Der Gastbeitrag erscheint im Rahmen der Kultur-Blogparade 2013. Die Restauratorin Marion Biesalski stellt ihr laufendes Projekt für die Bayerische Schlösserverwaltung vor. Wir wünschen viel Lesevergnügen!
Ein finsterer Geselle liegt in verkrampfter Haltung auf dem Werktisch, wirres schwarzes Haar umrahmt sein Gesicht, in den dunkel geränderten, gebrochenen Augen liegt ein Nachhall der erlittenen Qual. Der Anblick des Echthaarkruzifixes erschreckt noch heute jeden unvorbereiteten Besucher unserer Restaurierungswerkstatt.Wie mag seine Wirkung vor 500 Jahren gewesen sein? Eine dicke Schmutzschicht über Haut und Haar verstärkt den unheimlichen Eindruck. Doch damit nicht genug:Ein unbedarfter Mensch hat sich irgendwann an der Reinigung versucht, dabei höchst unglücklich agiert und ein großes helles Rechteck auf der Brust herausgeputzt.
Eine weit verbreitete romantische Vorstellung von unserem Berufsbild vermutet im Restaurator einen Schöngeist, der sein Leben ausschließlich der Ästhetik widmet. Das Ergebnis seiner geduldigen und kunstreichen Bemühungen ist ein „Strahlen“ in wahlweise „altem“ oder auch „neuem Glanze“. Was bedeutet das für die Erwartungen an unser Echthaarkruzifix? Ein Inkarnat weiß wie Schnee, Lippen rot wie Blut und frisch gewaschene und ondulierte Locken, schwarz wie Ebenholz?
Gehen wir der Reihe nach vor:
Zuerst muss der gröbste Schmutz beseitigt werden. Bewaffnet mit Mundschutz, Pinsel und Staubsauger werden die losen Verschmutzungen abgenommen, aus den Haaren mit Hilfe von einer Pinzette ganze Nester von verbackenen Flusen entfernt.
Wenn sich der Blick aufs Objekt etwas geklärt hat, beginnen umfangreiche Untersuchungen. Denn: Bevor der Restaurator restauriert, sollte er wissen, wie das Kunstwerk von seinem Schöpfer wohl einmal gedacht war, welche Zutaten aus späterer Zeit stammen, wie sich die Materialen durch Alterung verändert haben und durch welche Umstände Schäden entstanden sind. Erst dann kann beurteilt werden, welche Maßnahmen in Frage kommen, um das Kunstwerk zu erhalten und womöglich tatsächlich ästhetisch aufzuwerten.
Weiß wie Schnee und rot wie Blut? Nein, das funktioniert leider nicht. Ein Teil des finsteren Eindrucks stammt tatsächlich von einer Verrußung, die irgendwann wohl sogar absichtlich aufgebracht worden ist. Diese Verrußung können wir reduzieren. Darunter liegt eine bräunliche Leim- oder Eiweißschicht, die als Überzug zur letzten Bemalung gehört. Sie gehört für uns zum Kunstwerk und wird belassen. Sie ist übrigens sehr leicht mit einer simplen Alkohol-Wasser-Mischung anzulösen, was zu dem oben erwähnten Reinigungsunfall geführt hat. (Glasreiniger – schafft im Nu streifenfreien Glanz! Aber das ist eben nicht immer erwünscht.)
Der Kruzifix wird für die Restaurierung „gebettet“ – die Rußschicht wird entfernt, der proteinhaltige Überzug bleibt.
Und schwarz wie Ebenholz? Ja, das geht! Allerdings: Allzu brüchig sind die Haare, man darf sie nicht überstrapazieren, eine sanfte Trockenreinigung muss genügen (siehe oben). Übrigens handelt es sich um das Schweifhaar eines Pferdes, das hat ein Wissenschaftler vom Bayerischen Landeskriminalamt untersucht, es ist tatsächlich schwarz gefärbt und in dicken Strähnen zu Locken verzwirbelt.
Die Arbeiten sind noch nicht ganz abgeschlossen, eine Endzustandsaufnahme müssen wir hier erst mal noch schuldig bleiben. Wer aber neugierig geworden ist und mehr über die Restaurierung des Echthaarkruzifixes und die technischen Details erfahren möchte, der sei auf die Web-Site der Bayerischen Schlösserverwaltung hingewiesen, wo nach Abschluss der Restaurierung eine Film- und Foto-gestützte Dokumentation erscheinen wird.
Liebe Frau Runge,
durch möglichst lebensechte Darstellung des Kruzifixes als leidender Mensch die Gläubigen zu berühren und ihr Mitleid zu erregen war sicher die Absicht des Künstlers und seiner (kirchlichen) Auftraggeber. Eine spezielle Verehrung oder ein besonderer Kult um unser Objekt ist bisher leider nicht bekannt.
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Danke für diesen guten Beitrag. Ein ebensolches Kruzifix mit Echthaaren, die sogar zu wachsen scheinen, wird in Madrid in einer Kirche jeden Freitag von vielen Leuten als wunderbringend hochverehrt. Hatte dieses Kruzifix auch irgendwann mal so eine Funktion?
Hedwig Runge
Liebe Leser,
dieser Beitrag erfuhr im Netz eine große Resonanz. Er wurde viel gelesen und mehrfach „geteilt“ bzw. „geliked“. Vor allem die Wortmeldungen auf unserer Facebookseite haben uns sehr erfreut, deshalb möchten wir diese hier für alle noch einmal wiedergeben:
„Es ist ein bisschen gruselig, aber dann eigentlich auch wieder nicht. Und die Dame hat es sehr schön erklärt, warum sie was tut, und was ihre Prinzipien sind, die sie bei der Arbeit leiten.“
Eine Frage tauchte auf:
„Schoenes Kreuz…wem hat es von den Wittelsbachern gehoert?!? Ich tippe auf Kurfuerst Maximilian!?!?“
Frau Biesalskis Antwort:
„Das würde natürlich sehr gut passen! Aber die Stadt Nürnberg und die Kaiserburg kamen erst 1806 zum Königreich Bayern. Das Kruzifix ist aber eindeutig ein „Nürnberger“ und wenn auch noch nicht genau nachgewiesen ist, seit wann das Stück auf der Burg ist, so kann man doch davon ausgehen, dass es keinen Umweg über die Wittelsbacher genommen hat.“
Vielen Dank für die positiven Wortmeldungen!
Liebe Irene N., es freut mich sehr zu lesen, dass dieser Weg, unsere Arbeit und unser Anliegen zu vermitteln, bei den Lesern des Residenz-blogs gut ankommt. Ich hoffe, dass wir bald mehr virtuelle Einblicke in unseren Berufsalltag gewähren können!
Vielen Dank!
Bin schwer beeindruckt, was so alles möglich ist und wie viel Wissen dahinter steht. Und spreche ein ganz großes Kompliment an die Verfasserin aus. Ist wunderbar verständlich, schön zu lesen, macht Lust auf mehr!
Chapeau!