Geheimnisse, Lieblingsstücke unserer Autoren, Residenz München

Niederrhein im Alpenraum – ein Düsseldorfer Prachtlüster in der Residenz

„Ganz schön viel Aufwand für so ein paar Kerzen“ mag mancher Besucher denken, der heutigen Tags auf Entdeckertour durch die Residenz das einstmalige Vorzimmer der Kurfürstinnen durchquert: Von der Mitte der Decke hängt an einer starken Kette ein monumentales Silberobjekt, das sich beinahe erst auf den zweiten Blick als ein – allerdings überaus prunkvoller – Lüster zu erkennen gibt.


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Zwischen elegant geschwungenen Wappenkartuschen spannen pummelige Engelsknaben Ketten mit Anhängern aus, während hinter und zwischen Ihnen die Tropfteller der einst darin aufgesteckten Wachslichter emporwachsen. Dies ganze Gewimmel aus getriebenem und teilweise vergoldeten Silber wird schließlich noch bekrönt von einem voluminösen Kurhut – der offiziellen, wenn auch wenig kleidsamen Kopfbedeckung der Kurfürsten aus Samt und Hermelin.
Die demonstrative Pracht und die monumentalen Ausmaße des Lüsters nehmen sich vor der grazilen Eleganz des Rokokoraums etwas seltsam aus – fast könnte man meinen, der Raum sei um den Lüster herum gebaut worden. Die Irrtitation ist berechtigt, denn tatsächlich ist der Silberleuchter, den der Augsburger Silberschied Abraham II. Drentwett zwischen 1708 und 1714 geschaffen hat, rund zwei Generationen vor der restlichen Ausstattung entstanden – und war ursprünglich nicht einmal für die Münchner Residenz bestimmt. Vielmehr hing er in einem, aus bayerischer Sicht betrachtet, ziemlich abseitigen Ort: Im – heute nicht mehr existenten – Stadtschloss von Düsseldorf! Dort nämlich regierte zu Beginn des 18. Jahrhunderts der am Niederrhein noch heute schwer beliebte Herzog von Jülich und Berg, der berühmte Jan Wellem, oder für vornehmere Zungen Johann Wilhelm (1658-1716), der einem der zahlreichen Wittelsbacher Seitenlinien, nämlich dem Neuburger Zweig, entstammte.


Johann Wilhelm als antiker Imperator gemalt von seinem Hofmaler Jan Frans van Douven

Johann Wilhelm als antiker Imperator gemalt von seinem Hofmaler Jan Frans van Douven


In Düsseldorf brachte dieser Fürst rasch ein schwung- und prunkvolles Hofleben in Gang und trug dort unter anderem eine überragende Kunstsammlung zusammen.
Erstaunt es den Laien zunächst, einen Vetter unserer bayerischen Herrscher soweit im Nordwesten zu wissen, ist die rasante Karriere, die Johann Wilhelm, der mit fast allen relevanten Herrscherhäusern seiner Zeit verwandt war, im Lauf seiner Regierungszeit absolvierte, noch viel überraschender: Dank glücklicher Todesfälle und fehlender männlicher Nachkommen vermochte er 1690 die Pfälzer Kurwürde zu erlangen. Diese Kurwürde wurde – ein wenig verkürzt gesagt – sogar 1708 noch zusätzlich vom Kaiser aufgewertet, der Johann Wilhelm (seinem Onkel) die Rechte seines bayerischen Kurfürst-Kollegen (und Vetters) Max Emanuel übertrug, der damals (nicht zum ersten Mal) politisch aufs falsche Pferd gesetzt hatte und ins französische Exil auswandern musste.


In diesem allegorischen Gemälde ließ Johann Wilhelm die Übertragung der Kurwürde auf sein Haus darstellen - heute schmückt es die Decke der Grünen Galerie in der Residenz....

In diesem allegorischen Gemälde ließ Johann Wilhelm die Übertragung der Kurwürde auf sein Haus darstellen – heute schmückt es die Decke der Grünen Galerie in der Residenz….


Wohl aus Anlass dieser neuerlichen Rangerhöhung und des Triumphes über den wenig geliebten bayerischen Cousin, seinen ewigen Rivalen, ließ Johann Wilhelm die prunkvolle „Lichtskulptur“ in Augsburg in Auftrag geben, die seinen Erfolg glänzend vor Augen führt: In den zentralen Kartuschen erscheinen das Wappen des Kurfürsten neben einer Anzahl glänzender Kugeln – diese „Palle“ sind die berühmte Wappenzier seiner zweiten Frau Anna Maria Luisa, der Tochter des toskanischen Großherzogs aus dem Hause Medici. Die schwebenden Putten spielen mit den Ordensketten der Orden vom Goldenen Vlies (seeehr exklusiv) und des Hubertus-Ritter-Ordens, den Jan Wilhelm 1708 als Wittelsbacher Hausorden neu gegründet hatte.

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Auf dem Kurhut schließlich prangt der Reichsapfel, den seit 1628 die bayerischen Wittelsbacher hatten im Wappen führen dürfen.
Ein im Wortsinne leuchtendes Denkmal des Aufstiegs von Johann Wilhelms Haus also sollte Drentwetts Silberlüster sein. Aber dann kam alles ganz anders: 1713/14 beendeten die Friedensverträge von Utrecht und Rastatt den jahrelangen spanischen Erbfolgekrieg – bei der anschließenden Neuordnung Europas wurden Johann Wilhelms schönste Erfolge kassiert, nur wenig später starb er krank und vermutlich verbittert – vor allem aber ohne direkten Nachkommen. Damit setzte sich erneut das Karussell der dynastischen Erbgänge in Bewegung, das schließlich damit endete, dass der ganze mobile Kunstbesitz der pfälzischen Wittelsbacher im 18. Jahrhundert in – München landete. So ziert Johann Wilhelms Gemäldesammlung heute die Wände der Alten Pinakothek und der Düsseldorfer Lüster die Gemächer der bayerischen Kurfürstinnen. Hier erleuchtet er jedoch gleichzeitig einen wichtigen Abschnitt bayerisch-kurpfälzischer Geschichte, der in diesem Jahr, in dem der Friede von Utrecht sich zum 300sten Mal jährt und in Mannheim der Pfälzer Wittelsbacher in einer großen Ausstellung gedacht wird, besonders interessant scheint!