Geheimnisse, Residenz München

Variable Gesprächsrahmen – wie virtuose Schnitzkunst den Dialog befördert….

Golden schimmernd ringelt sich eine gezackte Akanthusranke eine vielfach profilierte Leiste entlang, bevor sie in zart gravierte ornamentale Muster ausläuft. Eine zweite hebt sie von ihrem sorgfältig beschnitzten Untergrund ab, rollt sich wie eine Schlange zusammen und löst diese Spannung dann in einer Reihe von gegenläufigen C-Schwüngen auf. Diese setzen sich zusammen zur bewegten Kontur einer breiten Kartusche, in deren Mitte wiederum die plastische Form einer stilisierten Muschel sitzt – und so weiter…  

Geschnitzte Kartusche eines der Cuvilliés-Rahmen

 

Was sich hier über mehrere Zeilen gestreckt liest wie die Anleitung einer komplexen Leichtathletik-Choreographie, ist eigentlich nur der Versuch, die komplexe Ornamentik eines der schlichteren Cuvilliés-Schnitzrahmen aus der Grünen Galerie in Schrift und Text zu übersetzen (ein Versuch, den man wohl als gescheitert bezeichnen darf).

Immerhin zeigt die rhetorische Anstrengung, dass es sich hier um Meisterwerke der Schnitzkunst handelt und nicht um ein reines Requisit des Gemäldes, frei nach dem Motto – „bevor ich’s vergesse, Rahmen brauchen wir auch noch…“
Tatsächlich ist die gezielte Anfertigung der Galerierahmen in Hinblick auf ihren späteren Ausstellungsort eine ihrer Besonderheiten – und der hauptsächliche Grund dafür, dass diese Prunkstücke die Zeiten überdauert haben. Denn es sind im Wesentlichen diese sorgsam designten Rahmen, die die Bilder untereinander und mit der restlichen wandfesten Ausstattung des Raums in eine formale und davon ausgehend auch in eine inhaltliche Beziehung miteinander setzen:
Überdimensionale, wandfeste Rahmen, die eigentlich eher geschnitzte Vertäfelungselemente sind, nehmen im nördlichen Ecksalon der Galerie jeweils gleich zwei großformatige Bilder auf. Zahlreiche figürliche Details verleihen ihnen ein ausgesprochen erzählerisches Element, vor allem die bewaffneten Engelchen, die pummelig-grimmig gegen (ziemlich ungefährliche) Drachen vorgehen, die sich durch die Leisten schlängeln. Dieser phantasievolle Schmuck wie auch die bekrönenden Trophäen lassen die raumhohen Rahmen zu primären Gestaltungselementen der Seitenwände werden.

Lustvoll stochert der Putto nach dem Drachen, der zwischen der Leiste züngelt. Phantasievolle Details wie dieses finden sich vielfach in der Galerie

Neben den in die Wände eingelassenen Bildern hingen im nördlichen Salon ursprünglich aber auch noch 18 weitere, „bewegliche“ Gemälde. Für diese entwarf Cuvilliés drei Varianten eines Dekors, der sich in den jeweiligen Einzelformen aus denselben oder sehr ähnlichen Elementen zusammensetzt. Mit unterschiedlich kombinierten Elementen ließ sich so eine Vielzahl miteinander verwandter, aber individueller Formen für die Eck- und Seitenkartuschen oder die Bekrönungen der Rahmenleisten entwickeln.
In einem zweiten Schritt wurden nun die Gemälde, die in identisch gestalteten Rahmen saßen, auch an der Wand zueinander räumlich in Beziehung gesetzt: Sie wurden symmetrisch als Pendants nebeneinander, untereinander oder in einander gegenüberliegende Raumecken platziert. So gelang es, optische Verbindungslinien herzustellen und einen formalen Zusammenhang zu schaffen. Dieser ordnet den ganzen Raum und bindet die Bilder verschiedener Künstler und Epochen an ihrem neuen Ausstellungsort zu einem Ensemble zusammen.

Als richtig raffiniert erwies sich dieses System schließlich dann, wenn der Betrachter durch die einander entsprechende Rahmung und Positionierung mehrerer Gemälde visuell aufgefordert wurde, auch inhaltliche Beziehungen zwischen den Werken herzustellen: So hängt beispielsweise oben an der Ostwand des nördlichen Salons eine jungfräuliche Maria und blickt – so scheint es – angelegentlich aus dem Fenster in den Küchenhof der Residenz.

Kopie nach Carlo Maratto (1625-1713), Maria der Verkündigung

Ihr gegenüber an der Westwand hängt ein Gemälde in annähernd gleichem Format und im gleichen Rahmen (nur die zentrale Muschel ist abhanden gekommen). Aufmerksam geworden schaut man genauer und siehe da: Es ist eine Darstellung des Erzengels Gabriel – bibelfesten Betrachtern bestens bekannt als göttlicher Botschafter, der die erstaunte Maria über ihre plötzliche Schwangerschaft und einiges andere unterrichten darf.

Kopie nach Carlo Maratta (1625-1713), Erzengel Gabriel

Über eine Distanz von zehn Metern hinweg fügen sich so zwei Gemälde zu einer inhaltlichen Einheit zusammen und der theologisch so bedeutsame Dialog zwischen Jungfrau und Engel scheint an den Wänden der Galerie tatsächlich stattzufinden.
Wer sich nun noch fragt, welchen Zweck eine solche Inszenierung der Gemälde haben kann, laden wir herzlich ein, bei den kommenden Beiträgen etwas zu stöbern.