Geheimnisse

„Was mögen wohl wir armen Münchner verschuldet haben, daß uns der Himmel so gewaltig zürnt?“

Ludwig Sophie Entlobung_Albert_1867

Lange schon gab es Gerüchte, unbestätigte Meldungen, zweideutige Hinweise, aber bis zuletzt auch begründete Hoffnungen und erwartungsvolle Freude auf ein royales Hochzeitsfest von König Ludwig II. mit Herzogin Sophie. Am 10. Oktober 1867 überraschte die Auflösung der Verlobung des bayerischen Monarchen mit seiner Prinzessin das bayerische Volk und sorgte darüber hinaus für internationale Schlagzeilen.


Es gehörte schon seit je her zum journalistischen Metier ausführlich über sensationelle Gerüchte und Halbwahrheiten zu berichten, um sie in den nächsten Zeilen als unbedeutend und unbegründet abzuurteilen. Im Volke hörte man jüngster Tage gar seltsamliche Vermuthungen über die bevorstehende Vermählung des Königs. Es heißt z.B., der Kaiser und die Kaiserin von Oesterreich seien eigens in’s Bayerland heraufgereist, um Se. Königl. Maj. gelinden moralischen Zwang anzuthun, daß die Heirath mit der Tochter des Herzogs Max nicht zurück gehe.“ Beschwichtigend lenkt der Nürnberger Anzeiger (24.09.1867) die Aufmerksamkeit der Leser anschließend sofort auf die schon weit fortgeschrittenen Hochzeitsvorbereitungen: Die Maler und Anstreicher sind in voller Thätigkeit, alle öffentlichen Stellen stehen in Unterhandlungen mit Tünchern und Tapezierern, um die betreffenden Staatsgebäude offiziell zu beflaggen, zu betünchen und zu drappieren.“

Vermählungsfeier Ludwig II

Anzeige der Firma Riedinger & Morstadt (München) zum Kauf von „Festbeleuchtungen „zur bevorstehenden Vermählung Sr. Majestät des König Ludwig II.“ in den Neuesten Nachrichten vom 15. September 1867

Trotz noch vagem Hochzeitstermin, der scheint nun sicher Ende November stattfinden zu sollen, beruhigten gerade die ausführlichen Berichte über die kostspieligen Accessoires zur königlichen Vermählung die immer wieder aufkommenden Zweifel in der Bevölkerung: Die Purpurmäntel, welche das königliche Brautpaar zu dem Vermählungsakte anlegen wird, werden bereits von Hrn. Hofgoldsticker Alkens angefertigt, dieselben kosten 12,000 fl.; ebenso ist in der Fabrik des Hrn. Gerdeisen (Firma Schreibmayer) dahier der große Teppich bereits in Arbeit, mit welchem der Fußboden der St. Michaelskirche belegt werden wird; der Preis dieses Teppichs soll circa 14,000 fl. betragen. (Augsburger Tagblatt vom 02.10.1867) So mancher sich bis heute haltende Aberglaube verhinderte auch damals schon gewisse Termine: Die Vermählung war dieser Tage auf den 29. Nov. festgesetzt. Diese Bestimmung wurde aber zurückgenommen, da genannter Tag ein Freitag ist, woran die Königs-Braut Anstoß nahm. (Kemptner Tagblatt vom 03.10.1867). Na dann muss es halt ein Donnerstag sein, nur schnell die Münzen geprägt, damit nichts mehr dazwischenkommt!

Verlobung Ludwig Sophie Münze_L2

Silbermedaille auf die geplante Hochzeit König Ludwigs II. mit Sophie Charlotte Herzogin in Bayern, Staatliche Münzsammlung München

Möglicherweise war vielleicht doch ein wahrer Kern in der oben erwähnten Nachricht über den kaiserlichen Besuch aus Österreich Ende September 1867 in München, dessen letztlich gescheiterte Mission in den Wiener Hofkreisen wohl nicht geheim gehalten werden konnte: Die Wiener Gemeinde-Zeitung bringt folgenden – nach unserer Ansicht lügenhaften – Artikel: München. König Ludwig II. hat dem Vernehmen nach aus nicht angegebenen Gründen das Projekt seiner Heirath mit der Herzogin Sophie, Schwester Ihrer Maj. der Kaiserin Elisabeth von Oesterreich, aufgegeben.“ (Augsburger Neueste Zeitung vom 05.10.1867) In Bayern ignorierte die Journalistenschaft diese wienerische Vorahnung erstaunlich konsequent und der König begrüßte derweil am 6. Oktober das durchreisende preußische Königspaar in Augsburg, diesmal nicht wie zwei Monate zuvor – beim Besuch des französischen Kaiserpaars am gleichen Ort – mit seiner Braut, sondern mit seinem Bruder Otto und dem Prinzen Adalbert. (Augsburger Tagblat vom 07.10.1867) Für treue Bayernherzen konnte kein Zweifel bestehen, daß erst durch das Zusammentreffen unseres Königs mit dem König von Preußen am 6. d. der Entschluß, das Verlöbniß Sr. M. mit der Herzogin Sophie aufzulösen, zur Reife gebracht wurde. (Erzgebirgischer Volksfreund vom 16.10.1867)

Die Schlagzeilen, die ab dem 10. Oktober 1867 über die Auflösung der Verlobung Ludwigs mit Sophie berichteten, ähneln erstaunlich – nun leider mit negativen Vorzeichen – denen vom 22. Januar zur Verlobung: München, 10. Oct. Ein Ereignis von größter Tragweite dringt heute in die Öffentlichkeit und wird im ganzen Lande den tiefsten Schmerz hervorrufen.“ (Augsburger Postzeitung vom 11.10.1867) Natürlich wurde auch eine offizielle Sprachregelung von Seiten des Hofes mitgegeben, die sich kaum von heutigen Formulierungen unterscheidet und von den meisten Zeitungen auch bereitwillig aufgegriffen wurde: Es ist dieß im gegenseitigen Einverständniß geschehen, nachdem man zu der Ueberzeugung gekommen zu sein scheint, daß nicht jene wahre Neigung und jener volle Einklang der Herzen bestehe, welche allein die Gewähr für das Glück einer ehelichen Verbindung bieten.“ (Neue Augsburger Zeitung vom 13.10.1867)

Damit war aber eine journalistische Aufarbeitung der Causa Ludwig & Sophie keineswegs aufzuhalten: Man muß sagen, alle Schichten der Bevölkerung fühlen sich in hohem Grade aufgeregt, und – um es offen auszusprechen – die große Mehrzahl steht auf Seite [!] der Braut. (Badischer Beobachter vom 17.10.1867) Für preußische Blätter war die Sachlage klar: In Wirklichkeit ist die Auflösung dieses Verhältnisses eine fast nothwendige Folge der augenscheinlichen Ernüchterung, die im Verhalten unseres jugendlichen, seinen Neigungen stets ziemlich ungenirt folgenden Monarchen, schon seit längerer Zeit, d.h. schon bald nach der Verlobung selbst zu Tage trat.“ (Oldenburger Nachrichten vom 19.10.1867) Die Zahl der Gerüchte, welche über die Auflösung der Verlobung des Königs die Luft durchschwirren, ist Legion; selbstverständlich ist ein großer Theil derselben nicht wiederzugeben.“ (Fränkische Zeitung vom 16.10.1867)

Dem ist sich anzuschließen und deshalb soll der Blick nicht nur auf die beiden Hauptprotagonisten, sondern auch auf die Verlierer bei der ganzen Angelegenheit gelenkt werden: Die Geschichte bringt nun allerdings ein großes Durcheinander in’s Land. Die bestimmten Brautpaare, welche aus Kreismitteln ausgestattet zu werden das Versprechen hatten, erhalten jetzt die versprochene Summe aus der Cabinettskasse; die vorbereiteten Festlichkeiten wurden alle abbestellt, die Stadtgemeinden geben sogleich Auftrag, daß die von ihnen festgesetzten Ehrengeschenke nicht in Arbeit genommen werden. Die Taufen von Brücken u.d.gl. wurden auf andere Namen vorgenommen. […] Am meisten verspottet wird die Stadt Bamberg, welche ihre neue Brücke „Sophienbrücke mit unterwürfigster Unterthanentreue zu nennen sich beeilte.“ (Grazer Tagespost vom 14.10.1867)

Schleunigst wurden die Verlobungsfotos aus dem Verkehr gezogen, die heutzutage deshalb Raritäten sind: Photographien, auf welchen die Herzogin Sophie neben dem König abgebildet ist, wurden heute in den hiesigen Kunsthandlungen in großer Menge, wie es heißt im Auftrage der herzoglichen Familie, aufgekauft. (Pfälzer Zeitung vom 14.10.1867) Das große Geschäft mit der Hochzeit blieb aus und die Gewerbetreibenden auf ihren Waren sitzen: Ein vielgenannter Photograph soll ein ganzes Zimmer von Porzellanwaaren [!] mit den Doppelporträts der Majestäten vorräthig haben, ein Graveur kündigte vor einigen Tagen zu beispiellos billigem Preiße 5700 Medaillons von König und Braut an und noch heute prangt in den Schaufenstern aller Kunsthandlungen ein sehr geschmackvolles Gedächtniß-Tableau an die Vermählung ihrer Majestäten, von welchem, wie wir aus sehr guter Quelle wissen, verschiedene Tausend Exemplare – unverkauft in den äußersten Winkel eines Magazins des voreiligen Verlegers gewandert sind.“ (Regensburger Conversations-Blatt vom 01.11.1867)

Ludwig und Sophie

Lithographische Medaillons von König Ludwig II. mit Sophie von der „Königlich Bayerischen Hofkunsthandlung G. Stuffler München“. Stadtarchiv München, C1886020

Ludwig II. beobachtete das aufgeregte Treiben in München von Hohenschwangau aus, wo ihm die Einsamkeit des schönen Bergschlosses jetzt bei seiner tief erschütterten Gemüthsstimmung äußerst wohltätig sein soll.“ (Aschaffenburger Zeitung vom 15.10.1867) Verschiedene Gerüchte kolportieren einen Wegzug der ganzen herzoglichen Familie und auch schon neue Brautwerber für Sophie, z.B. den österreichischen Erzherzog Victor Ludwig. (Schweinfurter Tagblatt vom 15.10.1867) Sogar den bayerischen König soll es ins Ausland und insbesondere in den Orient ziehen: In höheren Kreisen wird vielfach davon gesprochen, daß Se. Maj. König Ludwig II. eine längere Reise in das Ausland (Orient) beabsichtigt und Sr. königl. Hoh. dem Prinzen Luitpold inzwischen die Regentschaft übertragen werde. (Neue Augsburger Zeitung 16.10.1867) Letzteres passierte bekannter weise erst 19 Jahre später, seine gemütsentspannenden imaginären Reisen in den Orient begann Ludwig hingegen schon bald in seinem neuen Wintergarten auf der Münchner Residenz und im wenige Jahre später erbauten Königshaus auf dem Schachen.

Ein bayerischer Barde aus Passau verarbeitete seine Trauer in poetischen Versen auf König Ludwig II. in der Passauer Zeitung vom 18. Oktober 1867:

Passauer Zeitung Ludwig I

In München suchte man derweil in anderer Weise Trost wie der Bayerische Landbote vom 13.10.1867 zu berichten weiß: Was mögen wohl wir armen Münchner verschuldet haben, daß uns der Himmel so gewaltig zürnt? […] Erst durch Wochen und Monate das schlechte Bier […] dann das Regenwetter während des Oktoberfestes […] Und noch ist die verunglückte Oktoberwoche nicht ganz abgelaufen, da trifft die Vergnügungs- und Schaulustigen eine neue Hiobsbotschaft – die Verlobung Seiner Majestät des Königs ist rückgängig gemacht, und all‘ die Träume von glänzenden Hochzeitsfeierlichkeiten […] sie entschwinden. […] Armes München, du wirst hart vom Schicksale heimgesucht, ein Glück, daß das Bier, diese Lethe [mythischer Fluss des Vergessens] für alle Schmerzen eines echten Bayern, nun wieder trinkbarer ist, und daß wir in diesem unsere Trauer ersäufen können.

Verlobungsblatt

Unvollendetes Huldigungsblatt für die am 12. Oktober 1867 geplante Hochzeit Ludwigs II. mit Sophie, Gouache von Eduard Ille, 1867, Ludwig II. Museum Herrenchiemsee

Die journalistischen Schlaglichter auf die Entlobung von König Ludwig und Sophie erloschen damit langsam wie der Durst der oben genannten „echten Bayern“. Das Interesse der Zeitungen am Tun und Lassen König Ludwigs II. hingegen damals wie heute keineswegs. Wir bleiben dran!