Den Schlosspark Linderhof schmücken – neben vielen kunstvollen Vasen, Büsten und Brunnenfiguren – auch 17 lebensgroße Skulpturen aus feinem Kalkstein. Dargestellt sind Allegorien der Weltteile, Jahreszeiten, Elemente sowie Götterfiguren. Seit 2020 läuft eine längere Restaurierungsmaßnahme, in welcher alle Figuren grundlegend gereinigt und konserviert werden. Zeit genug, einen Blick zurückzuwerfen und sich diese außergewöhnlichen Kunstwerke einmal genauer anzuschauen. Denn wie so oft bei unserem „Märchenkönig“, gibt es hinter dem Offensichtlichen immer wieder etwas Neues zu entdecken…
Königlicher Wunschzettel
Bereits 1868 erträumte sich König Ludwig II. ein „bayerisches Versailles“ hoch oben im Graswangtal der Ammergauer Alpen. So ganz Versailles wurde es nicht – das entstand dann eher auf der Insel Herrenchiemsee. Auch der ursprünglich erträumte byzantinische Palast blieb (wie so vieles) ein schöner Wunsch.
Doch gerade, weil die Anlage am Ende ein wenig anders wurde als geplant, sollte zumindest die versteinerte Gesellschaft im Park ihn an sein großes, gebautes Vorbild erinnern. Daher schickt der bayerische Monarch schon 1867 seine Künstler nach Frankreich um sich die Formen der verehrten (oder verklärten?) Bourbonen abzuschauen. Zurück kommen verschiedene Skizzen des Skulpturenprogramms aus dem Schlosspark von Versailles.
Solche Vorlagen sind in europäischen Herrscherhäusern keine Seltenheit. Allzu oft wurde das eine vom anderen abgeschaut, kopiert, entlehnt. Gérard Edelinck hat bereits 1681 eine dieser französischen Statuen – die Flora, als Personifikation des Frühlings – in einem wundervollen Stich festgehalten. Die reale Vorlage, also die Skulptur, schuf Laurent Magnier kurz zuvor, um 1675-1680. Das Original steht heute im Innenraum des Schlosses bei Paris, im Park wurde eine Kopie aufgestellt.
Eine dieser mitgebrachten Skizzen (G. Dollmann & J.N.Hautmann, um 1873) ist dann auch eine erstaunlich exakte Kopie eben jener Flora aus Versailles – fast 200 Jahre früher.
Nun konnte in exakter Entlehnung für unser oberbayrisches Schlossidyll ein eigenes Skulpturenprogramm zusammengestellt werden. Die strenge, von Norden nach Süden ausgerichtet Anlage des Schlossparks bietet dafür vier passende, symmetrische Parterre an. Im Norden, an der Kaskade, stehen die Allegorien der vier Weltteile: Asien, Europa, Amerika und Afrika. Im Süden, im Wasserparterre (rund um das große Florabecken), stehen Diana, Venus mit Amor, sowie die Allegorien der Nacht und des Tages. Im westlichen Parterre, neben dem Schloss, stehen die vier Jahreszeiten, im östlichen Parterre die vier Elemente. Hier hat sich eine eklatante Unregelmäßigkeit eingeschmuggelt: zusätzlich zu den vier Elementen steht mittig im Parterre die Gruppe Venus und Adonis und somit im Ostparterre als einziger Ausreißer fünf statt vier Skulpturen, was die Gesamtzahl von der überaus symmetrischen 16 auf eine ungerade 17 erhöht. Nichts für hochsensible Ordnungsneurotiker…
Die Ausführung aller Skulpturen übernimmt der Bildhauer Johann Nepomuk Hautmann aus München. Wahlweise geschrieben mit einfach oder doppel-t und /-m, was die Stichwortsuche für ungeübte erheblich erschwert. Bevor dieser aber wirklich loslegen kann, fertigt er (um 1875) zuerst für jede Skulptur ein 1:1 Modell aus Gips, um dieses vom bayerischen Monarchen freigeben zu lassen. So kommt es, dass die Schlösserverwaltung von (fast) jeder der Parkfiguren ein nahezu identisches Gipsmodell hat.
Sprachlos macht nicht nur die Akribie und Detailverliebtheit, mit welcher Hautmann an die Arbeit geht. Vor allem die außerordentlich schnelle Ausführung verblüfft. Alle 17 Skulpturen entstehen – inklusive der Gipsmodelle! – von Februar 1873 bis Oktober 1877. Nahezu jedes Jahr werden 3-4 neue Figuren aufgestellt. Am Ende geht sogar eine zu Bruch (die ‘Nacht’) und wird prompt nachgeliefert. In Punkto Zeit- und Auftragsmanagement ein heute leider unerreichtes Ideal.
(K)ein Stein für die Ewigkeit
Alle Figuren sind aus feinem Kalkstein gearbeitet. Das letzte Oberflächenfinish wurde mit feinen Raspeln herausgezaubert, deren Spuren man noch heute deutlich sehen kann. Neueste Untersuchungen und Quellen zeigen, dass das Steinmaterial, nicht wie früher angenommen, aus dem französischen Lothringen (Savonnières) sondern aus einem Steinbruch aus Offenstetten, nördlich von Abensberg im Landkreis Kelheim stammt. Die Steingewerkschaft Offenstetten (eine Aktien-Gesellschaft aus München) wirbt 1889 in einem Werbeprospekt mit der Verwendung ihres Steins für das „Lustschloss Linderhof, 16 grosse Standfiguren, ferner Vasen, Balustraden, etc. [sic!]“. Andere prominente Werbepartner sind der Dom zu Regensburg („Restaurierung an den Facaden“) oder der Justizpalast in München („Nord- und Westfacade, 2000cbm, Prof. Fr. v. Thiersch“).
Die Gesteinsbestimmung mittels Dünnschliff bestätigt die Quelle. Dieser sehr feine, helle, fast kreidige Kalkstein lässt sich im frischen Zustand wunderbar auch mit Raspeln – statt nur mit Hammer und Meißel bearbeiten. Dadurch lassen sich die wunderschönen Details fast wie in der Holzschnitzerei erschaffen. Im Volksmund wird er nach seinem Abbauort (geologisch ganz inkorrekt) auch „Abensberger Marmor“ genannt. Ein Markenzeichen ist der helle, porzellanhafte Klang, wenn er mit dem Eisen angeschlagen wird. Ein Soundeffekt, welcher durch eine spezielle, sehr ambivalente Eigenschaft des Kalksteins hervorgerufen wird: ist er im bruchfrischen, feuchten Zustand weich und leicht zu bearbeiten, so bildet sich über die Jahr(zehnte) an der Oberfläche eine dichte, harte Schale aus Kalk (für die bewanderten Besserwisser: sekundäres, sparitisches Calcit), welches über den Wechsel von Regen und Trocknung von innen nach außen wandert. Klangvoll beschrieben ist dies von C. W. v. Gümbel in seiner „Geognostische[n] Beschreibung der Fränkischen Alp (Frankenjura) mit dem anstoßenden Fränkischen Keupergebirge“ von 1891: „Der ausgezeichnete, hellklingende Stein von Seeholz, bekannt unter der Bezeichnung Offenstettener Kalkstein, …ist leicht in den feinsten Profilirungen zu bearbeiten, und gestattet die Gewinnung sehr großer Blöcke, welche sich zur Herstellung von Bildhauerkunstwerken besonders eignen. …Es ist bemerkenswerth, dass dieser Stein bruchfeucht der Einwirkung des starken Frostes nicht vollständig Widerstand leistet, dagegen einmal gut ausgetrocknet, zieht er keine Feuchtigkeit mehr an, und unterliegt nicht weiter mehr den Einflüssen des Frostes.“
Salze, Flechten, Zahn der Zeit
In den 1980er Jahren hatten Wind und Wetter den Figuren schon so weit zugesetzt, dass beherzt zur Reinigungsbürste gegriffen wurde. Verschwinden sollten vor allem die unansehnlichen schwarzen Gipskrusten, welche die Oberflächen verunklärten. Vielleicht etwas zu beherzt, denn das damals markübliche Reinigungsmittel (eine Paste auf Basis von Natriumhydrogencarbonat) vertrug sich dann nur bedingt mit dem doch recht sensiblen Kalkstein. Als Ergebnis waren die Figuren porentief sauber – und im Porenraum verblieb ein Rest an Natriumsulfat. Ein äußerst unangenehmes Schadsalz, welches fortan immer wieder kleine Teile der verdichteten, harten Oberfläche (siehe oben) abdrückte.
Ein weiteres – durchaus gravierenderes Leiden (im doppelten Wortsinn) – richteten der jahrzehntelange Bewuchs von Algen und Flechten an. Bedingt durch ihre Aufstellung vor den hohen Hecken sind manche Figuren das ganze Jahr durch feucht und verschattet. Ein idealer Brutkasten für allerlei biogene Lebewesen in evolutionärer Frühstufe. Zum Teil wurde die Gesteinsoberfläche mehrere Millimeter stark angefressen, einzelne Flechtenarten bohrten regelrechte Fraßgänge in die weiche Kalksteinoberfläche.
Beauty Treatment
Um die Grundlage für eine umfassende Schönheitskur zu schaffen, wurde die Skulptur der Flora abgebaut und in die Restaurierungswerkstätten der Bayerischen Schlösserverwaltung gebracht. Dort folgten umfangreiche Voruntersuchungen. Schließlich sollten die Erkenntnisse der Flora auch auf die übrigen 16 Skulpturen übertragen werden.
Am Ende stand ein ausgeklügeltes Konzept, wohl am besten vergleichbar mit einer tiefgreifenden Gesichtsbehandlung. Aller Schmutz und alle Flechten wurden mit Heißdampf angeweicht und mit feinen Bürsten abgenommen (‚deep cleaning‘). Tiefer sitzende Schmutzkrusten wurden mit einem sanften Strahlgerät und Glaspudermehl entfernt (‚Peeling‘). Die Salze wurden mittels einer feinen Kompresse entzogen. Genau wie bei handelsüblichen Gesichtsmasken (‚Heilerde‘) ist der Hauptbestandteil hier ein Tonmineral oder Kaolin. Durch die langsame Trocknung wandern einige der Salze aus der Haut – äh, dem Stein – in die aufgelegte Kompresse. Damit die Witterung nicht gleich wieder unsere frisch gereinigte Oberfläche anfressen kann, wurde ein feiner Kitt aus Kalkmörtel in alle offenen Stellen eingerieben (‚filling‘). Darauf kam zum Abschluss eine dünne Lasur aus Kalkfarbe (‚day-cream‘). Diese dient als Opferschicht, auf ihr können sich gerne Schmutz und Flechten anlagern. Die Lasur kann bei einer späteren Reinigung mitsamt dem darauf abgelegten Schmutz abgenommen und danach wieder frisch aufgetragen werden.
2023 kam die Flora – pünktlich zum Frühlingsanfang – zurück nach Linderhof. Auf der Grundlage aller Untersuchungen wurden die Skulpturen der vier Erdteile an der Kaskade ausgeschrieben und im Sommer 2023 durch einen externen Bildhauer restauriert. Im kommenden Jahr folgen dann die 4 Figuren im Wasserparterre…
The Journey continues…
Die Reise von Hautmanns Skulpturen endet jedoch nicht in Linderhof. Noch zu Lebzeiten lässt sich Ludwig II. vier der Linderhofer Figuren von Hautmann in Marmor nachfertigen und vor dem Neuen Schloss Herrenchiemsee aufstellen. Dort flankieren nun Diana, Amphitrite (Wasser), Flora sowie Venus mit Amor die beiden Kabinettsbrunnen vor dem Neuen Schloss.
Ob diesmal die Argusaugen des Königs schon abwesend waren oder Hautmann mit dem Marmor nicht zurechtkam – die Ausführung wirkt deutlich gröber (fast plumper) als die Linderhofer Vorbilder. Einige der Gipsmodelle nutzte Ludwig II. um damit das Neue Schloss Schleißheim auszustatten. Dort stand auch das Gipsmodell unserer Flora in einer Treppenhausnische, bis sie schließlich wieder zurück nach Herrenchiemsee ins heutige Ludwig II.-Museum gebracht wurde.
Von ihrem Schöpfer wissen wir leider wenig. Mehr als 160 seiner Werke befinden sich heute im Besitz der Bayerischen Schlösserverwaltung. Hat er sich finanziell übernommen? Hat Hautmann alles auf die monetäre Karte seines königlichen Förderers gesetzt? Am Ende stirbt er 1903 still und recht unbekannt in München. Sein (unmarkiertes) Grab findet sich auf dem Alten Südfriedhof.
Infolinks
Weitere fantastische Bauprojekte für Linderhof:
Schlossanlage Linderhof | Park | Projekte (schlosslinderhof.de)
Zu den Vorbildern in Versailles:
Laurent Magnier, Le Printemps
Mehr zu dem Verhältnis der Gartenskulpturen Versailles – Linderhof – Herrenchiemsee:
Garten- und Bau-Plastik unter König Ludwig II.