Auch heutige Besucher unseres Schlosses werden sich nach einem rasch erledigten Rundgang durch circa hundert derzeit geöffnete Schauräume des Eindrucks nicht erwehren können: Hier ist einfach nicht genügend Platz, um sich auch einmal auszubreiten. Dies scheint zumindest der Eindruck der fürstlichen Bewohner des 17. Jahrhunderts gewesen zu sein.
Wie erklärt sich sonst, dass, während die Residenz auf Befehl Maximilians I. hin eifrig auf annähernd ihre heutige Größe ausgebaut wurde, dessen Vater, Herzog Wilhelm V., sich eine gleichfalls riesige, eigenen Stadtresidenz errichten ließ – die nach ihm sogenannte „Wilhelminische Veste“, die später in „Maxburg“ umgetauft wurde. Dieser riesige Gebäudekomplex, der im wesentlichen in den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts entstand, erstreckte sich hinter dem etwa zur selben Zeit intensiv durch Wilhelm geförderten Bau des Kollegs für den Jesuitenorden bis zur Stadtmauer – nur ein paar hundert Meter von „unserer“ Residenz entfernt (im 17. Jahrhundert hieß das allerdings schon fast am anderen Ende Münchens…).
Was aus heutiger Sicht zunächst als unnötiger Luxus erscheint, hatte aus Sicht der fürstlichen Bauherren durchaus seine Berechtigung: Maximilian hatte nach längerer Vorbereitung die Herrschaft über Bayern noch zu Lebzeiten seines Vaters Wilhelm angetreten, der 1597 nominell abdankte und im Folgejahr die Regierung auf seinen Sohn übertrug.
Ein Grund für diesen ungewöhnlichen Schritt scheint die mentale Verfassung des Altherzogs gewesen zu sein, seine von vielen Zeitgenossen bestätigte „Melancholey“. Diese äußerte sich in Schwermut und Lebenszweifel, die ihre Bewältigung in einer immer weiter getriebenen Frömmigkeit fanden, die gleichzeitig die weltliche Herrschaft als zunehmend verachtenswert erscheinen ließ. Ein etwas handfesterer Grund dürften daneben allerdings auch die massiven Schulden gewesen sein, die Wilhelm in den Jahren zuvor aufgehäuft hatte – der Bau des neuen Stadtschlosses weist darauf hin, dass die Aufgabe dieser lieben Gewohnheit ihm eher schwer fiel. Für zwei Herzöge aber war die Residenz als bayerisches Herrschaftszentrum tatsächlich zu klein – wie ein Altbauer sein Austragshaus neben dem Hof seines Erben bezieht, brauchte Wilhelm also dringend einen repräsentativen, eigenen Wohn- und Alterssitz. Doch wie konnte man weiterhin würdig repräsentieren, ohne dem regierenden Sohn die „Schau zu stehlen“? Frömmigkeit und Devotion des herzoglichen Ruheständlers wiesen den Weg: So wie Kaiser Karl V. nach seiner spektakulären Abdankung einige Jahrzehnte zuvor offiziell mönchisches, weltabgewandtes Leben im spanischen Kloster San Yuste geführt hatte, wollte sich Wilhelm in seinem eigenen Klosterpalast, ganz nahe bei den geliebten Patres des Jesuitenordens, seiner spirituellen Vervollkommnung widmen und den irdischen Tod abwarten. Diese Askese sollte aber natürlich ein einem angemessenen fürstlichen Rahmen stattfinden. Der neue Palast hinter der Michaelskirche spiegelte diese Vision wieder: er präsentierte sich von außen relativ schlicht, war aber zugleich riesig.
Das Innere gemahnte in einer gewissen Düsternis und in der prachtvollen, bald aber schon etwas altmodischen Ausstattung tatsächlich an eine Kosteranlage, jedoch an eine ausgesprochen luxuriöse. Ein Besucher Wilhelms, der Augsburger Kunstagent Philipp Hainhofer, beschrieb 1611 die „sehr vil Zimmer“, die alle auf Höfe und in den Stadtgraben blickten: „Ich glaub, dass es vber die 200 thürn habe, ist ein unaussprechlich holtzwerckh an thürgerichten und täfern [Getäfel] inn disem baw, hat grosse und kleine Zimmer, gar lange gäng […]“ – daneben beeindruckte ihn auch die Vielzahl von Privatkapellen und kleinen Gärten. Das eigentliche Schmuckstück der gesamten Anlage war aber zweifellos die Grotte, eine künstliche Einsiedelei, in der sogar zwei Eremiten lebten und beteten – eine barocke Inszenierung, die übrigens in dieser Zeit kein Einzelfall war: Gern wurden arbeitslose oder invalide Soldaten für ein solches halb theatralisches Mönchsleben verplichtet – quasi eine frühneuzeitliche ABM.
Noch einmal Hainhofer, der als Protestant unglaublich von dieser halb echten, halb falschen Eremitage fasziniert war und sich köstlich über den diensttuenden Klausner amüsierte: „Die grotta, so inn disem newen baw, ist von rechtem felsen zusammen gemacht, mit eingehauenen Zellen, mit Dannen vnd wilden baümen besetzt, quilt ein wässerlin auss dem felsen herauss […]. Imm bächlein wie dass wasser heraussquillet, ligen in bley gegossene Schlangen, Edexen, Krotten, Krebs und der suppelex inn diser grotta ist alles nur von bast, stro, raiss vnd steckhen zusammengeflochten, der Altar von Felssen. […] An der maur hats einen baum, darinn steckht ein Zapfen, wann man Ihn herausszeücht, so sihet man durch den baum hinauss an stattthurn vnd an die vhr wie viel es geschlagen vnd ist dises dass Merckhzeichen diser grotten.“
Nach dem Tod seines Abbauers diente die „Wilhelminische Veste“ meist nachgeborenen Prinzen des Hauses Wittelsbach als Wohnung, etwa Wilhelms Enkel Maximilian Philipp, nachdem der weitläufige Stadtpalast in „Maxburg“ umbenannt wurde. Im zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude zerstört, nur der Turm blieb stehen und ist heute das freistehende Wahrzeichen der 1954 bis 1957 von Sep Ruf und Theo Pabst errichteten Büro- und Geschäftsgebäudes, der „neuen Maxburg“.