Ein Gastbeitrag von Oliver Hülden
Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München //
Auf einem mit Gold überzogenen Sessel sitzt eine elegant gekleidete junge Dame. Rechts von ihr schweift das Auge über eine Meeresbucht mit einem rauchenden Vulkan. Im Vordergrund des Durchblicks ruht eine Krone auf samtenem Kissen. Die vornehme Dame ist keine Geringere als Caroline Murat, die jüngste Schwester Napoleon Bonapartes. 1808 bestieg sie gemeinsam mit ihrem Mann Joachim den Königsthron von Neapel. Der Vulkan ist demnach der über dem Golf von Neapel aufragende Vesuv, der die römischen Städte Pompeji und Herculaneum unter seiner Asche begraben hat.
Von Pompeji und überhaupt von der Antike zeigte sich Caroline zeitlebens fasziniert, eine Faszination, die sie mit ihrem Zeitgenossen, dem bayerischen König Ludwig I., teilte. Dieser ließ in Aschaffenburg das Pompejanum in Anlehnung an die pompejanische Casa dei Dioscuri (Haus der Dioskuren) errichten. Dessen Innenausstattung wurde vor 175 Jahren fertiggestellt, ein Jubiläum, das die aktuelle Sonderausstellung „Inspiration Pompeji“ feiert. In ihr präsentiert die Bayerische Schlösserverwaltung lange vergessene Entwurfszeichnungen, die an Detailreichtum und Farbigkeit ihren antiken Vorbildern in nichts nachstehen. Die Staatlichen Antikensammlungen und Glyptothek München stellen hingegen dem von Pompeji inspirierten Ludwig die ebenso von der Antike begeisterte Caroline gegenüber. Neben anderen Originalfunden aus römischer Zeit wird erstmalig ein Silberschatz aus Pompeji der Öffentlichkeit gezeigt, der Carolines ehemaligen Antikensammlung entstammt und um den sich zahlreiche spannende Geschichten ranken.
Blick in das Atrium des Pompejanums © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München/Wolfram Kastl
Pompeji: Szenen eines Untergangs
Als der römische Naturforscher Plinius der Ältere um die Mittagszeit des wohl 24. August im Jahr 79 n. Chr. von der Hafenstadt Misenum aus in Richtung des Vesuvs blickt, wird er Zeuge eines ebenso faszinierenden wie bedrohlichen Naturschauspiels. Aus dem Vulkan steigt eine Wolke steil empor, deren Gestalt ihn an eine Pinie erinnert. Mit zahlreichen Erdbeben bildete ihr Erscheinen den Auftakt zu dem verheerenden Vesuvausbruch, dem die Städte der Umgebung damals zum Opfer fielen.
Als Asche und Bimssteine aus der Wolke regnen, bricht Panik unter den Menschen in Pompeji aus. Furcht und Schrecken ergreifen damals wohl auch einen Priester im Tempel der Isis. Nachdem er die erste Schockstarre überwunden hat, setzt bei ihm der Fluchtreflex ein. Ob in guter Absicht oder aus Gier, eilig rafft er Teile des silbernen Kultgeschirrs zusammen und wirft sie in einen Sack. Der aus Silberblech gefertigten Statue eines heiligen Stiers bricht er noch ein Ohr ab, dann stürzt er aus dem umfriedeten Bereich des Tempels hinaus auf die Straße. Dort herrscht Chaos. Die angsterfüllte Menschenmenge reißt den Priester mit sich bis zum nahegelegenen Forum Triangolare. Verzweifelt sucht er in der Säulenhalle Schutz, bis ihn die Erschütterung einer weiteren vulkanischen Eruption auf die freie Platzanlage hinaustreibt. Zu schwer wiegt jedoch mittlerweile das geschulterte Silber. Als die Halle hinter ihm zusammenbricht, befreit sich der Priester von seiner Last und rennt los, um sein nacktes Leben zu retten …
Tempel der Isis in Pompeji aus der Serie „Voyage pittoresque de Naples et de Sicile“. Ausschnitt einer Radierung von Edouard Gautier-Dagoty, Louis-Charles Gautier-Dagoty und Jean Duplessi-Bertaux nach einer Zeichnung von Louis-Jean Desprez (ca. 1781). The Met, New York (public domain)
Eine Ausgrabung in Pompeji und ein Schatzfund
… die Hacke des Arbeiters prallt immer wieder vom steinharten Boden ab. Wir schreiben den 26. Mai des Jahres 1813. Seit Stunden kämpfen sich die Männer bei einer kleinen Ausgrabung auf dem Forum Triangolare durch die kompakten Schichten von Asche und Bimssteinen, die Pompeji unter sich begraben haben. Plötzlich zeichnet sich im hellen Boden ein dunkler Gegenstand ab. Der Arbeiter legt das grobe Werkzeug beiseite und greift zu einer kleinen Kelle. Vorsichtig beginnt er, das Objekt freizulegen. Kein Zweifel: Da kommt ein antikes Gefäß zum Vorschein. Weitere Artefakte folgen, und am Ende ist ein ganzer Schatz aus Silber beisammen, dessen Glanz im vulkanischen Boden einer fast schwarzen Verfärbung gewichen ist.
Mittlerweile ist auch der Verantwortliche für die Grabungen hinzugekommen. Es ist der Comte Frédéric de Clarac, Vertrauter der Königin von Neapel, Caroline Murat, und Erzieher ihrer Kinder. Darüber hinaus ist er ein Gelehrter, der wie seine Königin von der Archäologie und Pompeji fasziniert ist. In ihrem Auftrag leitet er die Ausgrabungen in Pompeji, die von ihr finanziert werden. Vielleicht war Caroline wie an anderen Tagen bei der Entdeckung des Silberschatzes sogar selbst zugegen. Jedenfalls überführt de Clarac die Silberobjekte sogleich in ihre bereits beachtliche Antikensammlung im königlichen Schloss von Neapel. Noch im selben Jahr publiziert er die Funde, und in diesem Zusammenhang bringt er – etwas weniger ausgeschmückt als hier – die Geschichte von dem flüchtenden Isis-Priester in Umlauf.
Blick in die Vitrine der Ausstellung mit Objekten, die mit dem Isis-Kult in Verbindung stehen © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München/Oliver Hülden
Silber aus dem Isis-Tempel?
Auf den Bezug zumindest eines Teils der Silberfunde zum Isis-Tempel von Pompeji gibt es tatsächlich handfeste Hinweise. So zeigt eine silberne Situla, bei der es sich um ein kleines eimerartiges Gefäß handelt, die eingravierte Darstellung einer ägyptischen Opferszene. Dem kultischen Bereich zugeordnet werden kann ebenso ein eigentümliches kugelförmiges Gefäß mit extrem langgezogenem dünnen Hals. Sein Körper erinnert an eine Mohnkapsel, was wahrscheinlich auf den ehemaligen berauschenden Inhalt schließen lässt. Auch das erwähnte Tierohr aus Silberblech existiert und kann in der Tat von der Statue eines heiligen Stiers abgebrochen worden sein.
Andere Gefäße erwecken freilich eher den Eindruck, als hätten sie zu einem silbernen Geschirrset gehört, wie es in gehobeneren römischen Haushalten Verwendung fand. Kleine Näpfe und Schälchen von unterschiedlicher Größe und Gestalt bilden jeweils eine Zweier-, Dreier- und Vierergruppe. Einige von ihnen sind zudem mit der wohl besitzanzeigenden Inschrift „Livia“ versehen. Hinzu kommen ein paar Löffel. Diese „gewöhnlichen“ Objekte lassen durchaus Zweifel an der Erzählung vom Schatz aus dem Isis-Tempel aufkommen und ebenso ist Skepsis gegenüber der einheitlichen Herkunft der Silberobjekte aus dem Isis-Tempel von Pompeji angebracht.
Henkelattasche in der Form eines Panskopfs, Kentaurenkampfkanne der Sammlung Lipona/Caroline Murat © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München/Wolfram Kastl
Unter den aufwendiger dekorierten Gefäßen stechen zwei Kasserollen mit reliefierten Griffen hervor. Besondere Prunkstücke bilden allerdings eine Schale mit Handhabe in der Form eines wohlfrisierten Frauenkopfes und eine zierliche Kanne mit Reliefs von Zweikämpfen zwischen Kentauren und Lapithen. Die Kampfszenen sind durch eine schlanke Säule voneinander getrennt, die von der Statue eines Heros oder des Kriegsgotts Mars bekrönt wird. Auch der Henkel der Kanne ist wunderbar verziert. Er ist als Gehörn gestaltet, das aus der Henkelattasche in der Form eines filigranen Panskopfs regelrecht herauszuwachsen scheint.
Während die beiden Kasserollen im Grabungsbericht des Comte de Clarac erwähnt sind, gilt das für die Schale mit dem Frauenkopf und die Kentaurenkampfkanne nicht. Vielmehr sind sie gemeinsam mit anderen Stücken den Funden vom 26. Mai 1813 erst später hinzugefügt worden und stammen wohl auch von anderen Orten in Pompeji. Von einem zusammengehörigen Ensemble kann jedenfalls innerhalb der königlichen Sammlung von Caroline Murat nicht die Rede sein, und ebenso ist wohl die einheitliche Herkunft der Silberobjekte aus dem Isis-Tempel von Pompeji in Zweifel zu ziehen.
Das fast vollständige Silber der Sammlung Lipona/Caroline Murat © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München/Wolfram Kastl
Von Neapel über Wiener Neustadt nach München
Die schöne Geschichte vom vergeblichen Versuch eines Isis-Priesters, Teile des silbernen Kultgeschirrs seiner Göttin zu retten, lässt sich demnach in der vom Comte de Clarac erzählten Form schwerlich aufrechterhalten. Die mögliche partielle Herkunft des Silbers aus einem Privathaushalt mag vielmehr darauf hindeuten, dass kein heiliger Mann, sondern ein Plünderer das Chaos des Vulkanausbruchs nutzte, um Wertgegenstände an unterschiedlichen Orten zusammenzuraffen. Später dürfte er sich auf seiner Flucht tatsächlich des in einem Sack transportierten Silbers erleichtert haben. Und in Caroline Murats Antikenkabinett im königlichen Schloss von Neapel wurden die Funde von 1813 dann durch die erwähnten weiteren Objekte ergänzt.
Carolines Tage in Neapel waren freilich gezählt. Mit dem Niedergang der napoleonischen Herrschaft ging auch der Verlust des Königreichs der Murats einher. Während Joachim beim Versuch, seine Krone zurückzugewinnen, geradezu heroisch den Tod fand, hatte Caroline Neapel bereits verlassen. Nicht nur sich selbst brachte sie – wohl durch Vermittlung des Fürsten von Metternich – auf habsburgisches Territorium in Sicherheit, sondern auch einen großen Teil ihrer Kunstsammlungen. Für mehrerer Jahre lebte Caroline als Gräfin Lipona (= Anagramm von Napoli/Neapel) auf Schloss Frohsdorf bei Wiener Neustadt. Schon 1817 begann sie allerdings, Interessenten für den Kauf ihrer Antikensammlung zu suchen. Unter ihnen war Kronprinz Ludwig von Bayern einer der ersten. Caroline und er kannten sich persönlich, und beide teilten die Leidenschaft für die Antike im Allgemeinen wie für Pompeji im Besonderen.

Frauenkopf mit extravaganter Frisur als Handhabe einer Silberschale aus der Sammlung Lipona/Caroline Murat © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München/Wolfram Kastl
Zum Verkauf kam es aber erst, nachdem Ludwig die Regentschaft übernommen hatte. Im März 1826 erwarb Leo von Klenze in seinem Auftrag Carolines große Vasensammlung, einige Gold- und Bronzeobjekte sowie das Silberensemble aus Pompeji. Damit ging die ehemalige Sammlung Lipona in den Besitz der Wittelsbacher über und wurde in die Münchener Antikensammlungen integriert. Beim Verkauf des Silbers scheinen dessen „verführerischer Glanz“ und die Geschichte vom flüchtenden Isis-Priester durchaus eine Rolle gespielt zu haben. Anschließend fand das pompejanische Silber – von Einzelstücken abgesehen – allerdings wenig Beachtung, bis es jetzt erstmalig fast vollständig im Pompejanum in Aschaffenburg präsentiert wird. Wo sonst, wenn nicht in dieser „pompejanischen Atmosphäre“ könnte es besser zur Geltung kommen. Ein Ausflug nach Aschaffenburg und ins dortige Pompejanum lohnt sich in diesem Jahr also ganz besonders!
Blick in die Ausstellung „Inspiration Pompeji“ © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München/Wolfram Kastl
Die Sonderausstellung „Inspiration Pompeji. 175 Jahre Innenausstattung des Pompejanums“ – eine Kooperation mit den Staatlichen Antikensammlungen und Glyptothek München – läuft noch bis zum 31. Oktober 2025.
Zur Ausstellung ist ein reich bebildertes Begleitheft erschienen. Außerdem wird sie von Themenführungen und einer Vortragsreihe begleitet.
Freitag, 26. September 2025 – 18.30 Uhr
Der verführerische Glanz des Silbers. Zum Erwerb der Silberobjekte aus Pompeji durch König Ludwig I. von Bayern. Ein Vortrag von Dr. Roswitha Juffinger, ehem. Leiterin der Residenzgalerie Salzburg
Freitag, 10. Oktober 2025 – 18.30 Uhr
Pompeji: Faszinosum und Quelle der Inspiration. Ein Vortrag von Prof. Dr. Oliver Hülden, Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München
Freitag, 31. Oktober 2025 – 18.30 Uhr
Ludwigs Villa italienischer Art in des königreichsmildesten Teils: Schloss Villa Ludwigshöhe. Ein Vortrag von Florian Hasenknopf, Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz. Direktion Burgen, Schlösser, Altertümer
Oliver Hülden ist Konservator an den Staatlichen Antikensammlungen und Glyptothek München sowie außerplanmäßiger Professor am Institut für Klassische Archäologie der LMU. Für das Pompejanum in Aschaffenburg hat er den Teil der diesjährigen Ausstellung konzipiert, dessen Zentrum die in Pompeji gefundenen Silberobjekte aus der Sammlung Lipona/Caroline Murat bilden.
Titelbild: Caroline Maria Annunziata Murat geb. Bonaparte als Königin von Neapel, Gemälde von François Gérard aus den Jahren 1810 bis 1812 (Ausschnitt; public domain)