Im Miniaturenkabinett der Residenz sind in die glänzend rot lackierten, von feinen Goldschnitzereien überdeckten Wände über 120 Kleingemälde eingepasst – juwelenhafte Schätze, die die bayerischen Kurfürsten im 17. und 18. Jahrhundert sammelten und stolz ihren Besuchern präsentierten.
Erst Francois Cuvilliés schuf ein eigenes Refugium für die Gouachen und Aquarelle verschiedener niederländischer, deutscher und italienischer Meister indem er sie in dem kostbaren und intimen Abschlussraum des von ihm 1730/37 entworfenen Paradeappartement der Residenz als ein extravagant-schönes Rokoko-Panoptikum zusammenführte, gewissermaßen als räumliches und kompositorisches Gegenstück zu „großen“ Gemäldegalerie am östlichen Ende des Appartements.
Besonders als Miniaturensammler hervorgetan haben sich Kurfürst Maximilian I., der ein besonderes Faible für niederländische Übersichtslandschaften – eine Art Vorläufer der heute noch beliebten Wimmelbilder -, besaß und sein Enkel Max Emanuel (reg. 1679-1726):
Gesegnet mit zwei gut korrespondierenden Eigenschaften – einem Sinn für Schönes und Repräsentatives und einer Leidenschaft, eigenes und fremdes Geld massenhaft auszugeben – betätigte sich der politisch zeitlebens oft glücklos agierende Wittelsbacher mit nachhaltigerem Erfolg als Gemäldesammler und Bauherr. Von beidem legen unsere Miniaturen beeindruckende Zeugnisse ab: Zum einen ließ Max Emanuel geliebte Meisterstücke unter seinen Neuerwerbungen von dem Brüsseler Maler Francois Bouly im Miniaturformat kopieren.
Keine unpraktische Idee: Der umtriebige Max Emanuel war zeitlebens auf Feldzügen, erst als Statthalter der Südlichen Niederlande, dann als geächteter Exilant jahrelang von seinen großformatigen Rubens-Gemälden, die nicht ins Reise/Fluchtgepäck passten, getrennt. Boulys leicht transportable Kopien auf Pergament mögen ihn in der Ferne an die geliebte Sammlung erinnert haben, oder wurden vielleicht auch vor neidischen Augen mit freundlichem Lächeln auf den Tisch geblättert (also statt: „Schau mal: meine Jacht, mein Ferienhaus, meine Geliebte“: „Mein Rubens, mein Teniers, mein Murillo…“).
Dem Bauherrn Max Emanuel verdankt Bayern nicht nur die Erweiterungen von Nymphenburg und Dachau, sondern vor allem das neue Schloss Schleißheim samt Garten und Parkbauten. Auch diese Riesenprojekte konnten Residenzbesucher im Miniaturenkabinett bewundern: Wohl unter der Regierung von Max Emanuels Sohn Karl Albrecht wurden die Schlösser von dem Hofbeamten und begabten Miniaturmaler Maximilian de Geer in hochformatigen Ansichten aus der Vogelperspektive dargestellt.
Als Vorlage diente hier eine überwiegend von Franz Joachim Beich gefertigte Serie von Architekturgemälden, die noch heute in den Flügelgalerien von Schloss Nymphenburg hängen. Dabei zeigen die meisten Miniaturen ideale Ansichten der Bauten, also wie sie geplant, aber nicht immer ausgeführt wurden. An anderen lassen sich im Vergleich mit dem Ist-Zustand oder jüngeren Quellen nachträgliche bauliche Veränderungen aufzeigen. Besonders beeindruckend sind die Schleißheim-Ansichten: Schließlich war das Schloss zeitweise ein besonderes Prestigeprojekt Max Emanuels, das, wenn auch mit Pausen, jahrelang unter gewaltigen Kosten mit Macht forciert wurde.
Vor allem aber kommen die endlosen Achsen und die Symmetrie der barocken Gartenanlage auf de Geers Hochformaten ideal zur Geltung: Schon die älteren Gartenanlagen, kleine abgetrennte Kompartimente mit pittoresken Eremitenklausen und raffinierten Wasserspielen, hatten eine gewisser Berühmtheit erlangt. Ab Mitte der 1680er Jahre begannen dann die Gartenplanungen in Hinblick auf den begonnenen Neubau. Verschiedene Pläne von namhaften, primär französischen Gartenarchitekten aus dem Umkreis André le Nôtres, des Gestalter der Versaillers Parks, wurden eingeholt. Nach jahrelangen Überlegungen setzte sich schließlich ab 1715 das Projekt Dominique Girards (um 1680-1738), eines fähigen Wasserbauingenieurs, durch: Die Miniaturen überliefern getreu die Hauptcharakteristika seines Entwurfs, dessen „Sahnehaube“ das große, künstlich abgesenkte Hauptparterre vor dem Mittelbau des neuen Schlosses bildete: Den sehr breiten Hauptweg flankierten zwei spiegelnde Wasserflächen mit insgesamt 32 Fontänen an deren Ende von einer großen, zweistufigen Kaskade glitzernde Wasserschleier herabstürzten.
Über dem Wasserfall im Zentrum der Blickachse stieg eine Riesenfontäne auf, die von den verschiedenen Hauptalleen des Parks aus gesehen werden konnte. Was hingegen noch fehlte, war der Mittelkanal, der heute zwischen Kaskade und Schloss Lustheim verläuft und der erst ab 1771 gegraben wurde.
Zuvor lag hier die Mail-Bahn: keine Daten-Rennstrecke für die elektronische Post des 18. Jahrhunderts, sondern ein von Bäumen und Hecken gesäumtes Spielfeld für die von Max Emanuel heiß geliebte Barock-Version des heutigen Krocket!
Titelbild: Die Miniatur „Der Frühling“ von Hans Bol (1586) aus dem Miniaturenkabinett der Residenz München.