Die Erforschung, Konservierung und Neuerschaffung des Kristallthrons König Ludwigs II. kann nur als Erfolgsgeschichte betrachtet und sollte auch so erzählt werden. Meine erste Begegnung mit dem Thron auf dem Loreleyfelsen war im September 2012. Ich wurde als Möbelrestaurator dazu berufen, mich um dieses schwer beschädigte, letzte Möbelstück der Venusgrotte zu kümmern, das bereits dem Untergang geweiht schien. Aus der Ferne war er schon immer auch aus der Besucherperspektive als leuchtend funkelnder Akzent zu sehen gewesen. Aus der Nähe allerdings bot er sich lediglich als ein von grauem mineralischem Schmutz bedeckter Trümmerhaufen dar.
Um was es sich bei diesem formlosen Überrest handelte, war durchaus bekannt: Es waren die Reste des sogenannten Kristallthrons des Königs. Einer von zwei besonders markant gestalteten Sitzgelegenheiten, von denen der König einen reizvollen Ausblick durch die künstliche Tropfsteinhöhle über den See hinüber zum Tannhäusergemälde genießen konnte. Der andere bemerkenswerte Sitz war übrigens der Muschelthron, von dem sich nurmehr die Bank aus Sandstein erhalten hatte, wohl aber eine Entwurfszeichnung von Franz von Seitz, auf welcher der Thron mit seiner phantasievollen Ausstattung überliefert war. Vom Kristallthron fand sich aber unter den für die Venusgrotte erstellten Entwurfszeichnungen leider keine. So war der Ausgangspunkt der, dass wir vom Muschelthron, von dem sich fast nichts erhalten hatte, eine verhältnismäßig genaue Vorstellung hatten, vom Kristallthron dagegen zwar durchaus bemerkenswerte Reste vorhanden waren, wir aber nur sehr vage Anhaltspunkte seines ursprünglichen Aussehens hatten. Offensichtlich war, dass wesentlichen Teile fehlten. Das viel größere Problem war aber der schlechte Erhaltungszustand der noch vorhandenen Teile.
Historische Aufnahme des Kristallthrons von der Rückseite um 1985. Der Zustand war bereits zu der Zeit äußerst desolat. Am Boden sind Reste der originalen Elektrifizierung aus dem 19. Jh. zu erkennen. Foto: Jean Schlim
Wie sah der Kristallthron aus?
Der Kristallthron ist kein Thron bzw. Zeremonialstuhl wie wir ihn uns üblicherweise auf einem Podest stehend unter einem Baldachin vorstellen, sondern vielmehr eine aus Holz zusammengefügte Sitzbank in Form eines Sarkophags. Der namensgebende Bestandteil – die Kristalle, bestehen aus ca. 30 cm langen, geschliffenen Glasprismen verschiedener Dicke. Sie sind in einen Gipshügel eingebunden, der im Kern durch ein Geflecht aus Metallbändern, Draht und geflochtenen Strohmatten stabilisiert wird. Oberflächlich wurde der Gips felsenartig modelliert. Die Kristalle sind mit Hilfe von Metallmanschetten in den Gipshügel fest eingebunden. Sie sind wie natürliche Bergkristalle spitz zulaufend angeschliffen und wie eine naturalistische Erzstufe positioniert. Sie umringen die hölzerne Bank anstelle einer Rückenlehne. Der sogar noch im ruinösen Zustand geradezu aufsehenerregende Effekt der Glaskristalle liegt in ihrer Beleuchtung von der Unterseite her, sodass sich das Licht an den geschliffenen Kanten und besonders an den Spitzen der Prismen funkelnd und strahlend bricht. Zum Teil projizieren sich in Regenbogenfarben gebrochene Lichtflecken auf den Höhlenwänden der Grotte.
Die Kristallprimen mit der neuzeitlichen Beleuchtung von der Innenseite des Kristallfelsens aus. Aufnahme 2012. Foto: BSV/Mintrop
Besonders bemerkenswert ist, dass die Beleuchtung der Kristallprimen schon seit ihrer Herstellung 1877 mit elektrischen Glühbirnen betrieben wurde. Die Halterungen der in Reihe geschalteten Batterien, die dafür erforderlich waren, ist bis heute erhalten. Dies ist umso bemerkenswerter, weil die Erteilung des Patents für Glühbirnen erst Jahre später 1880 erfolgte. Allein dies macht den Kristallthron auch zu einem technischen Kulturgut hohen Ranges.
Der Zustand des Kristallthrons vor der Restaurierung
Der rechte Teil des Kristallhügels stellte sich besonders lückenhaft dar. Hier schien es, als wären Teilflächen völlig „abgeräumt“, lediglich ein rotbrauner Stumpf einer künstlichen, hölzernen Koralle war erhalten geblieben. Der hauptsächliche Grund für den bedauerlich, fragmentarischen Zustand des einst prachtvollen Ausstattungsstücks liegen in seiner Materialität und dem Raumklima dem der Thron fast 140 Jahre lang ausgesetzt war. Die künstliche Tropfsteinhöhle wurde bis zur Sanierung von eindringendem Quellwasser durchlaufen und verfügt bekanntermaßen über einen großen künstlichen See mit Wasserfall. Zwar wurde der See alljährlich in der winterlichen, besucherfreien Zeit abgelassen, aber dennoch herrschte nahezu durchgehend eine Luftfeuchte von 100%. Das ist natürlich entscheidend zu viel, denn der Thron besteht zum großen Teil aus organischen Materialien wie Holz, Strohgeflecht und wie sich später herausstellte – auch aus Papier und Stoff. Alle diese Materialien sind unter diesen Umgebungsbedingungen der Fäulnis und dauerndem Verfall unterworfen.
Auf dem zusammengebrochenen Gipsfelsen hängen die schweren Glas-Kristalle buchstäblich „In den Seilen“. Foto: BSV/Mintrop
Darüber hinaus wurde das statisch wichtige Gerüst aus unedlen Metallen wie Eisendraht und Blech hergestellt, die bei hoher Luftfeuchte selbstverständlich bis zur völligen Auflösung verrosten. Als Resultat war der Gipshügel unter dem Gewicht der Glaskristalle schon vor einigen Jahrzehnten zum Teil zusammengebrochen. Fäulnis war an allen Holzteilen offenbar, vor allem an der Unterkonstruktion, die mit dem Grottenboden in Kontakt ist, aber auch an der Bank, dem Korallenstumpf und verschiedenen geschnitzten Muscheln und Meeresschnecken, die im Umfeld herumlagen und mutmaßlich mit dem Kristallthron in Zusammenhang standen. Hier war schnell klar, dies würde keine normale Arbeitsaufgabe werden.
Im Bereich des Loreleyfelsens fanden sich geschnitzte Schneckenhäuser und zahlreiche Fragmente des Kristallthrons mit einer grauen Staubschicht bedeckt. Foto: BSV/Mintrop
Das Forschungsprojekt
Es kann als ausgesprochener Glücksfall bezeichnet werden, dass es möglich war, eine Master-Studentin zu finden, die sich mit wissenschaftlichem Spürsinn der Aufgabe annahm, die hochkomplexe Materialkombination mit seinen zum Teil fast hoffnungslosen Verfallserscheinungen zu untersuchen und durch professionelle, konservatorische Maßnahmen vor dem Untergang zu bewahren. Veronika Lauber, die bereits Jahre zuvor ein studienvorbereitendes Praktikumsjahr in der Möbelrestaurierung der Bayerischen Schlösserverwaltung mit großem Erfolg absolviert hatte, konnte für dieses Projekt gewonnen werden. Ab 2017 war Gefahr im Verzug – der marode aber dennoch wertvolle Kristallthron musste aus Sicherheitsgründen aus der Grotte geborgen werden, denn für die Instandsetzungsmaßnahmen der künstlichen Felsen mit ihrer angegriffenen Drahtputzschale waren umfangreiche Gerüststellungen notwendig. Ersten Bestandsaufnahmen und Sicherungsarbeiten am Thron folgte der Abtransport in Richtung der Restaurierungswerkstätten der Schlösserverwaltung in Schloss Nymphenburg.
Eine spannende Spurensuche
Nun begann eine regelrechte Spurensuche. Bald zeigte sich, dass sich unter den dicken steingrauen Staubschichten mehr Reste von Farbigkeit verbargen als erwartet. Darüber hinaus entpuppten sich vermeintlich übergroße Fehlstellen im Kristallfelsen als bewusste Auslassungen um Platz für einstmals üppigen Schilfbewuchs zu lassen. Reste der ebenfalls künstlich hergestellten Pflanzenstängel und Schilfbüschel fanden sich zahlreich. Sie bestehen aus grün eingefärbten Papier- und Stoffstreifen, die um Holzstäbe gewickelt waren und in eine Tonsteckmasse auf der Bodenplatte „eingepflanzt“ wurden.
So wie in der flüchtig eingedrückten Tonsteckmasse als auch gelegentlich an der Gipsmodellierung des Kristallhügels hatten die Kunsthandwerker Bearbeitungsspuren und Fingerabdrücke hinterlassen. Es entstanden mitunter eigentümlich persönliche Momente als würden wir unseren Vorgängern beim Arbeiten „auf die Finger sehen“. Wer waren diese Leute, die für seine Majestät diesen total verrückten illusionistischen Königssitz erschufen? Die nur grob, aber mit professionellem Sachverstand gezimmerte Holzkonstruktion und das Eisendraht- und Gips-Konstrukt wiesen auf eine zügige Arbeitsweise hin. So wie die Schilfbüschel aus Papier und Holz waren sie offenbar nicht für die Ewigkeit konzipiert. Dagegen waren die beiden mit großer Sorgfalt geschnitzten Muscheln bzw. Schnecken von geübten Bildhauerhänden hergestellt und mit ebenso großer Sorgfalt durch versierte Fassmaler farbig mit einer naturalistischen Außenhaut und Perlmuttimitation versehen worden. Es liegt nahe, dass möglicherweise Bühnenbildner des Königlichen Hoftheaters in München hier am Werk gewesen sein könnten. So war Franz von Seitz, der Entwerfer der Grottenausstattung auch Hofbauintendant der Königlichen Staatsoper. Ephemere, das heißt nur für kurze Dauer hergestellte, phantastische Kulissen waren für aufwändige Inszenierungen insbesondere im 19. Jh. durchaus üblich und werden noch heute als „Feerie“ (frz. Zauberwelt) bezeichnet. Zugegebenermaßen waren die Erzeugnisse für die Venusgrotte sicher von herausgehobener Qualität, was die schon damals außerordentlich kostspieligen Glasprismen aus Bleikristall und das mit Silberfäden bestickte Sitzkissen laut Rechnungsstellung archivalisch belegen.
Detail des aufwändig mit Silberfäden gestickten Seidenkissens. Es wurde im Depot wiederentdeckt. Foto: BSV/Scherf
Bei archäologischen Auswertungen im Bereich des Loreleyfelsens traten immer mehr, zunächst rätselhafte aber bedeutungsvolle Artefakte zutage. Es fanden sich neben künstlichen Rosen- und Seerosenblättern auch holzgedrechselte Rohrkolben, echte Seemuscheln, Glassplitter von Glühlampen und vieles mehr, allerdings nur in Resten oder Bruchstücken. Gleichzeitige Archivrecherchen bestätigten die Lieferung von künstlichen Rosen- und Rhododendronbäumen, auch Seerosen in diesem Bereich sowie natürliche Felle zur Abdeckung des Bodens vor dem Thron. Es handelte sich offenbar um eine zauberhafte Phantasiewelt zwischen oberirdischen Sphären und Unterwasserwelt was die Muscheln und der hellblau gefasste Kristallfelsen und der Korallenstumpf nahelegen.
Der Kristallfelsen von der Innenseite: Gut zu erkennen ist die Konstruktion aus Gips, Draht, Metallbändern und Stroh (rechts). In der Bildmitte sind verschiedenfarbige Reflektoren aus echter Silberfolie montiert, die auf Kartons aufgezogen wurden. Foto: BSV/Mintrop
Dieser baumstammartige, leicht gewundene Korallenstumpf blieb uns lange ein Rätsel bis Veronika Lauber eine sensationelle Entdeckung machte: Es hatte sich unter den der Grotte zugeordneten Zeichnungen von Seitz ein Entwurf für einen sechsarmigen Tischleuchter aus Bronze erhalten. Er sollte in Art einer Koralle gefasst werden. Durch den Vergleich der erhaltenen Windungen des Korallenstumpfes mit denen des Leuchterentwurfs stellte sich heraus, dass es sich bei der Zeichnung vielmehr um den fehlenden Entwurf für den Kristallthron handelte, dessen Kristallfelsen und Muschelbestückung bereits zeichnerisch detailliert angelegt waren. Niemandem war es zuvor aufgefallen. Nun war endlich klar wie viel und vor allem was dem Kristallthron fehlte. Auch wurde endlich verständlich was bei den schriftlich überlieferten Schilderungen der ersten Besucher der Venusgrotte mit dem „Korallenbaum riesiger Größe“ gemeint gewesen war. Darüber hinaus war nun auch die Verwendung der aufgefundenen und sehr gut erhaltenen See-Muschelschalen deutlich. Sie dienten wie auf der Entwurfszeichnung als Wachsfangschalen für die Kerzen des Korallenbaum-Leuchters.
Entwurfszeichnung für einen Korallenleuchter auf einer Kristallstufe, Franz Seitz 1876/77 (Plansammlung der BSV)
Die Hauptaufgabe bestand nun darin, Restaurierungs-Konzepte für dieses Konvolut an organischen und anorganischen Werkstoffen zu entwickeln, die in einem komplizierten Materialmix miteinander verwoben und zum Teil extrem degeneriert, verfault und verrostet waren.
Die hölzerne Konstruktion war so stark geschädigt, dass sie unter schwierigen Bedingungen konserviert werden musste. Foto: Veronika Lauber
Als besonders schwierig erwies sich die Stabilisierung des zerbrochenen Felsens, sollten doch die abgebrochenen aber noch sehr gut erhaltenen Kristalle wieder in ihrer ursprünglichen Position fest verankert werden. Dafür konzipierte Veronika Lauber zusammen mit dem Metallrestaurator Johannes Pilz spezielle, individuell justierbare Stützen, die in den Felsen eingebaut, das hohe Gewicht der Glaskristalle tragen sollen. Für die vielen Einzel-Problemstellungen wurden jeweils zugeschnittene Konservierungskonzepte entwickelt, erprobt und auch ausgeführt – eine Sisyphusarbeit.
Individuell einstellbare Metallstützen tragen heute das Gewicht der ausgebrochenen Glaskristalle. Foto: Veronika Lauber
Der konservierte Kristallthron mit allen wiederversetzten Bruchstücken, hier noch ohne Kissen. Foto: Veronika Lauber
Schon bald stellte sich heraus, dass das planerische Gesamtkonzept für die Venusgrotte, den Zustand der Erbauungszeit, den Ludwig II einst sah, mit den erhaltenen Resten nur mit großen Abstrichen in Einklang zu bringen wäre. Fehlten doch auffällige, auch für die Gesamtwirkung der Grotte entscheidende Teile wie der Korallenbaumleuchter und das Schilf fast vollständig. So wurden die Möglichkeiten einer rekonstruierenden Kopie erörtert, die an die Stelle des originalen Kristallthrons treten sollte. Die Voraussetzungen dafür waren ausgezeichnet, denn die detaillierten Untersuchungen und Objektrecherchen von Veronika Lauber machten es vorstellbar, tatsächlich eine detailgenaue Kopie zu bauen.
Während der Konservierungsarbeiten des Kristallthrons (rechts), entstand zeitgleich eine detailgenaue Kopie links. Foto: Veronika Lauber
Auch wenn der Gedanke, dass der Kristallthron nicht wieder an seinen angestammten Platz auf den Loreleyfelsen zurückkehren würde, für uns zunächst etwas schmerzlich war, kann diese Entscheidung nur als Glücksfall für den Kristallthron gewertet werden. Nun war es möglich, dieses singuläre und unendlich empfindliche Relikt für museale, klimatische Bedingungen zu restaurieren. Eine Rückkehr in die Venusgrotte hätte – das war uns allen klar, trotz optimaler Konservierung ein absehbares Ende des originalen Kristallthrons bedeutet. Er ist nun optimal konserviert und wird künftig im entstehenden Welterbezentrum in Linderhof als Exponat aus der Nähe zu erleben sein.
Die fertiggestellte Kopie des Kristallthrons am authentischen Standort auf dem Loreleyfelsen der Venusgrotte. Foto: BSV/Freudling, Scherf
Auf dem Loreleyfelsen steht nun am selben Platz eine originalgetreue Kopie des Kristallthrons, die im Restaurierungszentrum der Schlösserverwaltung parallel zu den Konservierungsarbeiten am Original entstanden ist. Der atemberaubende Eindruck zieht nun alle Betrachter in seinen Bann. Davon wird in einem weiteren Blogbeitrag zu lesen sein.
Titelbild: Die Venusgrotte vor der Restaurierung, im Hintergrund ist der leuchtende Kristallthron zu sehen. Foto: Michael Hilgert, 1991