Sie hießen Frl. Stocker, Frl. v. Boemble und Susanne Suhr. Sie waren Sekretärin in der bayerischen Staatskanzlei, Justizangestellte und Ehefrau. Es gab sie also – Frauen beim Verfassungskonvent. Als Expertinnen, Politikerinnen oder Staatsrechtlerinnen waren sie damals jedoch nicht gefragt.
Der Verfassungskonvent auf der Herreninsel: ein wichtiger Schritt zum Grundgesetz
Vom 10. August bis 23. August 1948 tagte im „Alten Schloss“ auf der Herreninsel der sogenannte Verfassungskonvent. 30 Experten – Männer aus Politik, Rechtswissenschaften, Länderverwaltungen – diskutierten über die Neugestaltung Deutschlands und damit verbundene Verfassungsfragen. Am Ende legten sie einen Bericht und einen kompletten Verfassungsentwurf vor. Vieles davon ging wortwörtlich in unser Grundgesetz ein – mit einer wesentlichen Ausnahme: Die Gleichberechtigung der Geschlechter war so explizit zunächst nicht mitgedacht worden. Erst nach den Beratungen des Parlamentarischen Rates in Bonn wurde Artikel 3, Absatz 2 hinzugefügt. Darum, und um die Frage, warum Frauen beim Konvent nur in Nebenrollen agierten, dreht sich dieser Blogbeitrag.
Ursachen für die Nicht-Beteiligung von Frauen beim Konvent
Dass Frauen beim Verfassungskonvent nicht als Expertinnen gefragt waren, hatte verschiedene Gründe: Die als traditionell empfundene Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern prägte das gesellschaftliche Zusammenleben. Diese hatte sich im Bürgertum und den gehobenen Schichten im 19. Jahrhundert herausgebildet. Demnach galt, dass Frauen für das Private, den Haushalt und die Familie zuständig sein sollten, während Männer in der Politik, Gesellschaft und Arbeitswelt aufzutreten hatten. Zwar hatte in den 1920er Jahren eine erste Welle der Frauenbewegung und -emanzipation stattgefunden, in der immer mehr junge Frauen einer eigenständigen Erwerbstätigkeit nachgingen, doch beförderte die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur dann wiederum das Gegenteil befördert.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit drängte zumindest die amerikanische Besatzungsmacht darauf, mehr Frauen in die Politik und in verantwortungsvolle Positionen zu bringen. Sie ging davon aus, dass die Erziehung zur Demokratie von den Frauen ausgehen müsste. Ähnlich formulierte auch Helene Weber 1949 bei einer Sitzung des deutschen Bundestags: „Die Frau muß im ganzen öffentlichen Leben, in allen Verwaltungskörpern angemessen mitarbeiten. Wir haben im Dritten Reich erlebt, was der Männerstaat ist. Der reine Männerstaat ist das Verderben der Völker!“ Für kurze Zeit gab es Aussicht auf eine Veränderung für Frauen. Allerdings war dies nur von kurzer Dauer und konservative gesellschaftliche Kräfte gewannen seit den 1950er Jahren wieder die Oberhand.
Ein anderer Aspekt, der zu bedenken ist, waren die ungleich verteilten Bildungs-, Ausbildungs- und damit Karrierechancen. So waren beispielsweise junge Frauen in Bayern erst seit 1903 zum Jurastudium zugelassen, und erst seit 1922 war es ihnen erlaubt den Vorbereitungsdienst und das zweite juristische Staatsexamen abzulegen, das eine Voraussetzung für eine Position im höheren Dienst in der Justiz und Verwaltung war. Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten verschärfte sich die frauenfeindliche Beamtengesetzgebung. Eine Verbeamtung wurde ihnen meist versagt und aus der Richter- und Staatsanwaltslaufbahn wurden sie gänzlich ausgeschlossen. So befand sich im gesamten höheren Ministerialbeamtentum in Bayern 1947 nur eine einzige Juristin. Innerhalb der Rechtswissenschaften blieben Vorbehalte und Barrieren vergleichsweise lang bestehen. Dementsprechend waren Frauen in entsprechenden Positionen in den Landesverwaltungen kaum vertreten. Und hauptsächlich von diesen wurde der Verfassungskonvent beschickt.
Frauen auf Herrenchiemsee während der Beratungen
Der Herrenchiemseer Entwurf hatte zur Geschlechtergleichheit keinen Absatz vorbereitet. Die Mehrheit der ausschließlich männlichen Experten beim Konvent hatte dies nicht für nötig gehalten. In der fünften Sitzung des Unterausschusses I für Grundsatzfragen äußerte Otto Suhr, der nicht-stimmberechtigte Vertreter Berlins, seine Bedenken gegenüber der vorgeschlagenen Formulierung des Gleichberechtigungsartikels. Diese verbot zwar explizit eine Benachteiligung aus Gründen der Abstammung, der sozialen Stellung sowie der religiösen und politischen Anschauung, nicht aber speziell aufgrund des Geschlechts. Carlo Schmid und Hermann Fecht unterstützten Suhr und verwiesen auf die Verfassungen anderer Länder, in denen „die Gleichheit der Frau und des Mannes bezüglich der staatsbürgerlichen Rechte klipp und klar ausgesprochen ist.“
Susanne Suhr, Ehefrau von Otto, war im Übrigen als eine von wenigen Frauen aktiv an den Geschehnissen auf Herrenchiemsee beteiligt. Sie arbeitete als Journalistin bei einer Berliner Zeitung und berichtete vom Konvent.
Eine wichtige Rolle spielten die Frauen von Herrenchiemsee auch bei der Redaktionskommission, die bis zum 25. August 1948 tagte. Sie bestand aus sechs Teilnehmern des Konvents, vier Stenografen und vier Stenografinnen. In nur zwei Tagen schafften sie es, aus den zahllosen Protokollen der Unterausschüsse und der Plenarsitzungen einen redigierten Bericht und einen kompletten Verfassungsentwurf anzufertigen. Eine Mitarbeiterin der bayerischen Staatskanzlei brachte die fertigen Exemplare persönlich nach Bonn, wo sie pünktlich zur ersten Besprechung den Herren (und Damen!) zur Beratung vorlagen.
Einfluss auf das Grundgesetz durch parteipolitisch aktive Frauen
Einfluss auf die neue deutsche Verfassung, das Grundgesetz, entwickelten Frauen erst im Parlamentarischen Rat in Bonn. Vier Frauen waren in die dortigen Beratungen involviert: Friederike Nadig (SPD), Elisabeth Selbert (SPD), Helene Weber (CDU) und Helene Wessel (Zentrum). Ihrem Engagement und den SPD-Abgeordneten des Parlamentarischen Rates verdanken wir die explizit ausformulierte Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Elisabeth Selbert sagte dazu in der Rückschau auf ihre Arbeit im Parlamentarischen Rat: „Ich hatte es nach zwei Weltkriegen, also nach den Erfahrungen, die wir Frauen in diesen Jahrzehnten gemacht haben, für selbstverständlich gehalten, daß die Gleichberechtigung ohne Kampf über die politische Bühne gehen würde. Ein Irrtum, wie sich herausstellen sollte.“
Weitere Schritte auf dem zur Gleichberechtigung bis ins Jahr 2023
Doch allein mit der Formulierung der Gleichberechtigung waren nicht alle Probleme gelöst. Viele diskriminierende Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) von 1900 bestanden zunächst weiter. So wurde beispielsweise erst 1958 mit dem Gleichberechtigungsgesetz das Recht des Ehemannes, ein Dienstverhältnis seiner Ehefrau fristlos zu kündigen, aufgehoben. Und erst 1977 strich der Gesetzgeber formal das Leitbild der Hausfrauenehe aus dem BGB. Aus dem Wortlaut des Paragrafen 1356 „Die Frau führt den Haushalt […]. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“ wurde die partnerschaftliche Formulierung: „Die Ehegatten regeln die Haushaltsführung im gegenseitigen Einvernehmen.“ 1994 wurde dann Artikel 3, Absatz 2 dahingehend ergänzt, dass der Staat die Durchsetzung der Gleichberechtigung zu fördern und bestehende Nachteile zu beseitigen habe.
Jedoch verdienen noch im Jahr 2023 Frauen in Deutschland im Durchschnitt 18 Prozent weniger als Männer, sie sind seltener in Führungsgremien und Spitzenpositionen in Politik und Gesellschaft vertreten und in den Familien noch immer hauptsächlich für Kindererziehung, Pflege von Angehörigen und Haushalt zuständig. Dies sind nicht bloß individuelle Entscheidungen. Viele Mechanismen sind auf rechtlicher, politischer und struktureller Ebene vorgezeichnet. Noch immer genießen Ehepaare Steuervorteile, wenn ein Teil, meist die Partnerin, erheblich weniger verdient und bei Beförderungen greifen etwa immer wieder informelle geschlechterhomogene Netzwerke. Hier bleibt für das Engagement zukünftiger Politikschaffender also noch genug zu tun!