Von Dr. Uwe Gerd Schatz, red. Ann Katrin Schulte
Die mittelalterliche Ritterkultur und Sagenwelt hat König Ludwig II. Zeit seines Lebens fasziniert. Tannhäuser, Parzival und Lohengrin dienten ihm seit seiner Jugend als Identifikationsfiguren. Diese Faszination lebte er in eindrucksvollem Maße bei der Innenausstattung seines mittelalterlichen Bauprojektes aus: Schloss Neuschwanstein oder die „Neue Burg Hohenschwangau“, wie Ludwig sie nannte. Besonders im Thron- und im Sängersaal spiegelt sich dies in den dortigen Wandgemälden wider.
Ludwig wählte für seine Neue Burg größtenteils Bildthemen aus dem Umkreis der Musikdramen Richard Wagners, die er liebte und verehrte, griff dabei aber ganz bewusst auf die historischen Quellen dieser Werke zurück.
Auf der Suche nach Vorbildern für seine geplante Neue Burg und dem Rat seines Freundes Richard Wagner folgend, besuchte Ludwig im Jahr 1867 die damals soeben renovierte und neu ausgestattete Wartburg. Zwei historische Räume der Wartburg – den Fest- und den Sängersaal – verband Ludwig in Schloss Neuschwanstein zu einem neuen Raum, dem Sängersaal. Dieser war ein Lieblingsprojekt des Königs und ist, neben dem Thronsaal, der wichtigste Raum des Schlosses. Er war von Anfang an in die Planung der Neuen Burg integriert, und zwar als Denkmal für die ritterliche Kultur des Mittelalters, ganz ohne praktische Funktion. Die Laube zitiert den Sängersaal, die Empore den Festsaal der Wartburg.
Auf typisch historistische Weise sind diese beiden historischen Säle hier zu einem an Größe und Ausstattung die Vorbilder weit übertreffenden Raum zusammengefügt. Zunächst war das Bildprogramm entsprechend der Funktion der Vorbildräume vor allem auf Darstellungen des Minnesangs und seiner Interpreten angelegt. Als jedoch in seinen letzten Lebensjahren seine Neue Burg für Ludwig II. zunehmend zur Gralsburg wurde, ließ er seinen Sängersaal nach Angaben des Mittelalterspezialisten Hyazinth Holland mit Bebilderungen verschiedener mittelalterlicher (Vers-)Epen über den heiligen Gral ausstatten.
Das Bildprogramm des Saals zeigt heute vorwiegend Szenen aus dem mittelalterlichen Versepos Parzival von Wolfram von Eschenbach. Der Sängersaal sollte so anhand der Wandgemälde auf den Thronsaal vorbereiten. Thema eines der Wandbilder ist ein Abenteuer des Gralsritters Gawan, der einen Löwen tötet, dabei aber schwer verletzt und von der Königin Arnive und ihre Hofdamen gerettet wird. Holland beschreibt dieses Wandbild so: „Gawan besteht den Kampf mit einem Löwen, den er zwar tödtet, aber dann von dessen Hauch bewußtlos und aus vielen Wunden blutend über ihn hinfällt. Königin Arnive und ihre Frauen finden Gawan so und es gelingt ihnen, ihn wieder ins Leben zu rufen und zu heilen.“ Das Bild wurde an der Fensterwand des Tribünengangs ausgeführt, wo ein ganzer Zyklus von Gawans „Aventiuren“ dargestellt ist.
Auch der Thronsaal zeugt von Ludwigs Begeisterung für die mittelalterliche Sagenwelt. In dessen Bildprogramm, das Ludwig II. selbst entwickelt hat, flossen mittelalterliche Schilderungen der sagenhaften Gralshalle ein, verwandelten so die Neue Burg in die „Gralsburg“.
Im König Ludwig II.-Museum auf Herrenchiemsee zeigt die Bayerische Schlösserverwaltung etwas ganz Besonderes. Unter dem Motto „Unbekanntes Neuschwanstein“ werden in einer Sonderausstellung 13 Entwürfe zu Wandbildern des Sänger- und Thronsaals und des Speisezimmers von Schloss Neuschwanstein präsentiert. Diese waren bisher noch nie öffentlich zu sehen. Neben zwölf kleinformatigen Entwürfen wird auch ein Karton, also ein 1:1-Entwurf in 2×2 Meter Größe präsentiert, anhand dessen die Darstellung des Kampfes Gawans mit dem Löwen auf die Wand im Sängersaal von Schloss Neuschwanstein gebracht wurde. Die anderen Entwürfe zeigen Episoden aus dem Leben verschiedener Minnesänger, Teile der Gudrunsage sowie die Hl. Elisabeth für den Thronsaal. Noch bis Mitte Oktober habt Ihr die Möglichkeit, diese faszinierenden Entwürfe zu bestaunen. Und wenn Ihr schon dabei seid – nutzt doch die Gelegenheit und schaut euch im Anschluss die Originale in Schloss Neuschwanstein an. Mit unserem Kombiticket „Königsschlösser“ geht das besonders einfach.
Alle Infos zum Ludwig II.-Museum und der Studioausstellung findet Ihr auf unserer Webseite.