Geheimnisse, Lieblingsstücke unserer Autoren, Residenz München

Eine schimmernde (Geburtstags-)Tafel: Das Münchner Vermeil-Service von Odiot und Biennais

Letzte Woche jährte sich zum 250. Mal der Geburtstag von Jean-Baptiste-Claude Odiot (1763-1850), einem der berühmtesten und einflussreichsten Silberschmiede des 19. Jahrhunderts. In der Residenz können wir noch heute eins der größten zusammenhängenden Tafelservice seiner europaweit tätigen Werkstatt präsentieren.


spiegelnde :) Pracht - einige Meter von unserer Vermeil-Tafel

spiegelnde 🙂 Pracht – einige Meter von unserer Vermeil-Tafel


Entlang der nach Dutzenden gereihten, schimmernden Tellerplatten erheben sich auf der im Hartschiersaal gedeckten Tischvitrine in symmetrischer Anordnung zahllose Deckelterrinen, Kandelaber, Schüssel und Weinkühler. Wie kostbare kleine Monumente sind alle Stücke aufwändigst verziert mit plastischen Figuren und fein ziselierten Reliefs. Der königliche Anspruch dieses glanzvollen Service spiegelt sich auch im Material – kein „schlichtes“, sondern vergoldetes Silber, sogenanntes Vermeil. Angesichts der Tatsache, dass Tafelsilber stets auch als ruhendes Kapital betrachte wurde, das man, anstatt es regelmäßig zu putzen, in finanziellen Notlagen in die Münze schicken konnte, ist die Bewahrung dieses künstlerisch wie materiell gleichermaßen wertvollen Ensembles alles andere als eine Selbstverständlichkeit!


Terrine auf Untersatz von Odiot aus der Münchner Silberkammer

Terrine auf Untersatz von Odiot aus der Münchner Silberkammer


Zusammen mit seinem Kollegen Martin Guillaume Biennais, dem offiziellen Hofgoldschmied, bestückte Odiot vor allem die Tafeln des frisch gekrönten Franzosenkaisers Napoleon. Die prunkvolle Eleganz seines Silbers und dessen klassische Formensprache, die sich von antiken Vorbildern ableitete, verlieh den festlichen Diners des vom einfachen Hauptmann zum Imperator aufgestiegenen Napoleon den glänzenden Schliff, den die alteingesessenen – und auf dem Schlachtfeld regelmäßig düpierten – Aristokraten Europas dem Parvenü aus Korsika nicht zugestehen wollten. Mit der Ausdehnung des napoleonischen Imperiums durchlief auch der „Empire“-Stil von Odiots Tafelsilber eine steile Karriere und verbreitete sich in ganz Europa: Napoleon pflegte in den verschiedenen Territorien, die er an seine französische Hegemonialmacht anband, zwecks besserer Kontrolle eins seiner zahllosen, meist eher minder talentierten Geschwister als Herrscher einzusetzen. In sein neues Königreich brachte der jeweilige Bruder im Handgepäck auch stets ein Gala-Service aus den Werkstätten von Odiot und Biennais mit, um in der neuen, fremden Heimat angemessen repräsentieren zu können.


So speiste man am kaiserlichen Hof: Festbankett in den Tuilerien, Gemälde v. D. Casanova, 1812, im Besitz des Schlossmuseums von Versailles

So speiste man am kaiserlichen Hof: Festbankett in den Tuilerien, Gemälde v. D. Casanova, 1812, im Besitz des Schlossmuseums von Versailles


Klar, dass die kleineren Höfe – Revolution hin, Parvenü her – angesichts der gold-silbernen Pracht mitzogen, ihr altes Silber in praktisches Münzgeld umschmolzen und damit neue Service im Mode-Mekka Paris bestellten. Das hätte auch die Geschichte des Münchner Service sein können – war doch der bayerische Herrscher Max I. Joseph dem Franzosenkaiser politisch und seit 1806 auch verwandtschaftlich eng verbunden, ja verdankte ihm die Erhebung zu souveränen König. Die Sache lief aber doch etwas anders, auch wenn man versuchte, sie – im Sinne des Wortes – zu verdecken: Wirft man einen genaueren Blick auf den silbernen Dekor unseres Service, erkennt man rasch hinter einzelnen der aufgeschraubten Königswappen Max I. Josephs eine ältere Gravur. Tatsächlich verbirgt sich hinter den bayerischen Rauten das Wappen des Jérôme von Westfalen – ein Bruder Napoleons, den dieser 1807 in Kassel als neu gebackenen König installiert hatte. Es handelt sich also schlicht um eine Umnutzung eines für einen anderen Hof bestimmten Galaservice!


westfälisches Königswappen mit den Schraublöchern für die bayerische Wappen-Plakette

westfälisches Königswappen mit den Schraublöchern für die bayerische Wappen-Plakette


Wie kommt nun aber das westfälische Silber nach München? Mit dem gescheiterten Russlandfeldzug 1812 begann die französische Hegemonialmacht zu schwanken: Angesichts dessen vollzog Max I. Joseph mit gesundem Opportunismus und bestechendem Sinn für‘s politisch Reelle eine Kehrtwendung und begab sich nur Tage vor der Leipziger Völkerschlacht auf die Seite der antinapoleonischen Koalition. Währenddessen ging im westfälischen Kassel alles drunter und drüber: Für König Jérôme wurde die Lage zunehmend brenzlig – er floh. Klar, dass tonnenweise Silber bei seinem hastigen Aufbruch hinderlich gewesen wäre. Als die Kisten mit Odiots Service ihn schließlich im württembergischen Exil erreichten, beschloss man einen Verkauf, um das weitere Auskommen des gewesenen Königs zu finanzieren und seine gewaltigen Schulden zu begleichen.


Schluss mit Lustig. Die Graphik zeigt König Jérôme allerdings noch in besseren Tagen

Schluss mit Lustig. Die Graphik zeigt König Jérôme allerdings noch in besseren Tagen


1816 wurde das Vermeil von dem Augsburger Silberhändler Johann Alois Seethaler für 134.100 Gulden aufgekauft und postwendend dem bayerischen Hof angeboten. Dort griff man gerne zu, aß man in München doch immer noch von den kurfürstlichen Tellern des 18. Jahrhunderts, was sich mit der neuen königlichen Würde schlecht vertrug. Die Vorgeschichte des weitgewanderten, neuen Galaservice ließ man unter fein ziselierten und sorgfältig aufgeschraubten neuen Wappen-Plaketten verschwinden und freute sich am neuen, zeitgemäßen Glanz – bis heute!

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