‚… und so wenigstens etwas zu Deiner Zufriedenheit beizutragen.‘
Am 7. Juli 1739, vier Tage nach ihrem 30. Geburtstag, schreibt Markgräfin Wilhelmine einen Dankesbrief an ihren Bruder Friedrich:
‚Du hast mir ein prachtvolles Geschenk gesandt. Ich weiß nicht, wie ich Dir für Deine Güte danken soll!‘
Man könnte ausgiebig spekulieren, welch überraschendes Präsent die feinsinnige Königstochter derart zu beeindrucken vermochte. Kostbar, kunstfertig, von höchster Qualität und Seltenheit musste es zweifellos gewesen sein.
‚Ich schicke Dir einen Indischen Wandschirm zur Ausstattung deiner Eremitage. Bitte sage mir offen, was hierzulande zu haben ist und Dir Freude machen kann. Ich werde es mir zur Ehre anrechnen, die Bestellung auszuführen und so wenigstens etwas zu Deiner Zufriedenheit beizutragen.‘
Auf diesen ‚indischen Wandschirm‘, den der Kronprinz in einem Brief vom 3. März 1739 ankündigt, hat sich der Dank der Markgräfin wahrscheinlich bezogen. Als ‚indisch‘ oder ‚indianisch‘ bezeichnete man im späteren 17. und 18. Jahrhundert unterschiedlichste für Europa bestimmte Exportwaren aus Asien, die durch europäische Handelskompanien vornehmlich in den Häfen der ostindischen Küste verschifft wurden.
1739 war Wilhelmine mit der Innenausstattung und Möblierung der Bayreuther Eremitage, die sie zuvor zu einem repräsentativen Landhaus erweitern ließ intensiv befasst.
In den Inventaren der Eremitage sucht man einen ‚indischen Wandschirm‘ allerdings vergebens. Jedoch beschreibt Wilhelmine in ihren Memoiren das prachtvoll gestaltete kleine Kabinett am Ende ihres privaten Appartements im östlichen Schlossflügel folgendermaßen:
‚Dann kommt ein kleines Kabinett mit japanischer Täfelung, ein Geschenk meines Bruders; sie hat große Summen gekostet und ist, glaube ich, in ihrer Art die einzige, die es in Europa gibt, wenigstens sagte man dies meinem Bruder, als man sie ihm überließ. Der Grund ist aus punktiertem Golde und mit Relieffiguren ausgeschmückt; die Decke, die Nischen und alles, was in diesem kleinen Kabinett zu sehen ist, steht im Einklang mit der Täfelung; alle, die es sahen, sind davon entzückt gewesen.‚
Die ‚japanische‘ Wandvertäfelung des einheitlich gestalteten Raumes zeigt asiatische Motive: Höfische Szenen, Palastanlagen mit Gärten, Jagdszenen, Pflanzen und Tiere werden von schwarzen oder rot lackierten Rahmenleisten mit Goldrankendekor eingefasst.
Die Lacktafeln ähneln chinesischen Koromandellacken, deren Dekor in polierte, rote oder schwarze Lackflächen eingeschnitten ist, so dass die Konturen der Motive als schwarze bzw. rote Stege stehenbleiben. Die geschnitzten Vertiefungen wurden, häufig unter Verwendung von Metallpulvern, in unterschiedlichen Farben ausgemalt. Der außergewöhnlich seltene Lackdekor des Bayreuther Kabinetts ist allerdings erhaben ausgeführt. Den reliefierten Lacktafeln sind Details und Versatzstücke aus unterschiedlichen Materialien, wie Specksteingesichter und -figuren, Wachsapplikationen und bemalte und bedruckte Papiere appliziert. Der Grund ‚aus punktiertem Golde‘ besteht aus aufwändig vergoldeten Samenkörnern.
Aus dem Nachlassinventar der Markgräfin von 1758 erfahren wir, dass ‚4 Tafeln von altem Lack, die übrigen von Ihro Königl. Hoheit eigenen Arbeit.‘ seien sollten.
In repräsentative Lackkabinette, die sich ausgehend von den Niederlanden seit der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts im europäischen Schlossbau etablierten, waren häufig Tafeln originärer asiatischer Stellschirme integriert. Zu ihrer Präsentation innerhalb großflächiger Wandvertäfelungen oder an kostbaren Möbeln wurden sie zerlegt, zerstückelt und nicht selten mittig aufgetrennt, um bemalte Rückseiten gleichermaßen zu verwenden. Das Chinesische Kabinett ihres Vaters im Berliner Schloss, in dem schwarze Koromadellacktafeln zur Komplettierung der Raumdekoration durch europäische Nachahmungen, sogenannte Chinoiserien ergänzt wurden, war Wilhelmine bestens bekannt.
Mit Bezug auf den erwähnten Inventareintrag finden sich in zahlreichen Publikationen unterschiedliche Angaben zur Position der älteren Lacktafeln sowie deren Beschaffenheit und Provenienz. Mitunter bezweifelten Spezialisten asiatischer Lackarbeiten, dass originäre ostasiatische Lacktafeln im ‚Japanischen Kabinett‘ Verwendung fanden.
Technologische Untersuchungen der Fachrestauratorinnen der Bayerischen Schlösserverwaltung ermöglichten erstmals eine genaue Unterscheidung und
Lokalisierung der ostasiatischen und Bayreuther Tafeln und brachten erstaunliche Erkenntnisse ans Licht:
Vergleichende Untersuchungen des plastischen Dekores der Lackpaneele zeigten, dass der Lackgrund einiger weniger Tafeln mit den Binnenkonturen des plastischen Dekores auf einem Niveau liegt. Die einzelnen Dekordetails wurden demnach vornehmlich sukzessive auf den sorgfältig geglätteten Untergrund aufgetragen.
Der größte Teil der Vertäfelung zeigt hingegen ein anderes Verhältnis von Relief zum Untergrund, welches auf eine andere Herstellungstechnik verweist: Hier sind die Binnenkonturen des erhabenen Reliefs nicht auf dem Niveau der Hintergrundebene. Die plastischen Massen wurden demnach flächig auf den Untergrund modelliert.
Ausschließlich die roten Lackflächen wurden geglättet und mit plastischem Dekor verziert. Das Relief der übrigen Tafeln wurde direkt auf den kreidegrundierten Holzträger aufgebracht und anschließend bemalt. Zudem wurden stark erhabene Partien vereinzelt mit kleinen, entsprechend zugeschnittenen Holplättchen unterlegt, die ebenfalls grundiert und wie die übrigen Partien farbig gefasst wurden.
In der Ausarbeitung des Reliefs unterschieden sich zwei Darstellungen der Südwand und daran angrenzenden Tafeln mit Gegenständen des täglichen Bedarfs auf grünem Grund sowie zwei Tafeln der Sockelzone deutlich von den übrigen Lackpaneelen.
Unter Berücksichtigung der Detailmaße und konstruktiver Besonderheiten, wie dem Verlauf von Leimfugen und der Ausnehmungen für ehemals vorhandene Beschläge, war eine digitale Rekonstruktion des ‚indischen Wandschirms‘ möglich. Dieser bestand vermutlich aus sechs einzelnen Lacktafeln.
In der Absicht, die Illusion eines, nach damaligem Verständnis authentischen asiatischen Raumes zu erwecken, imitierten die Bayreuther Kunsthandwerker die Tafeln des Wandschirmes auf unterschiedliche Weise.
Die Löwen des Löwenfrieses, die goldenen Blattranken sowie die Darstellungen der unteren Stellschirm-Füllungen und der Alltagsobjekte auf grünem Grund wurden abgeformt und nach ihrer Vervielfältigung auf den Untergrund appliziert.
So gelang es Friese, Wandfelder und die Füllungen der Sockelzone effizient zu reproduzieren.
Auch einzelne Figuren der asiatischen Tafeln wurden abgeformt und in unterschiedliche Szenen der chinoisen Tafeln integriert.
Die Architekturen der Bayreuther Chinoiserien wurden zum Teil leicht verändert von den asiatischen Darstellungen abgemalt.
Illustrationen aus zeitgenössischen Publikationen dienten den Bayreuther Kunsthandwerkern als Vorlage.
Die asiatisch anmutenden Inschriften der Opferaltäre dieser Lacktafel wurden lange Zeit als Monogramme von Friedrich und Wilhelmine sowie als Datum der Fertigstellung des Japanischen Kabinetts ‚1739‘ gedeutet. Mittlerweile ist allerdings bekannt, dass es sich zum überwiegenden Teil um hebräische Schriftzeichen handelt, die sich auf eine Passage des Alten Testaments beziehen, in der Opferriten beschrieben werden.
Zur Klärung kunsttechnologischer Fragestellungen wurde in den Werkstätten des Restaurierungszentrums der Malschichtaufbau und die Materialauswahl der ähnlichen asiatischen und Bayreuther Tafeln mittels Mikroskopie, chemischer Nachweisverfahren und Analytik weiter erforscht.
An Ausbruchskanten der Lacke wurde der Schichtaufbau ermittelt. Kleinste Lackproben, in Kunstharz eingebettet und zu Querschnitten präpariert, wurden unter sichtbarem und UV-Licht mikroskopisch untersucht. Zudem dienten sie zur Charakterisierung der verwendeten Bindemittel und Pigmente.
Die europäischen Hölzer wurden zunächst mit einer mehrschichtigen weißen Kreidegrundierung versehen. Die roten Lackflächen erhielten einen Grundanstrich mit gewöhnlicher orange-roter Bleimennige, bevor der kostbare Zinnober pigmentierte Lack aufgestrichen wurde. In Verbindung mit dem abschließenden transparenten Glanzlack zeigen sie eine typisch ‚europäische‘ Abfolge der Malschichten.
Der Schichtaufbau des asiatischen Rotlackes zeigt dagegen wesentliche Übereinstimmungen mit vergleichbaren Lackobjekten aus China und Japan: In die inhomogenen bräunlichen Grundierungsschichten ist eine Papierlage eingebettet. Darauf folgen mehrere, mitunter geglättete, rote Lackschichten, die mit Eisenoxid und/oder Zinnober pigmentiert sind. Unter UV-Licht fluoresziert das Bindemittel der oberen roten Lackschicht in einem stumpfen Honiggelb. Die charakteristische Fluoreszenz verweist auf einen asiatischen Lack.
Es ist anzunehmen, dass der Stellschirm in einer chinesischen Werkstatt gefertigt wurde. Die Abfolge der Grundierungsschichten und der pigmentierten und transparenten Lackschichten stimmen mit bisher untersuchten chinesischen Stellschirme überein. Obwohl der Wandschirm Wilhelmines im Lackdekor und durch die fehlende rückseitige Bemalung vom Kanon dieser Möbel abweicht, finden sich zahlreiche Motive der Lackmalerei an chinesischen Koromandellack-Stellschirmen wieder.
Reliefdekore waren im frühen 18. Jahrhundert auf Lackmöbeln extrem selten. Allerdings sind in den höfischen Sammlungen und Kabinetten Europas zahlreiche Exportwaren asiatischer Porzellanmanufakturen mit reliefiertem und gesandeltem Lackdekor zu finden. Der Goldgrund sowie die dunklen Reserven an den Füllungen der Sockelzone des Japanischen Kabinetts sind offensichtlich vom Lackdekor derzeit begehrter Imari-Vasen inspiriert.
Und so ist es nicht verwunderlich, dass erfahrene Kabinett-und Porzellanmaler der Bayreuther Fayence Manufaktur wohl auch im Japanischen Kabinett beschäftigt waren.
Die hohe Qualität der Malerei spricht für ausgesprochene Wertschätzung ostasiatischer Originale. Sie verdeutlicht den hohen Anspruch Bayreuther Kunsthandwerker, die unkonventionelle Technik und ästhetische Wirkung asiatischer Lacke mit den zur Verfügung stehenden Materialien kunstfertig zu imitieren und so den begehrten und äußerst luxuriösen Lackobjekten des Ostens Ebenbürtiges entgegen setzen zu können.
Aufgrund der Singularität des ‚Indischen Wandschirm‘ ist anzunehmen, dass es sich bei dem generösen Geschenk Friedrichs II. um eine spezielle Auftragsarbeit handelte, welche Wilhelmine und Bayreuther Kunsthandwerker gleichermaßen zur Schaffung des bemerkenswert einheitlichen illusionistischen ‚Japanischen Kabinettes‘ inspirierte.