Das Tor steht wieder offen
Das kleine Kräutergärtchen auf der Veste Coburg ist wieder für unsere Besucher geöffnet und präsentiert sich in neuer Gestalt. Angelehnt an mittelalterliche Burggärten wurde die vorhandene Grünfläche im Bereich der „Hohen Bastei“ der Veste mit Gewürz-, Heil-, und Kräuterpflanzen nach Plänen der Gärtenabteilung der Bayerischen Schlösserverwaltung, neu bestückt. Die Umsetzung erfolgte durch die Gärtnerinnen und Gärtner der Schloss- und Gartenverwaltung Coburg. Dabei orientiert sich die Pflanzung an alten Burg- und Klostergärten, die traditionell mit Gemüse und allerlei Kräutern ausgestattet waren und somit einen wichtigen Bestandteil der Burgökonomie darstellten. Der Vorteil bestand darin, dass einige Gewächse wie Küchenkräuter und Gemüse für die Zubereitung der Speisen unverarbeitet verzehrt werden konnten. Bedeutsam war außerdem der Anbau von Arzneipflanzen zur traditionellen Herstellung von Medizin für die Bewohner der Festung, die während eines Gefechts nur auf burgeigene Heilmittel zurückgreifen konnten. Einige Kräuter hingegen wurden vor allem wegen ihrer religiösen oder spirituellen Bedeutung kultiviert.
Basierend auf diesem Hintergrund entschied sich die Gärtenabteilung der Bayerischen Schlösserverwaltung, die mit den Jahren immer weiter zugewachsenen Beetbereiche auf der Hohen Bastei der Veste Coburg neu anzulegen. Klassische Heilpflanzen wie der Salbei, der Lavendel und die Ringelblume, aber auch Würzpflanzen wie der Basilikum und der Thymian sind nun in dem kleinen Gärtchen zu finden.
Drinnen und Draußen
Die romantische Grünfläche befindet sich in exponierter Lage im Bereich der „Hohen Bastei“. Östlich des Fürstenbaus kann die duftende Pflanzung über eine Steintreppe erreicht werden; diese führt entlang der Lutherkapelle auf eine Aussichtsplattform. Hier erwartet den Besucher nicht nur das liebevoll angelegte Burggärtchen, er wird außerdem von einem atemberaubenden Panorama überrascht. Dieser gezielte Blick in die weite Landschaft ist ungewöhnlich im direkten Vergleich mit den mauerumschlossenen Lust- u. Küchengärten des Mittelalters. Die Gartengestaltung fokussierte sich damals vor allem auf die eigentlichen Beetflächen, dabei wurde die Umgebung zum Schutz vor Wildtieren bewusst ausgeschlossen. Das luftige Gartenareal der Veste hingegen gibt die Sicht in die Landschaft ganz bewusst frei. Dieser Blickbezug erinnert vielmehr an Konzepte arabischer Freianlagen, die gezielt attraktive Sichtachsen aus dem umwehrten Grünraum, in die Umgebung inszenieren.
Die Vierteilung
Die folgenden Piktogramme sollen den Grundaufbau der Pflanzplanung und die Einteilung der Beetflächen veranschaulichen. Sie zeigen – ausgehend von der Pflanzbeeteinfassung aus Lavendel – die kreuzförmige Vierteilung der Pflanzflächen und die abwechslungsreiche Staudenanordnung innerhalb eines Beetviertels.
A
B
C
Die typisch geometrische Grundform der Pflanzfläche bleibt in der Neuplanung weiterhin bestehen, wohlwissend, dass historische Burggärten nicht zwangsläufig rechteckig waren. Durch die Orthogonalität ließen sich so zwar recht einfach gleichmäßige Anbauflächen festlegen, die endgültige Gestalt des Gartens wurde jedoch durch weitaus bedeutendere Rahmenbedingungen beeinflusst. Das Erscheinungsbild der Grünanlagen ergab sich unter anderem durch damalige Bewirtschaftungsmethoden, auch die Beschaffenheit der Anbaufläche und ihr Standort im Burgareal waren ausschlaggebend.
Der rechteckige Grundriss des Kräutergartens wird durch zwei sich kreuzende Granitsteinreihen (Piktogramm A) in vier gleichgroße Pflanzflächen unterteilt. Diese Grobgliederung der Beete ist praktisch, da alle Bereiche vom Rand gleichermaßen einfach erreicht werden können. Als rahmende Staude wird duftender Lavendel eingesetzt. Er betont in jedem Viertel die rechteckige Beetform. Die harmonische Vierteilung der Gartenfläche steht sinnbildlich für die vier Jahreszeiten, die vier Himmelsrichtungen und die vier Elemente und wird durch das neue Pflanzkonzept hervorgehoben. So wiederholt sich das Prinzip innerhalb der Pflanzflächen in Form einer kreuzförmigen Bodendeckerfläche aus Thymian (Piktogramm B). Die neue Gestaltung sieht unter anderem eine diagonale Teilung der vier rechteckigen Teilbereiche vor, wodurch sich acht kleinere Pflanzsegmente pro Pflanzfläche (Piktogramm C) ergeben. Die neuen Gewächse formen hier eine abwechslungsreiche Komposition aus besonders blütenreichen, duftenden Exemplaren, kombiniert mit attraktiven Blattschmuckstauden. Dabei wurde darauf geachtet, dass in jedem Pflanzbeet die höchsten Exemplare zur Mitte hin positioniert werden, damit niedrige nicht überwachsen werden. Den höchsten Punkt bildet die solitäre Artischocke – mit bis zu 150 cm Wuchshöhe – und der Fenchel mit ebenfalls ca. 150 cm Höhe. Beide Stauden unterstreichen als wertvolle Gemüse- und Heilpflanzen die Höhenstaffelung. Der flachwachsende Thymian unterstützt als winterharter Bodendecker diesen Effekt. Er wurde kreuzförmig um den Mittelpunkt der Pflanzviertel gesetzt.
Blüte, Laub und Duft
Das Burggärtchen wurde mit heimischen ein- und mehrjährigen Heil-, Gewürz- und Küchenpflanzen bestückt. Dabei berücksichtigte man sechs Kriterien bei der Pflanzenauswahl: Ein besonderes Augenmerk lag auf der Wahl einer geeigneten Pflanze für den Mittelpunkt der vier rechteckigen Pflanzflächen. Bereits im späten Mittelalter trifft man wiederholt auf die Anordnung der Nutzflächen um ein zentrales Element, wie beispielsweise einen Brunnen. Dieses Prinzip soll auch im Kräutergarten der Veste ausgebaut werden, indem das Zentrum der Anlage eine Artischockenpflanze bildet. Das hohe, solitäre Gewächs wurde damals nicht nur wegen seiner attraktiven Blütenstände angebaut, sie wurde sowohl roh als auch gekocht verzerrt und war als Arzneipflanze bekannt. Die fleischige Staude lindert beispielsweise Verdauungsbeschwerden und beugt Herz- Kreislaufbeschwerden vor. Auch der Fenchel deckt als würzige Nutzpflanze eine große Anwendungsbandbreite ab. Hans- Dieter Stoffler beschreibt ihn in seinem Werk „Kräuter aus dem Klostergarten: Wissen und Weisheit mittelalterlicher Mönche“ folgendermaßen:
„Der Fenchel ist ein vielgestaltiger und vielseitiger, >>von Kopf bis Fuß << nutzbarer Doldenblütler.“
„[Er] hat eine angenehme Wärme, schadet auch roh genossen dem Menschen nicht. In jeglicher Zubereitung heitert er den Menschen auf, bewirkt wohltuende Wärme und Schweiß und fördert die Verdauung…“
Stoffler, Hans-Dieter (2002): Kräuter aus dem Klostergarten: Wissen und Weisheit mittelalterlicher Mönche; S.75: Jan Thorbecke Verlag GmbH, Stuttgart.
So kommt er noch heute als Gemüse-, Gewürz- und Heilpflanze zum Einsatz und bildet hier den untergeordneten Mittelpunkt innerhalb der vier Pflanzbeete. Aufgefüllt werden die Beete mit blütenreichen Pflanzen, eindrucksvollen Blattschmuck-Stauden und intensiv duftenden Gewächsen. Die Ringelblume, Goldnessel und das Heiligenkraut ziehen durch ihre außergewöhnlichen Blütenformen die Blicke auf sich und bereichern mit ihrem gelben Farbspektrum die Pflanzkomposition. Das Basilikum, die Fetthenne und der Frauenmantel hingegen überzeugen mit ihrem Laub. Von außergewöhnlich gefärbt, fleischig dick über weich behaart, können zahlreiche Blattschmuckvarianten bestaunt werden.
Den Schwerpunkt der neuen Pflanzung bilden aromatisch duftende Gewächse. Der Lavendel, Salbei, Thymian und einige mehr, werden unter dem Aspekt „Duft“ innerhalb der Beete verteilt. Alle Kategorien „Blüte-Laub-Duft“ kommen im Wechsel zum Einsatz, wodurch eine spannungsvolle Komposition erzeugt wird und jedes Pflanzviertel einen individuellen Charakter erhält. Die heimischen Pflanzen finden zum großen Teil ihre Anwendung in der Küche, zum Würzen von Gerichten oder zum Verfeinern von Getränken und Süßspeisen. Die Artischocke und den Fenchel kennt man als Gemüse und die Ringelblume als Bestandteil von Naturkosmetikprodukten. Die Goldnessel, das Heiligenkraut und die kleine Bibernelle kommen im Alltag eher seltener zur Anwendung, obwohl allesamt wichtige Bausteine der Phytotherapie darstellen. Das Spektrum des Gärtchens umfasst 15 verschiedene Pflanzenarten und -sorten mit vielfältigen, unter anderem auch arzneilichen Einsatzmöglichkeiten. So werden einige Pflanzen zur Behandlung von Frauenleiden, Magen-Darmbeschwerden oder Erkältungskrankheiten verwendet. Sie stellen feste Bestandteile der Pflanzenheilkunde dar und begegnen uns sowohl in der konventionellen Medizin als auch in der Homöopathie.
Pflanzschilder
Die Pflanzen des kleinen Kräutergartens können eindeutig anhand von Schildern zugeordnet werden. Angefertigt wurden die Schilder durch die Mitarbeiter der Waffenrestaurationswerkstatt der Kunstsammlung der Veste. Sie beinhalten den deutschen und botanischen Pflanzennamen, ein Symbol mit dem Pflanzenbestandteil welcher zur Herstellung der Medizin genutzt wird oder bereits als Teeaufguss seine Wirkung entfaltet. Zudem werden beispielhafte Anwendungsgebiete genannt.
Literaturvorschläge
Haudebourg, Marie-Thérèse (2004): Vom Glück des Gartens: Gartenparadiese im Mittelalter. Jan Thorbecke Verlag der Schwabenverlag AG, Ostfildern
Hennebo, Dieter (1987): Gärten des Mittelalters. Artemis Verlag, München und Zürich
Stoffler, Hans-Dieter (2002): Kräuter aus dem Klostergarten: Wissen und Weisheit mittelalterlicher Mönche. Jan Thorbecke Verlag GmbH, Stuttgart
Titelbild: Dieter Ertel, Fotostudio der Kunstsammlungen der Veste Coburg, 2022