Geheimnisse, Hinter den Kulissen

»Quelques beaux tableaux« – Die Rekonstruktion der verlorenen Gemäldeausstattung im »Rosenholzzimmer« des Italienischen Schlösschens Bayreuth

rosenholzzimmer-Simulation Bebilderung

Von Cordula Mauß und Florian Schröter //

Kaum zu glauben, aber wahr: Das wohl einzige in Bayreuth an originalem Ort erhaltene Kabinett, das die berühmte Ebenistenfamilie Spindler fertigte, schlummerte einen langen Dornröschenschlaf. Nun wurde es aufwendig restauriert und ausstellungsfein gemacht. Im zweiten Teil unserer Mini-Serie berichten wir von der Rekonstruktion seiner verlorenen Gemäldeausstattung.


Ein Schatzkästchen in mehrfacher Hinsicht ist dieses Kabinett: Das zu den Privaträumen des Markgrafen Friedrich gehörende Zimmer weist eine kostbare Wandvertäfelung mit ausgefallenen Furnierungen auf, die als Marketerien bezeichnet werden. Mit nur einer Holzart, nämlich virginischem Wacholder (Juniperus virginiana, sog. Virginische Zeder) wurde ein variantenreiches Flächenmosaik mit schimmernden Effekten geschaffen. In diesem aufwendig gestalteten Raum, der zugleich den herausragenden Abschluss der höfischen Kunsttischlerei in Bayreuth bildet, wurde die fürstliche Münz-und Medaillensammlung aufbewahrt. In die Wandvertäfelung eingelassene niederländische Gemälde vervollkommneten diesen exquisiten Sammlungsraum des Markgrafen Friedrich.

Fünf eingebaute Kommoden dienten der Aufbewahrung und Präsentation der Medaillen-Sammlung. Das Gesamtkunstwerk aus Vertäfelung und Mobiliar konnte nach langem Dornröschen-Schlaf wiederentdeckt und aufwendig restauriert werden, wovon unser Restaurator Bernhard Mintrop berichtete.

In die Wände waren einst ‒ mittlerweile verschollene ‒ Gemälde mit niederländischen Genreszenen, Stillleben und Landschaften eingelassen. Anhand der Aussparungen war erkennbar, dass vorwiegend Leinwandgemälde, aber auch mehrere Tafelgemälde mit sehr dünner Stärke, womöglich sogar im Einzelfall bemalte Metall-Platten (Kupfer?) eingesetzt waren. Die unterschiedlichen tiefen Ausnehmungen, insbesondere für die (verschiedenen) Spannrahmen machen das deutlich. Hier war also einst keine für das Kabinett geschaffene Serie ausgestellt. Vielmehr dürften als passend erscheinende Gemälde der markgräflichen Sammlung hier präsentiert worden sein.

Bei der Restaurierung des Kabinetts wurde deutlich, welche Fehlstellen die verlorenen Gemälde hinterließen: Die 14 leeren Bildfelder, die nur grob bearbeitet, aber nicht mit Marketerien belegt waren, sprangen geradezu brutal ins Auge und lenkten von den feinen Oberflächen der Umgebung ab. Somit war schnell klar: So konnte der Raum nicht bleiben. Die Bebilderung sollte rekonstruiert werden.

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Das restaurierte Rosenholzzimmer ohne die rekonstruierte Gemäldesammlung
Foto: BSV /Florian Schröter

Spurensuche in Archiven und Sammlungen

Eine Recherche in historischen Dokumenten lieferte Hinweise zu den ursprünglich ausgestellten Gemälden: Die erste greifbare Quelle zur Ausstattung des Zedernholzzimmers liefert der Reisebericht Lettres sur différens sujets, écrites pen-dant le cours d’un voyage par l’Allemagne, la Suisse, la France méridionale et l’Italie aus dem Jahr 1777, in welchem der Schweizer Astronom Jean Bernoulli seine 1774/75 unternommene Europareise schriftlich festhält. Neben anderen Sehenswürdigkeiten im Neuen Schloss Bayreuth wird knapp über „Un joli cabinet de bois de cedre destiné à recevoir le médailler de ce Prince“ (ein schönes Kabinett aus Zedernholz zur Aufnahme der Medaillensammlung des Markgrafen) sowie die vermutlich darin gezeigten „Quelques beaux tableaux“ (mancherlei schöne Gemälde) berichtet.

Näheren Aufschluss über diese Gemälde geben die seit 1785 erstellten Inventare des Neuen Schlosses. Das hinsichtlich der Bebilderung wichtigste Inventar stammt aus dem Jahr 1789 (Inv. KDK Rep. C9, Nr. 2006, transkribiert von Regina Gerisch) und listet sowohl die Möblierung des Raumes (Obergeschoß, Raum Nr. 55; „Cedern Zimmer“) als auch dessen Gemäldeausstattung auf:

„Ein zweytheiliger Trumeau,
Ein Tisch mit Meßing und Schildkrot eingelegt, auf einem vergoldeten Adler stehend.
Sechs Sessel und gelb vergoldeten Gestellen, die Sitze mit mortrer-weich-seidenenen Zeuch bezogen, mit zwei leinenen Überwürfen.
Ein niederländisches Campagne Stück.
Ein Platfond Stück.
Eine biblische Historie.
Zwey niederländische Stücke, eins einen Schulmeister, das andern eine Schuhflicker vorstellend.
Ein sehr gutes Blumenstück.
Ein Stück nach Rubens, mit Mutter und 4 Kindern.
Zwey niederländische Bauern Stücke.
Ein sehr fleißiges Stück, den Triumph der Venus vorstellend.
Eine Näderin, so auf einen Küßen nähend, von Gerhardt Dau.
Ein sehr gutes Frucht Stück.
Sämtlich in vergoldeten Rahmen.
14 Gemählde in Summa.“

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Sammlungsschränke für die markgräfliche Münz- und Medaillensammlung, restaurierter Zustand
Foto: BSV / Florian Schröter

Das Inventar von 1791 (Inventar der Möbel des neuen Residenzschlosses Bayreuth; GstA PK, I. HA GR, Rep. 44 B, Nr. 40 Fasz. 5, im Findbuch irrtümlich 1797 datiert) übernahm diese Auflistung wörtlich, ebenfalls das Inventar von 1798 (Inv. KDK Rep. C9, Nr. 2008). Es ist daher davon auszugehen, dass die Raumausstattung bis zu diesem Zeitpunkt unverändert blieb. In den folgenden Jahren scheinen die Gemälde zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt abhandengekommen zu sein. Erst im Jahr 1812 wurde erneut ein Inventar verfasst („Das Mobiliar in dem königlichen Residenzschlosse zu Bayreuth und die Beschreibung der öffentlichen, zu demselben gehörigen, Gebäude und Gärten“, Staatsarchiv Bamberg, Regierung von Oberfranken, Kammer der Finanzen [K 200/I]), nun erstellt durch den für die Königliche (bayerische) Hofbauinspektion tätigen Hofbaumeister Riedel. Es beschreibt sämtliche Zimmer des Neuen Schlosses und liefert eine (nicht raumweise sortierte) Inventarliste:

„Zweyter Stock des Schieferbaues …55a. Dieses Zimmer sind die Wände von sehr mühsam formirten Zedernholz en Poserie in welchen jetzt blos noch die Vertiefungen vorhanden sind, wo sonst die schoensten Gemälde aus der niederländischen Schule, darinnen eingesezt waren, welche die französ[ischen] Bewohner aber mitgenommen haben; hat 2. Fenster nach den Schloß Garten und 3 ovale Fenster nach den von ersten Stock herauf durchgehenden kleinen Saal Nr. 44.

Von denen 5. Fenstern sind die Brüstung wie Komoden jede mit 6. Fächern und vergoldeten Beschlägen wie alles von Zedernholz gemacht, der gewürfelte Schoene Fußboden ist von Nußbaumholz hat aber stark Schaden genommen, hat einen irdenen Zugofen, und auch Vorfenster. Die sämtl[iche] Leisten in diesem Zimmer sind vergoldet, die Deke ordinaire Weiß Decke.“

Die im Inventar erwähnte französische Besatzungszeit dauerte von 1806 bis 1810 (mit einer kurzen Unterbrechung im Sommer 1809). Dass die Bilder tatsächlich durch französische Besatzer mitgenommen wurden, ist nicht belegt, aber möglich.

Auf Grundlage der Archivalien wurden nun Recherchen zum weiteren Verbleib der Bilder angestellt. Der Schwerpunkt lag dabei auf Orten, an denen aufgrund von Erbgängen Bayreuther Kunstwerke vorzufinden sind, u. a. im Bestand der Ansbacher Residenz, der Bayerischen Staatsgemäldesammlung sowie der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Als zweite Spur wurde der Hinweis auf die „französischen Bewohner“ verfolgt. Aber auch in den Bestandskatalogen französischer Museen verliefen die Recherchen erfolglos. Es ist somit von einer Zerstreuung des Bilderbestands auszugehen.

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Westwand des „Rosenholzzimmers“ mit testweise digital rekonstruierter Bebilderung
Foto: BSV / Florian Schröter

Eine Annäherung an die originale Bebilderung

Da die Auffindung der originalen Gemälde fehlschlug, erfolgte die Rekonstruktion der Bebilderung des Rosenholzzimmers auf Grundlage der in den Archivalien überlieferten inhaltlichen Informationen. Die Motivauswahl lehnt sich dabei so eng wie möglich an die Inventarangaben von 1789 an. Insbesondere für die Gemälde von Gerrit Dou sowie für die im Inventar erwähnte Rubens-Kopie ließen sich adäquate Reproduktionen finden, die den Originalen sehr nahekommen dürften. Die im Übrigen sehr schwammig gehaltenen Beschreibungen im Inventar, die zudem keine konkrete Zuordnung zum jeweiligen Anbringungsort im Raum ermöglichen, wurden soweit als möglich umgesetzt. Vergleichsbeispiele der zumeist kleinformatigen, niederländischen Gemälde ließen sich etwa in den Beständen des Rijksmuseum Amsterdam finden. Bei der Auswahl wurde darauf geachtet, Bilder von ähnlicher Größe und Format sowie passender Zeitstellung zu wählen (Entstehungszeit des Raumes 1762 als Terminus ante quem).

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Die Spitzenklöpplerin, Gerrit Dou, 1667; Kunsthalle Karlsruhe (Inv. 267)

Hinsichtlich der Anordnung der Bilder wurde versucht, barocken Gestaltungsprinzipien gerecht zu werden. So entstehen etwa durch die parallele Hängung der beiden Reproduktionen nach Dou (Schulmeister und Näherin) sowie der Blumenstillleben Symmetrien. Darüber hinaus wurde versucht, Beziehungen zur Raumschale aufzugreifen und Querverbindungen zu schaffen. So reflektieren etwa die Blumenstillleben zwischen den Fenstern zum Gartensaal den dortigen Blumenstuck, die ovalen Rahmungen der Porträts von Gerrit Dou greifen die Form der Fensternischen wieder auf, in den Gemälden gespiegelte Fenster wie etwa in der Bauernszene des Adriaen von Ostade korrespondieren mit den Fenstern im gebauten Raum. Im Inventar als qualitätvoll hervorgehobene Bilder sind an prominenten Stellen platziert. Zentral steht das im Inventar als „sehr fleißiges Stück, den Triumph der Venus vorstellend“ beschriebene (und dort auch typographisch hervorgehobene) Stück, nun ersetzt durch François Bouchers Triumph der Venus von 1740.

Stockholm Nationalmuseum

Der Triumph der Venus, François Boucher, 1740
Stockholm, Nationalmuseum (NM 770)

Eine wichtige Frage stellte sich auch bzgl. der Farbigkeit. War zuerst angedacht, mithilfe schwarzweißer Reproduktionen deutlich auf den Rekonstruktionscharakter zu verweisen, erwies sich diese Lösung als ästhetisch extrem unbefriedigend und dem barocken Raumkunstwerk nicht gerecht. Daher wurden farbige Reproduktionen angefertigt. Bei der Auswahl wurde Wert darauf gelegt, Bilder einer ähnlichen Grundtonalität zu selektieren und (mit Ausnahme der Venus als zentralem Bild) eine eher dunkle Palette zu wählen, um den Fokus nicht von der Holzvertäfelung abzulenken. Die Repros wurden auf Hahnemühle German Etching 310g gedruckt, anschließend auf 1mm dicken Kunststoff kaschiert. Sie sind von Schott Restover-Glas mit 1,75–2,25mm Stärke geschützt. Das im traditionellen Fourcault-Verfahren hergestellte Glas weist eine leicht unregelmäßige Oberflächenstruktur auf und ähnelt damit mundgeblasenem Glas. Somit konnte ein geschlossener Raumeindruck entstehen.

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Nordwand des „Rosenholzzimmers“ mit testweise digital rekonstruierter Bebilderung
Foto: BSV / Florian Schröter

Das nun unter der Fachaufsicht der Bayerischen Schlösserverwaltung und des Staatlichen Bauamts Bayreuth frisch restaurierte Rosenholzzimmer ist im Rahmen von Sonderführungen und während der Öffnungszeiten des Archäologischen Museums des Historischen Vereins für Oberfranken e.V. im Italienischen Schlösschen des Neuen Schlosses in Bayreuth zu besichtigen.

felder für gemälde vor restaurierung-rosenholzzimmer

Felder für zwei Gemälde vor der Restaurierung
Foto: BSV / Florian Schröter