicht unter das Motto „Mehr ist mehr“ stellen könnte: „Ich habe mich nun zur Genüge überzeugt, dass [Bauinspektor] Riedel gar keinen Begriff hat von dem prunkvollen, erhabenen Styl, wie er zur Zeit Ludwigs XIV. der herrschende war, und der bei der Herstellung meiner Gemächer der einzig maßgebende sein soll“ schrieb er voll königlicher Ungeduld. Nach diesem Rüffel ging dann alles ganz fix: Schon im Spätsommer 1868 scheint das Appartement fertiggestellt gewesen zu sein – nämlich in einem überbordenden neobarocken Stil, der Vorbilder aus der Epoche des französischen Sonnenkönigs (1638-1715) aufgriff.
Dass trotzdem kein „nouveau Versailles“ entstand, sondern etwas Neues, lag nicht zuletzt daran, dass sich die ganzen, kunsthandwerklich perfekt gestalteten Stilmöbel in einem vergleichsweise winzigen Raumvolumen zusammendrängten und so für heutige Betrachter das typische Gefühl gründerzeitlicher Klaustrophobie – pardon: Gemütlichkeit – erzeugten.
Im Residenzschloss eines noch jungen Königreichs, das als solches erst knapp sechs Jahrzehnte existierte und in dem die Monarchie konstitutionell verfasst war, hatte solch eine Bezugnahme auf die historische Herrschergestalt, die wie keine andere den Absolutismus von Gottes Gnaden verkörperte, eine beunruhigende Aussage: Hier war ein König, der mit der vorgefundenen Rolle in Staat und Gesellschaft keineswegs zufrieden war! Und da man noch am Anfang der Regierung stand und Ludwig II. noch ein unbeschriebenes Blatt war, durfte man nach einem solchen Startschuss davon ausgehen: Das kann ja heiter werden…
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