Geheimnisse

Ludwigs modernes Mittelalter

Neuschwanstein_Vorzimmer, elektrische Klingelanlage

Historisch im Stil – modern in der Technik

Hofsekretär Bürkel zitierte 1871 Ludwig II. über dessen Neue Burg:

Nach dem AH. Willen Seiner Majestät des Königs soll das neue Schloß im romanischen Stil gebaut werden. Da wir nun gegenwärtig 1871 schreiben, so sind wir über jene Zeitperiode, welche den romanischen Stil entstehen ließ, um Jahrhunderte hinausgerückt, und es kann doch wohl kein Zweifel darüber bestehen, daß die inzwischen gemachten Errungenschaften im Gebiet der Kunst und Wissenschaften uns auch bei dem unternommenen Bau zugut kommen müssen…; ebensowenig möchte ich zugeben, daß wir uns ganz in die alte Zeit zurückversetzen und auf Erfahrungen verzichten sollen, welche sicherlich schon damals verwertet worden wären, wenn sie bestanden hätten.“

Man erkennt: auch hier folgte Ludwig II. der Tradition seines Vaters. Dieses Zitat ist geradezu eine Definition des historistischen Bauens im 19. Jahrhundert. Typisch ist auch die Verbindung von Idealität und Pragmatismus. Man sah historische Gestalt und moderne Technik nicht als Gegensatz – im Gegenteil. Eine wichtige, geradezu fixe Idee dieses Jahrhunderts war die „Vollendung“ historischer Stile durch Anwendung moderner Fertigung und Technik. Das galt besonders für das Bauen.

Neuschwanstein

Die Grundsteinlegung zur Neuen Burg war am 5. September 1869; die Baustelle war mit allen modernen Errungenschaften und Materialien ausgestattet. Die Fundamente und Substruktionen wurden bereits mit Beton angelegt. Der Torbau war 1873 fertiggestellt. In ihm wohnte Ludwig II. über Jahre, da seine Wohnräume im Palas noch lange in Bau waren; hier war erst am 29. Januar 1880 Richtfest, erst im November 1884 waren seine Wohnräume beziehbar.

Auch eine komfortable Ausstattung widersprach der historistischen Idee nicht. Ludwig II. hat dies nur, wie immer, mit besonderer Konsequenz umgesetzt. Das gesamte Schloss erhielt moderne, dicht schließende Stahlzargenfenster, die noch heute gut funktionieren. Der gesamte Palas wurde mit einer hochmodernen Warmluftheizung (vom Hersteller Calorifère – Heizung benannt) ausgestattet, deren Anlage einschließlich der Heizräume im Erdgeschoß noch erhalten ist. In seinen Wohnräumen wurde eine elektrische Klingelanlage für die Diener installiert, die heute noch besteht. Auch Telefon gab es schon. Spülklosett und Waschbecken mit fließendem Wasser im Schlafzimmer entsprachen ebenso dem Standard damaliger Luxushotels wie die komplett ausgestattete Küche. Dort gibt es auch einen thermisch, also von der aufsteigenden Feuerungsluft über ein Flügelrad, betriebenen Drehspieß. Ludwig II. legte großen Wert auf  feines und umfängliches Essen; sein Hofkoch war einer der berühmtesten Köche seiner Zeit: Johann Rottenhöfer.

Neuschwanstein_Vorzimmer, elektrische Klingelanlage

Die elektrische Klingelanlage.

Im Lauf der Jahre änderte Ludwig II. das Programm seiner Neuen Burg,  je einsamer er wurde und je stärker sein Königsbewußtsein wurde. Die einst vorgesehenen Gästezimmer entstanden nicht mehr; statt deren wurde im 2. OG des Palas ein Maurischer Saal mit zentralem Springbrunnen geplant, aber nicht mehr gebaut. Aus dem früheren Schreibzimmer wurde ab 1880 eine kleine Grotte, die  effektvoll in verschiedenen Farben elektrisch zu beleuchten war – eine Reminiszenz an die Venusgrotte im 1. Aufzug von Wagners Tannhäuser. Ludwig II. wollte im Dienst der möglichst starken Wirkung oder Illusion stets alle technischen Mittel verwendet wissen.

Neuschwanstein_Grotte

Die Grotte in Schloss Neuschwanstein – effektvoll in verschiedenen Farben beleuchtet.

Vor der Grotte wurde ein Wintergarten balkonartig angebaut, dessen Schiebetür mit riesiger Glasscheibe dem Stand neuester Technik entsprach . Aus dem eher bescheidenen Audienzzimmer und dem Speisesaal wurde ein riesiger Thronsaal, der nicht mehr für Audienzen bestimmt war, sondern als Denkmal des Königtums, gleichzeitig als Abbild der sagenhaften Gralshalle. Um diesen Saal baustatisch im schon errichteten Palas einfügen zu können, bedurfte es hochmoderner Bautechnik:

Ludwig II-Museum_Eisengusssäule

Konstruktionszeichnungeiner Eisenstütze des Thronsaals, 1882, vom Königlichen Baubüro.

Der Saal ist eine Eisenkonstruktion, mit Putz verschalt; die eisernen Stützen und Träger waren industriell hergestellt und wurden damals auch für technische Bauten, wie Bahnhofs- oder Fabrikhallen, benutzt.

Im Westteil des Palas sollte ein Ritterbad, eine hohe Halle mit großem Wasserbecken im Boden, eingebaut werden; ein Nachvollzug des rituellen Badens der Gralsritter, mit denen Ludwig II. sich immer stärker identifizierte. Wolfram von Eschenbach hatte das in seinem Epos Parzival geschildert. Ludwig dachte jedoch nicht an mönchische Kaltbäder: die Heizanlage für das Wasser des Badebeckens, nach dem Prinzip des Durchlauferhitzers konstruiert, wurde sogar fertiggestellt und existiert noch heute. Das Ritterbad gedieh hingegen nur noch bis zum Rohbau.

Ludwig II-Museum_Ritterbad

Entwurfskizze zum „Ritterbad“ im Palas, von Eduard Riedel, um 1870.

Nur Projekt blieb auch die ausgedehnte Ruhe- und Aussichtsterrasse vor dem Bad. In dieser Kombination  -Schwimmbad und Terrasse- lässt das schon an ein  luxuriöses Sanatorium oder Hotel im Gebirge denken, wie sie damals vornehmlich in der Schweiz errichtet wurden.

Beim Tod Ludwigs 1886 war die Neue Burg noch nicht vollendet und wurde es auch nicht mehr. Die Kemenate auf der Südseite des Oberen Hofes wurde bis 1891 in einfachen Formen fertiggebaut, der Bergfried mit Kapelle nicht mehr errichtet. Nach Ludwigs Tod wurde seine Burg Neuschwanstein genannt.

 

Lange missachtet und vernachlässigt, erfährt die Kultur des Historismus heute die ihr gebührende Wertschätzung. Die Bauten Ludwigs II. sind nicht nur die bekanntesten Zeugnisse dieser Epoche, sondern auch die qualitätvollsten.

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Alle Informationen zu Schloss Neuschwanstein bekommt Ihr hier.