Jetzt legt sie mit Macht los, die jecke Zeit, und die Welle organisierten Frohsinns schwappt auch durch die Straßen unserer geliebten bayerischen Landeshauptstadt. Schon früher waren die Münchner Verbindungen in die karnevalesken Hochburgen breit und für Umzüge aller Art gut ausgebaut: In Köln, Düsseldorf und der (Kur-)Pfalz – allerdings ohne das lachende, singende Meenz (für Bayern: „Mainz“) – saßen Wittelsbacher auf den Herrscherstühlen, die sich zwar nicht immer gut verstanden, aber immer mal wieder gerne schunkelten und bützten.
Der Münchner Fasching wiederum war, wie heute noch, auch schon im 17. und 18. Jh. weniger für das institutionalisierte Bewerfen mit Süßigkeiten bekannt, sondern vor allem für seine Maskenbälle, die in den Stadtpalästen des Adels oder – öffentlicher – im Redoutenhaus in der Prannerstraße stattfanden (das dort später, 1819, die bayerische Ständeversammlung zusammentrat, hat weniger mit der Tradition kostümierter Prunksitzungen als mit den vorteilhaften Platzverhältnissen zu tun).
Maske und Kostümierung, die man sich im Regelfall nicht zu extravagant vorstellen darf – meist bediente man sich der unspezifischen schwarzen Gesichts-„Larve“ aus Seide oder Pappe – , erfüllten in der mehrere Wochen dauernden Karnevalsaison vor allem eine soziale Funktion:
Sie verwischten die strengen ständischen Hierarchien und Rangunterschiede, weil es gestattet war, den Träger der Maske offiziell „nicht zu erkennen“. Dies war eine entspannende Vereinbarung vor allem für die aristokratischen Träger von Titeln und Würden: Sie durften so an Veranstaltungen teilnehmen und öffentlich mit Personen Umgang pflegen, die sich normalerweise für sie verboten, da sie mit ihrem sozialen Rang und den rigiden Anforderungen einer angemessenen Selbstdarstellung der eigenen Gesellschaftsposition schlecht vereinbar waren.
Dummerweise machten gerade diese unerlaubten Partys am meisten Spaß, und so genossen Kurfürst, Prinz und Hofstaat die Möglichkeit, sich incognito ins Gewühl zu begeben – mit dem guten Gefühl, dass wirkliches zu nahe treten nur auf Wunsch geschehen werde, da im Endeffekt das Gegenüber ja doch wisse, wer man sei (schließlich kennt in München immer jeder jeden…).
Der festliche Höhepunkt dieser inszenierten Regelüberschreitung der höfischen Gesellschaft war zugleich eine auch im Ausland bekannte Spezialität der Reichsfürsten, mit Wien, München und Dresden an der Spitze – die sogenannten „Wirtschaften“ oder „Bauernhochzeiten“: Für einen Tag verwandelte sich die Münchner Residenz in ein fiktives bürgerliches oder bäuerliches Wirtshaus, meist mit einem heraldisch bedeutsamen Namen wie „Zum bayerischen Löwen“ oder ähnliches, in dem sich pittoreske, als typisch erachtete Vertreter des immer gern zitierten „einfachen Volkes“ zum Festmahl zusammenfanden. Im Vorfeld der Veranstaltungen, die so sicher jedes Jahr wiederkehrten wie das Amen in der Kirche, zogen die Eingeladenen Lose, die sie zum einen zu Paaren zusammenführten und diesen Duos zum anderen eine gemeinsame Rolle für das kommende Fest zuwiesen: Schäfer, Gärtner, Kaufmann, Schmied, Müller, Bettler usw. Ausgenommen waren nur der Herrscher nebst Gattin, die stets als Wirt und Wirtin die Gästepaare begrüßten und das Mahl auftischen ließen. Das Losverfahren ermöglichte, dass auch der schlichte Kammerherr die altadelige Gräfin XY zur Tafel führen durfte, an der man hierarchisch durcheinander – „pêle-mêle“ – Platz nahm (aufregend: andere Tischnachbarn! andere Gesprächsthemen!!). Zugleich behielt der kurfürstliche Herbergsvater als Gastgeber aber immer das letztendliche Kommando.
Wenn alles gut lief, und die Scherze, die sich aus der Situation der „verkehrten Welt“ ergaben, nicht zu dröge waren, konnte man sich idealerweise vorkommen wie in einem Genrebild von Teniers mit glücklichen Bauern, fetten Kühen, reicher Ernte und „schlichten, unverdorbenen“ Freuden vom Lande.
Angesichts ihrer lang anhaltenden Beliebtheit scheinen die „Wirtschaften“ für die höfische Gesellschaft der Frühen Neuzeit eine große Rolle als soziales Ventil gespielt zu haben. Die gleichermaßen idealisierte wie herablassende Sicht auf die Welt der Untertanen, die sich in diesen Kostümfesten manifestierte und die eine völlige Ignoranz gegenüber den tatsächlichen, bedrückenden Verhältnissen verrät, berührt uns heute allerdings eher unangenehm:
Ging es doch nicht darum, die andere Welt kennenzulernen, sondern sich durch die Karikatur der bäuerlich-bürgerlichen Sphäre von dieser abzugrenzen und sich des eigenen Status zu versichern. Also schon närrisch – aber auch schön? Vielleicht schlüpfen wir lieber dieses Jahr doch nochmal in den ollen Piraten-Look und riskieren, von einer scharfkantigen Kamelle getroffen zu werden – in diesem Sinne: Fröhlichen Fasching, Helau und Alaaf!