Der heutige Beitrag führt zur Abwechslung einmal nicht in einen beliebten oder unbekannten Winkel der Residenz, sondern wir schließen uns – virtuell – den Pilgerströmen an, die heuer zum heiligen Jahr nach Rom, die ewige Stadt, ziehen. Und zwar konzentrieren wir uns unter den zahlreichen Anziehungspunkten für Betende und Touristen auf einen, der etwas außerhalb des alten Stadtzentrums zu finden ist, auf die an der Via Appia gelegene Kirche San Sebastiano fuori le mura, eine der sieben großen Pilgerkirchen Roms.
Sie erhebt sich über einer ausgedehnten Katakombenanlage, in der sich der Überlieferung nach das Grab des heiligen Römeroffiziers Sebastianus befindet, der unter der Regierung des Diocletian im Jahr 258 das Martyrium erlitten haben soll – der Kaiser ließ ihn der Legende nach erst mit Pfeilen beschießen und, als das nicht ausreichte, erschlagen.
Im rechten Seitenschiff der Kirche kann man die von Giuseppe Giorgette, einem Schüler des berühmten Barockbildhauers Bernini, geschaffene Liegefigur des vom spätantiken Krafttraining und göttlicher Liebe gut durchgebildeten Heiligen bewundern.In komplizierter Drehung bietet er den dekorativ mit goldenen Pfeilen gespickten Marmorleib verehrenden Augen dar.
Für uns aber interessanter ist die – optisch unspektakulärere – Altarnische gegenüber: Denn hier, fernab von Bayern und München, stoßen wir auf der zentral angebrachten lateinischen Widmungstafel auf einen alten Bekannten: Der Altar ist eine Stiftung „Ser. Princ. Maximiliani. Vtri. Bavariae. Ducis. Sac.Rom. Imp. Electoris“ – also des erlauchten Fürsten Maximilian, Herzog von Bayern, Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches – das ganze datiert 1625. Entnervt stellt man fest, dass man nie weit genug von zuhause entfernt ist, um nicht doch auf Bekannte aus der Heimat zu stoßen. Doch dann tritt man trotzdem interessiert näher, um zu sehen, was Maximilian I. (reg. 1597-1651), strenggläubiger Katholik, engagierter Kunstsammler und Residenzbauherr und nicht zuletzt machtvoller Befürworter der Gegenreformation, hier mit einer Stiftung gefördert hat. Nichts unbedeutendes jedenfalls:
Tatsächlich sind hinter dem Gitter bedeutsame Reliquien angehäuft: Nicht nur die Pfeile, die Sebastians Körper durchbohrten und ein Stück der Säule, an die er gefesselt wurde, sondern auch ein Stein aus der nahen Quo-Vadis-Kirche mit den Fußabdrücken Christi: Wie jeder Liebhaber des alljährlichen österlichen Monumentalfilm-Programms weiß, erschien dort der auferstandene Heiland dem Petrus, der gerade vor Kaiser Nero aus Rom floh. Als der fahnenflüchtige Apostel peinlich berührt fragte: „Wohin gehst Du, Herr?“ („Quo vadis Domine?“), sah er sich sanft aber mit Nachdruck zurück in die Stadt und zum Martyrium geschickt – und wurde zugleich die Basis gelegt für den berühmten Roman und die Schauspielkarriere von Peter Ustinov und Deborah Kerr!
Rom und seine Wallfahrtstätten persönlich kennengelernt hat Maximilian aber nicht erst 1625, sondern viel früher, im Jahr 1593, als der damalige bayerische Erbprinz nach dem Studium in Ingolstadt vom Vater Wilhelm V. auf Reisen geschickt wurde. Nach einem Höflichkeitsbesuch bei Kaiser Rudolf II. in Prag nahm Maximilian Kurs auf den Heiligen Stuhl: Sofort nach der Ankunft stand der Besuch der Peterskirche und eine längliche Audienz bei Papst Clemens VIII. auf dem Programm. Trotz akuter Gichtanfälle widmete sich Clemens mit Engagement dem Sohn und Nachfolger des Bayernherzogs – eines wichtigen Verbündeten im Kampf gegen den Protestantismus. In den nächsten Tagen und Wochen lernte der Prinz die wichtigsten Mitglieder der Kurie persönlich kennen, tat was für Kultur und Bildung (offensichtlich begegnete er dem Dichter Torquato Tasso) und kam repräsentativen wie persönlichen Glaubenspflichten an den römischen Wallfahrtsstätten nach. Sicher hat er damals auch die Sebastianskirche besucht, allerdings den Vorgängerbau des heutigen, ab 1609 barockisierten Gotteshauses. Die frühchristliche Verehrungsstätte dürfte ihn als Kind der Gegenreformation zweifellos fasziniert haben: Etwa zur Zeit seines Romaufenthalts begann die systematische Erforschung und „Ausbeutung“ der Katakomben, aus denen zahllose, wiewohl anonyme Märtyrerknochen (oder solche die es werden sollten…) geborgen und im großem Maßstab auf Kirchen und Klöster dies- und jenseits der Alpen verteilt wurden. Diese Erinnerungen mögen bei Maximilians Stiftung für die prominenten und an prominenter Stelle präsentierten Reliquien eine Rolle gespielt haben: Indem er einen angemessenen Rahmen für die Verehrung der Segen bringenden Überreste finanzierte, fiel auch etwas vom Ruhm des Heiligen auf ihn, den Wittelsbacher.
Sebastian war eine zentrale Gestalt des Heiligenkalenders, einer der vierzehn Nothelfer: Sozusagen aus Betroffenheitskompetenz wurde er als Retter vor den todbringenden Pfeilen der Pest angerufen. In seiner eigenen, umfänglichen Reliquiensammlung in der Reichen Kapelle der Münchner Residenz verwahrte Maximilian selbst ein kostbar gefasstes Knochenfragment des Märtyrers…
Man sieht: die Bezüge sind vielfältig und so ist die unspektakuläre Inschrifttafel ein weiteres interessantes Dokument für die zahlreichen kulturellen, politischen und religiösen Verbindungen, die im 16. und 17. Jh. zwischen Bayern und Italien herrschten!