„Oh làlà – die leidet aber…“ der kürzlich aufgeschnappte spontane Kommentar einer Betrachterin angesichts eines Gemäldes aus den Depots des Residenzmuseums trifft ganz gut den Kern. Dargestellt ist eine Szene aus dem Alten Testament.
Die tugendhafte Susanna wird im Bad von zwei lüsternen Richtern ihrer Gemeinde bedrängt. Als sich die verheiratete Frau gegen sie zur Wehr setzt, verklagen die beiden Halunken sie als Ehebrecherin – es braucht die ganze detektivische und von Gott inspirierte Gewitztheit des jungen Propheten Daniel, um das Lügengespinst auffliegen zu lassen, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen und Susanna vor der drohenden Steinigung zu retten – alles nachzulesen im Buch Daniel, 13, 1-64.
Dargestellt ist auf unserem Gemälde natürlich nicht das visuell dröge Gerichtsdrama, sondern die „Tat“ – die üppige, nackte Susanna scheint den physischen Widerstand gegen die zupackenden Hände ihres einen Verfolgers und die erpresserischen Worte seines Kompagnons schon weitgehend eingestellt zu haben. Resigniert richtet sie den schwimmenden Blick zum Himmel, von dem ja dann auch ein paar Bibelverse später die Rettung kommen wird.
Gemalt hat das Bild Antoine Coypel, Sohn einer renommierten französischen Künstlerdynastie im Frankreich Ludwigs XIV. und selbst Direktor der berühmten „Académie royale de peinture et de sculpture“. Ab 1715 wirkte er dann als offizieller „Peintre du roi“ sowie als Haus- und Hofmaler des französischen Regenten Philipp von Orléans (der über seine Mutter übrigens zu 50% ein – kurpfälzischer – Wittelsbacher war). Entstanden ist das Gemälde wohl um 1695 – zu dieser Zeit bewarb sich Coypel erstmals um den prestigereichen Posten des ersten königlichen Malers mit einem „Probebild“, auf dem er die Anklage der Susanna durch die beiden korrupten Richter darstellte. Gut möglich, dass das Münchner Bild mit der „Vorgeschichte“ im Zusammenhang dieses Gemäldes entstand. Jedenfalls hielt Coypel es für so gut, dass er die Bildidee durch den Kupferstecher Simonneau als Druck verbreiten ließ.
Und gut konnte es Maler wie Betrachter in mehrfacher Hinsicht erscheinen: Nicht nur hatte Coypel die dramatische Susanna-Erzählung als Sujet erwählt, weil ihm seine Kritiker zum Vorwurf machten, er könne eigentlich nur galant-erotische Themen gekonnt darstellen. Ob der rosig-nackte Körper Susannas, der sich vor den Blicken des Betrachters rekelt, diesem Vorwurf wirkungsvoll widerlegt, sei dahingestellt. Schließlich belauern nicht nur die beiden Lüstlinge die schöne Badende, sondern wir als Betrachter selbst werden vom Maler genüsslich in die Rolle des unentdeckten Voyeurs versetzt. Auf jeden Fall hatte Coypel alle Anstrengungen unternommen, das psychologische Drama der biblischen Erzählung im Bild zu fassen. Die Darstellung besteht eigentlich nur aus Kontrasten – dem Zwiespalt zwischen Tugend und Laster, Sünde und Unschuld, Alter und Jugend, männlicher Gewalt und weiblicher Hilflosigkeit, Passivität auf der einen, zugreifendes Drängen auf der anderen Seite. Vor allem in den Gesichtszügen der Protagonisten findet die ganze Erzählung statt: Der bereits ganz von seinen Wünschen überwältigte Alte links, der schon vorgreifend den Arm der Susanna zu vergewaltigen droht; die noch ängstliche Zurückhaltung seines Komplizen, der anscheinend die Entdeckung fürchtet; schließlich das weinende Flehen ihres Opfers.
Mit der Wiedergabe entgegengesetzter Leidenschaften setzte sich Coypel mit einem Darstellungsproblem auseinander, das die französische Malerei des 17. Jahrhunderts intensiv beschäftigte: der künstlerischen Übertragung seelischer Affekte im Bild. Dieses Thema war für eine Gesellschaft, deren Mitglieder in der Öffentlichkeit stets eine gesellschaftliche, klar definierte Rolle zu spielen hatten, von höchstem Reiz.
Wie das Gemälde schließlich nach München gelangte, ist unklar – möglich, dass es Kurfürst Max Emanuel, der sich zwischen 1706 und 1715 im französischen Exil aufhielt, als großer Gemäldeliebhaber, der er war, in die bayerische Heimat gebracht hat. Möglich auch, dass es erst im 19. Jahrhundert mit dem Erbe der Zweibrücker Linie des Hauses Wittelsbach, die beste Beziehungen zum französischen Hof unterhielt, in die Münchner Sammlungen Eingang fand!