Mal mehr, mal weniger dick liegt derzeit eine winterlich weiße Decke über unseren Schlössern und Burgen. Der Winter ist da, und auch wenn viele sich den Frühling bereits herbeisehnen, sieht es aus, als würde er zunächst wohl noch ein Weilchen bleiben. Wer den winterlichen Hobbys überdrüssig ist und genug vom Skifahren und Schlittschuhlaufen hat, den nehmen wir hier heute mit in eine winterliche Landschaft – ganz ohne Bibbern und Frieren.
Die winterliche Landschaft, die wir uns heute näher ansehen, stammt aus der Meisterhand Hans Bols (1534-1593) und beeindruckt weniger durch ihre Größe als durch ihr pittoreskes Idyll. Entdecken kann man sie sowohl in der Residenz München als auch auf unserem Schlösserblog. Hier hatte das Bild online schon mehrere Gastauftritte, kein Wunder, gibt es doch so viel zu erzählen. Zeit also, dass „Der Winter“ das Scheinwerferlicht einmal für sich alleine bekommt.
Die Miniatur ist heute im Miniaturenkabinett in den Reichen Zimmern der Residenz München zu finden. Dort platziert hat sie bereits Karl Albrecht (1697-1745). Seinen Weg in den Besitz der Wittelsbacher fand unsere kleine Winterlandschaft allerdings schon viel früher. Maximilian I. gefiel sie augenscheinlich so gut, dass er die 1586 auf Pergament gemalte Miniaturlandschaft im frühen 17. Jahrhundert seiner privaten Kunstgalerie hinzufügte.
Die herrliche und farbenfrohe Darstellung einer winterlichen Szene in idealisierter Landschaft fertigte der niederländische Maler Hans Bol in den Kriegswirrungen des ausgehenden 16. Jahrhunderts an. Bis 1584 noch in Antwerpen angesiedelt, trieb es ihn bald nach Bergen op Zoom und Dordrecht, ehe er über Delft nach Amsterdam zog. Kein Wunder, dass dieser Herr bei so vielen Ortswechseln nicht nur beeindruckende Stadtansichten vieler seiner Aufenthaltsorte fertigte, sondern auch idealisierte Landschaften schuf, die beim Betrachten eine unverkennbare Assoziation zu Flandern und den Niederlanden hervorrufen, so auch in dieser winterlichen Landschaft. Vieles erinnert an Bergen op Zoom – beispielsweise die charakteristische Festungsanlage, die sich über die Hügelkette im Hintergrund erstreckt.
Wir streifen nun durch die Winterlandschaft und lassen unseren Blick über die idealisierte Szenerie schweifen. Allerlei Windmühlen, Schiffe auf dem Wasser vor der Stadt und einen kleinen bäuerlichen Karren auf dem Feld entdecken wir da. Ob hier wohl noch letzte Vorbereitungen getroffen werden, ehe die Temperaturen die Arbeiten zum Ruhen bringen und die Tätigkeiten auf häusliche Aktivitäten wie das Reparieren, Flicken oder Stopfen von Kleidung und Arbeitsgeräten beschränken? Hans Bols Miniatur fällt 1586 sozusagen in die Hochzeit der winterlichen Darstellungen. Im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert waren die Winter auf der Nordhalbkugel besonders kalt und unnachgiebig. Verantwortlich war die sogenannte kleine Eiszeit, die damals regelmäßig für zugefrorene Seen, Flüsse und Kanäle sorgte. Dieses Klimaphänomen führte einerseits natürlich zu erschwerten Lebensbedingungen, andererseits wurde der nutzbare Stadtraum auf unerwartete Weise erweitert und beeinflusste so das öffentliche Leben. Im Winter 1608 beispielsweise war das Eis auf der Themse so dick, dass Marktstände darauf errichtet werden konnten. Kein Wunder also, dass man sich gerade in dieser Zeit in Ländern wie England und vor allem den Niederlanden so intensiv mit verschneiten Landschaften und Stadtansichten beschäftigte.
Woher kommt eigentlich der Schnee in der Malerei?
Das Bildsujet der winterlichen Landschaft und der Darstellung von Schnee ist zu Zeiten Bols noch gar nicht so alt. Im späten 14. Jahrhundert sind in Stundenbüchern zwar schon eine Vielzahl winterlicher Abbildungen zu finden, allerdings handelt es sich um Darstellungen des personifizierten Winters, zum Beispiel durch einen alten Mann oder eine alte Frau. Dem folgte die Abbildung typischer saisonaler, meist bäuerlicher Tätigkeiten, wie dem Brennholz sammeln, dem Sengen oder Jagen. Schnee war zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht auf die kunstvollen Landschaften gefallen.
Eine der frühesten Darstellungen von Schnee in der Malerei findet sich in einem Fresko um 1400 in Trient. Ein weiterer Meilenstein, der den Schnee in unsere Landschaft gebracht hat, ist das Gemälde Die Jäger im Schnee (1565) von Pieter Bruegel d. Ä. Dieses Werk bildet den Ausgangspunkt einer neuen Bildtradition, in der die Profanierung der Witterungsverhältnisse – weg von ihrer symbolischen Bedeutungszuschreibung – in die Malerei Einzug hält. Dass Pieter Bruegel ebenfalls Niederländer ist, ist keineswegs ein Zufall. Das Genre der niederländischen Landschaftsmalerei hat sich aufgrund der bereits angesprochenen klimatischen Besonderheit der kleinen Eiszeit besonders intensiv mit der Darstellung von Schnee beschäftigt. Trotz aller Entbehrungen und Kargheit, die ein strenger Winter für die Menschen damals bedeutete, ist es auffällig, dass gerade die positiven Aspekte des Alltags im Winter in der Malerei berücksichtigt werden.
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Aber noch einmal zurück zu unserer Miniatur von Hans Bol. Wir haben nun also erfahren, dass winterliche und verschneite Bilder und das Spannungsfeld von Natur, Mensch und (klein-)städtischer Umgebung zu Zeiten des Malers überaus „en vogue“ waren. Und dass es kalt war im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert.
Auch zu den Staffagen und ihrem dargestellten Alltag gibt es einiges zu erzählen. Ein Tag im Winter war zweifellos hart, allerdings traf dies nicht jeden Bürger unserer idealisierten Stadt in gleichem Maße. Die gesellschaftlichen Unterschiede und die Zugehörigkeit zu verschiedenen Klassen und Ständen sind, wie in allen Lebensbereichen der frühen Neuzeit auch hier der entscheidende Faktor.
Gerade die Figuren auf der linken Seite, die durch ihre einfache Kleidung leicht von der Gruppe in der rechten Bildhälfte unterschieden werden können, geben einen Eindruck vom winterlichen Alltag im späten 16. Jahrhundert. Es herrscht emsiges Treiben. Ein Schweinehirte scheucht seine Herde nach draußen. In unmittelbarer Nähe finden sich die bereits erwähnten jahreszeitentypischen Tätigkeiten des Sengens und des Schlachtens. Ob wohl ein großer Anlass, gar ein Fest, der Grund dafür ist?
Die Mitte des Bildes verstärkt diesen Verdacht. Eine Gruppe von Sternsingern zieht vorbei an den zugefrorenen Kanälen. Die Tradition des Sternsingens ist, wie schon die Darstellung von Schnee, zu diesem Zeitpunkt noch eine recht junge und breitet sich im 16. Jahrhundert im Zuge der Gegenreformation immer weiter aus. Vielleicht wurde die illustre Runde vom Duft des bevorstehenden Festmahls angelockt, vielleicht sind sie der Grund allen Aufwands?
In der rechten Bildhälfte scheint sich die „feine Gesellschaft“ auf dem Kanal zu tummeln. Edel gewandet, in typischer Tracht stehen die Herrschaften in Grüppchen zusammen und gehen verschiedenen Winteraktivitäten nach. Vor allem das Eislaufen scheint sich großer Beliebtheit zu erfreuen. Die einen gleiten bereits in kunstvollen Bögen über das Eis. Die anderen sind noch bei vorsichtigen ersten Eislaufversuchen. Der Herr im Vordergrund konnte wohl gerade noch einen ernsthaften Sturz abwenden. Diese idyllische Darstellung winterlicher Aktivitäten ist typisch für Ihre Zeit und wird oft noch durch das Schieben eines Schlittens (auch in dieser Miniatur zu finden) oder durch das Colf (eine Art „Eisgolf“) komplettiert.
Inwieweit uns dieser Ausschnitt den tatsächlichen Alltag wiedergibt, ist abschließend nicht klar zu sagen. Was sich aber festhalten lässt, ist, dass der Wintertag in der Realität wohl weniger glücklich und unbeschwert war. Kälte und Nahrungsknappheit forderte ihren Tribut von der Bevölkerung. Aber vielleicht ist es auch gerade deshalb ein so schöner Gedanke, sich an den weniger existenzbedrohenden Dingen dieser Jahreszeit zu erfreuen und die Pause, die der Winter in vielerlei Hinsicht für den Alltag der Menschen bedeutete, als eine willkommene Mußestunde für Colf, Eislaufen oder einen kleinen Plausch auf dem Eis zu nutzen. Der Aspekt von Zerstreuung und Abwechslung im Alltag und die Vorstellung aller Bewohner, die zusammenkommen, um auf dem Eis einen unbeschwerten Wintertag zu erleben, mag sicherlich zur großen Beliebtheit dieser Art von Miniaturen beigetragen haben.
Vielleicht hat dieser Gedanke auch Maximilian I. besonders gut gefallen? Oder ihn erfreute als überzeugten Katholiken das Motiv der Sternsinger besonders. Bis auf Weiteres können wir dazu nur mutmaßen und begeben uns nun wieder dick eingepackt in den heutigen Wintertag im 21. Jahrhundert.