Geheimnisse, Lieblingsstücke unserer Autoren, Residenz München

Kaum Vitamine, aber viel Symbolik – ein Apfel, der es in sich hat

Obst ist gesund – gemeinhin. Künstlerisch wertvoll ist es zuweilen auch, wenn sich etwa ein begabter Maler eines wohl gefüllten Präsentkorbes annimmt und ihn, anstatt den Inhalt genüsslich zu verkosten, mit dem Pinsel als üppiges Stillleben festhält…

zum Beispiel so: Niederländisches Stillleben aus dem 2. Drittel des 17. Jh., das nicht nur Affen Appetit macht...

Ein simpler Apfel kann aber auch ein ziemlich harter Stein des Anstoßes werden, zumal wenn er aus Stein und Bronze ist, wie in der Residenz. Tatsächlich wird der aufmerksame Besucher bei einem Rundgang geradezu verfolgt von der ominösen Frucht, die auf Bildern, in Ornamenten, Stickereien und Reliefs immer wiederkehrt. Allerdings handelt es sich nicht um den üblichen supermarkt- oder ökobauernkonformen Durchschnittsapfel, sondern um ein wahres und symbolträchtiges Schmuckstück – den Reichsapfel des Sacrum Romanum Imperium – des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation: Diese goldene Kugel, bekrönt von einem Kreuz, ist ein bis in die Antike zurückreichendes Sinnbild des Erdenrunds, das der Kaiser – zumindest im eigenen Wunschdenken – buchstäblich in seiner Hand hält.
Prominent platziert findet sich dieses wichtige Herrschaftssymbol bereits im Außenbereich der Residenz: So prunkt der Apfel in der Mitte des herzoglichen Wappens, das die bronzenen Löwen an der Fassade in der Residenzstraße emporhalten.

Ganz schön schwer für vier Tatzen… Krumper schuf den figürlichen Schmuck der Portale im Auftrag Maximilians I. um 1615

Und auch auf der Spitze des kleinen Pavillons im benachbarten Hofgarten balanciert die „Tellus Bavarica“, die Verkörperung Bayerns in Gestalt einer schönen Frau, die mit allerlei Attributen schwer beladen ist, den kaiserlichen Reichsapfel mit rechts.

Heutzutage schmückt eine Kopie die kupfergedeckte Kuppel. Die originale Bronzestatue kann am Theatinergang im Residenzmuseum bewundert werden

Was hat es also mit dieser bedeutungsgeladenen Kugel auf sich, die in und an der Residenz so eng mit den Symbolen des Landes verbunden wird? Zwar ist es nicht so, dass die Wittelsbacher das Kaiserreich Bayern ausgerufen hätten – auch wenn manche von ihnen zweifelsohne Lust und Ehrgeiz dazu besaßen. Der Reichsapfel im Wappen weist vielmehr auf eine bedeutende Rangerhöhung der bayerischen Herzöge im 17. Jahrhundert hin, nämlich die Verleihung der Kurwürde an Herzog Maximilian I. im Jahr 1623, der damit als erster bayerischer „KUR“fürst regierte. Das hieß nichts anderes, als dass er und seine Nachfolger nun zu der ausgewählten Schar von sieben weltlichen und geistlichen Reichsfürsten gehörten, die seit dem 14. Jahrhundert berechtigt waren, den Kaiser zu „küren“, also zu wählen. Die neue Würde war ein wichtiger Teil der Belohnung, die Maximilian vom aktuell regierenden Kaiser Ferdinand II. für seine massive politische und vor allem militärische Unterstützung gegen den pfälzischen Kurfürst Friedrich V. erhielt. Der war nicht nur Chef der protestantischen Partei und damit Gegner des katholischen Kaisers, sondern aparter Weise auch Maximilians Vetter und Haupt des Wittelsbacher Familienzweiges, der seit mehreren Jahrhunderten den Kurfürstentitel exklusiv für sich und die pfälzischen Gebiete, die „Kurpfalz“ beanspruchte. Jetzt endlich ging für Maximilian ein lang gehegter Traum in Erfüllung: Dem besiegten Pfälzer wurde die begehrte Würde aberkannt und dem bayerischen Herzog, wie der es von langer Hand mit Ferdinand II. geplant hatte, übertragen.

Ausdauernder Machtmensch und gewiefter Politiker: Maximilian I. regierte Bayern als erster Kurfürst während des Dreißigjährigen Krieges durch Höhen und tiefe Niederlagen

Diese so lang erhoffte und hart erkämpfte Aufnahme in den kleinen, feinen Kreis der kaiserlichen Wahlmänner war nicht nur ein enormer Zugewinn an Prestige. Es war auch eine nicht unerhebliche Machtposition, denn ihre wertvollen Wahlstimmen ließen sich die Kurfürsten traditionell von den Bewerbern um die Krone teuer mit Privilegien oder auch in barer Münze bezahlen. Umso wichtiger schien es daher, die neue, noch sehr wackelige Würde zu zementieren und jedem möglichst hartnäckig vor Augen zu führen. Der Reichsapfel war dafür das eindrücklichste Bildzeichen, denn er war das Symbol des neuen Ranges: Jeder Kurfürst übernahm bei der Krönung des gemeinsam gewählten Kaisers ein bestimmtes Ehrenamt: Der bayerische Kurfürst waltete bei dieser Gelegenheit nicht nur als Erztruchsess (also als nomineller Aufseher über die kaiserliche Tafel), sondern trug während der Zeremonie eben auch den Reichsapfel – und führte diesen daher – gewissermaßen als „Erkennungsmerkmal“ unter seinen Kollegen – im Amtsschild.

In den kostbaren Stoff dieses Audienzbaldachins in der Residenz (Raum 109) ließ Maximilian den Reichsapfel nachträglich mit Goldfäden unter seinem Monogramm einsticken

Gerade weil der Erwerb der neuen Kurwürde noch auf unsicheren Füßen stand – die Pfälzer Wittelsbacher konnten sich ja wieder mit dem Kaiser arrangieren oder Maximilians militärisches Glück mochte ihn im Stich lassen – schien es wichtig, die Rangerhöhung rasch im Bewusstsein der Öffentlichkeit möglichst fest zu verankern. Und so ließ Maximilian entschlossen überall, wo es möglich war, das Bild des Reichsapfels in seiner Residenz anbringen: Sei es auf den gestickten Wandbehängen seiner Gemächer, sei es in den Einlegearbeiten, mit denen die Möbel verziert wurden.

Im diskreten Format aber zentral platziert strahlt das neue Rangzeichen auch auf dieser kostbaren Tischplatte mit Einlegearbeiten aus Halbedelsteinen (Raum 105)

Kein schlichtes Ornament also, das man aus Gewohnheit wiederholt, sondern vielmehr ein Apfel, der es in sich hat und eine ganze Geschichte von Ehrgeiz, Macht, Sieg und Niederlage in sich trägt.

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