In Bayreuth entsteht derzeit ein neues Museum! Im Redoutenhaus des Markgräflichen Opernhauses Bayreuth könnt ihr im „Opernhausmuseum“ bald Wissenswertes über die Bayreuther Theatergeschichte sowie die Auftraggeberin und die Architekten des Bauwerks erfahren. Um eure Vorfreude auf das neue Museum zu wecken, erzählen wir euch in dieser Blogserie zahlreiche spannende Hintergrundgeschichten rund um das Opernhaus sowie das benachbarte Redoutenhaus. Kommt gerne mit und begleitet uns auf dem Countdown zum neuen Museum. Heute gibt Andrea Zedler einen Einblick in die Musikkultur des Bayreuther Hofs und stellt den international erfolgreichen Tanzmeister der Markgräfin Wilhelmine vor.
Von Andrea Zedler (Universität Bayreuth) //
Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth etablierte um die Mitte des 18. Jahrhunderts an ihrem Hof eine reiche Musik- und Opernkultur. Für die repräsentativen höfischen Aufführungen wurden Sänger und Sängerinnen gewonnen, die bereits auf italienischen Bühnen reüssiert hatten, ebenso Tanzpersonal, das vornehmlich aus Frankreich stammte. Die Markgräfin war dabei persönlich in das Engagement ihres Personals involviert, und sie zeigte reges Interesse an der künstlerischen Entwicklung ihres Bühnenensembles. Zahlreiche Briefe an ihren Bruder lassen dies erkennen, und noch heute zeugen Porträts der Virtuosi im Neuen Schloss Bayreuth und in der Eremitage von der besonderen Wertschätzung, die Wilhelmine ihnen zumaß.
Im „Alten Musikzimmer der Markgräfin“ im Neuen Schloss etwa findet sich ein Portrait der Tänzerin Rosalie Jassinte, die von Wilhelmine in einem Brief an ihren Bruder Friedrich II. wie folgt charakterisiert wird: Sie sei sehr leicht, ihr Fuß sei charmant, und sie habe viel Anmut in der „Comique“. Gleichermaßen spitz wie pointiert merkt die Markgräfin dann noch an, dass die Armhaltung der Tänzerin besser sein könne. Mit diesen Worten „verborgte“ sie die Künstlerin 1748 an den preußischen Hof, in der Hoffnung, ihrem Bruder damit ein Vergnügen bereiten zu können. Die Briefstelle verdeutlicht nicht nur den kritischen Blick der Markgräfin auf ihr künstlerisches Personal, sondern sie steht pars pro toto für die engen personellen Verbindungen der Höfe in Bayreuth und Berlin. Freilich sollte Jassinte keineswegs die einzige Tänzerin bleiben, die während und nach ihrem Engagement in Bayreuth auch außerhalb Frankens tätig war.
Jean-Baptiste Gherardy sticht aus dem Corps de ballet des markgräflichen Hofes wie kaum ein anderer heraus – und zwar mit seiner europaweiten Karriere gleichermaßen wie mit einer delikaten Hinterlassenschaft in Bayreuth. Wilhelmine war es 1747 endlich gelungen, einen Tänzer der Pariser Opéra an ihren Hof zu locken und ist voller Lobesworte für ihren neuen Star: Ihrem Bruder schwärmt sie vor, dass Gherardy ein perfekter Tänzer sei. Er sei in Paris nicht nur Schüler des berühmten Choreographen und Tänzers Louis Dupré gewesen, sondern habe mit diesem auch an der Opéra getanzt. Ihrer Charakterisierung fügt sie dann noch den bemerkenswerten Hinweis an, dass dem Tänzer seine Frau „weggenommen“ worden sei. Darüber sei er so verärgert gewesen, dass er Paris aus Trotz verlassen habe („On lui a enleve sa Femme a Paris ce qui la si fort fache quiel a quite de dépit“). Man kann nur spekulieren, was unter Wilhelmines „enleve“ zu verstehen sei, denn Hinweise zum Schicksal von Gherardys Frau finden sich nicht. Gesichert ist hingegen, dass der Weg den Tänzer von Paris nach Bayreuth führte, ausgestattet mit einem ordentlichen Reisegeld von 200 Gulden aus der Schatulle des Markgrafen. In Bayreuth wirkte er dann u.a. an der Oper Ezio für die Hochzeit der Tochter des markgräflichen Paars 1748 als Choreograph mit – und fand auch privat offensichtlich Trost über den Verlust seiner Frau: Mit der Hoftänzerin Marie Antoinette Petit zeugte er, wie es die Taufmatrikel der Bayreuther Hofkirche preisgeben, „außer der Ehe“ einen Sohn. Dieser wurde am 15. Januar 1748 auf den Namen Theodore Camille Alexandre Gottlieb getauft. Die Wahl der Vornamen verrät seinen hochrangigen Taufpaten: Es handelt sich dabei um den Oberbaudirektor und Direktor der französischen Komödie des Bayreuther Hofes, Théodore Camille Montperny.
Im Jahr nach der Geburt seines Sohnes verließ Gherardy Bayreuth, um nach London zu wechseln, es folgten Bühnenauftritte in Bordeaux (1752) und Brüssel (1755). 1760 ist er wieder in London nachweisbar.
Seine Engagements am King’s Theatre weisen eine interessante Verbindung zu Bayreuth auf: Dort choreographierte er Tänze für Opernaufführungen einer in London äußerst erfolgreichen Opernunternehmerin und Sängerin, Maria Colomba Mattei Trombetta. Gherardy hatte sie in Bayreuth kennengelernt, als sie bei der oben erwähnten Hochzeitsoper von 1748 für die Rolle der Onoria engagiert war. Als sich die Wege der beiden 1760 in London erneut kreuzten, sollte Gherardy längere Zeit für die Impresaria tätig werden und sich darüber hinaus als Tanzmeister in London etablieren. Er wird in der zeitgenössischen Presse als „famous […] as well for his invention as for his execution in dancing“ (berühmt […] sowohl für seinen Einfallsreichtum als auch für seine tänzerische Ausführung) gerühmt, veranstaltete Bälle und publizierte Tanzsammlungen, darunter den 1769 erschienenen Band mit Allemande-Choreogaphien.
Die in England noch wenig bekannten deutschen Tänze hoffte er dergestalt auf der Insel bekannt zu machen und ermunterte im Vorwort die „lovers of the Allemande Dances“ (Liebhaber der Allemanden), mit seiner effizienten Methode schnell zu einer meisterlichen Ausführung zu gelangen. Die Anleitung beruhe auf seiner langen Erfahrung, die er in Deutschland, genauer: am Hof des Markgrafen von Bayreuth gesammelt und wo er die Allemande immer in perfekter Ausführung erlebt habe. So fand also Gherardys reicher Erfahrungsschatz nicht nur ein publizistisches Echo in Großbritanniens Metropole, sondern der Tanzmeister mag wohl auch so manchen englischen Gentleman und so manche englische Lady zum Tanz einer Allemande nach Bayreuther Vorbild inspiriert haben.
Quellen
Archion, Bayreuth Hofgemeinde: Taufen; Trauungen; Bestattungen 1728-1762, 15.1.1748, S. 101
Moira Goff, Monsieur Gherardi and the Couple Allemande, online verfügbar unter URL : https://danceinhistory.com/2022/10/09/monsieur-gherardi-and-the-couple-allemande/ (abgerufen am 5. März 2023).
The Public Advertiser, 26. August 1760.
Jean-Philippe Van Aelbrouck, Dictionnaire des danseurs à Bruxelles de 1600 à 1830, Lüttich 1994, S. 126.
Titelbild: Nicolas Lancret, La Camargo Dancing, c. 1730, Courtesy National Gallery of Art, Washington