Am 20. Januar 1745, gegen ein Uhr, war es soweit: Dem Publizisten Friedrich Carl von Moser zufolge ereignete sich nach einem „recht zärtlichen“ und „beweglichsten Abschied“ von Gemahlin und versammelter Kinderschar, darunter der erst Stunden zuvor als volljährig erklärte Erprinz, „bey einer außerordentlichen Großmuth und Ergebung in den göttlichen Willen die Auflösung“: Karl Albrecht, Kurfürst von Bayern und seit 1742 als Karl VII. erwählter römisch-deutscher Kaiser war tot. Noch nicht einmal 48 Jahre war der von schmerzhaften Gichtanfällen und hartnäckig quälenden Steinleiden vor der Zeit erschöpfte Monarch alt geworden.
Politisch erfolgte das von Außenstehenden unerwartete Ableben des seit dem 14. Jahrhundert ersten und einzigen Reichsoberhaupts aus dem Hause Wittelsbach im ungünstigsten Moment: 1740 hatte Karl Albrecht unmittelbar nach dem Tod seines Amtsvorgängers Karl VI. aus dem Hause Habsburg mit Blick auf die eigene Kaiserkandidatur die Rechte der österreichischen Erbtochter Maria Theresia bestritten und damit einen langwierigen Sukzessionskrieg losgetreten. Anfängliche Erfolge und die prunkvolle Krönung im Frankfurter Dom Anfang 1742 täuschten nicht darüber hinweg, dass der neue Kurfürst-Kaiser militärisch den Ressourcen seiner Gegnerin langfristig nichts entgegenzusetzen hatte.
Mit übler Symbolik besetzten Maria Theresias Truppen ausgerechnet am Krönungstag München, die theoretische neue Hauptresidenz des Reichs. Erst im Oktober 1744 konnte der faktisch machtlose Karl in sein Stammland zurückkehren – zum Sterben, wie sich herausstellte. Seinem Nachfolger Max III. Joseph blieb faktisch nur der eilige Friedensschluss im April 1745 – ein Alleingang, für den die Habsburger immerhin nachträglich das kurzlebige Kaisertum des nun so günstig verblichenen bayerischen Vetters anerkannten. Diese Friedensverhandlungen dürften den Hintergrund gebildet haben für das trotz allen politischen Machtverlusts grandios durchexerzierte Theater des Todes, das am Münchner Hof zu Ehren und Andenken des verstorbenen Kaisers mit allem zeremoniellen Aufwand aufgeführt wurde. Aus seinem nach strengen und althergebrachten Vorgaben inszenierten Ablauf sollen hier nur zwei Akte herausgegriffen werden: Die Herzbestattung in der Altöttinger Gnadenkapelle und der Gedenkgottesdienst, der einige Wochen nach der eigentlichen (wenig spektakulären) Beisetzung, Ende März 1745 vor einem ephemeren Trauergerüst in der Theatiner(Hof-)Kirche gegenüber der Residenz stattfand. Letzteres kostete den bereits mit 35 Millionen verschuldeten Staatshaushalt weitere 3700 Gulden, vergoldete die Münchner Trauerfeier aber noch einmal mit dem erhabenen kaiserlichen Prunk, der für die symbolische Selbstdarstellung der Dynastie so unerlässlich war.
Die Münchner Trauerfeier
Namhaften Vorbildern des 16. und 17. Jahrhunderts folgend war das reich mit Kerzen bestückte Gerüst aus Holz und bemalter Leinwand, das sich rund 35 Meter hoch in den Kuppelraum der Kirche erhob, als opulent verzierter, offener Säulenbau gestaltet.
Über dem gestuften Gebälk erhob sich ein kerzengeschmückter Obelisk, seit der Antike das leuchtende Symbol für Ruhm und Unsterblichkeit. An der Spitze schimmerte die Kaiserkrone. Auf der dreieckigen Front prangte das Ovalporträt Karls VII. im würdevollem Profil, getragen von Putten und der Fama und bewacht von kaiserlichen Adlern. An der Basis des Obelisken verkörperten weibliche Gestalten die Tugenden des Toten mit ihren traditionellen Attributen, während der geflügelte Gott der Zeit mit Sense und Schreibtafel bewaffnet das Sterbedatum notierte. Zwischen den Säulen, unter einem schwarzsamtenen Baldachin, erhob sich nach antikem Vorbild eine monumentale, barock geschwungene Urne, die vorgeblich die Asche des bayerischen Imperators enthielt. Sie war umgeben von zahllosen Totenschädeln, Allegorien der Trauer sowie Verkörperungen der vier hauptsächlichen Herrscherqualitäten: Gerechtigkeit, Stärke, Mäßigung und Klugheit. Statuen der Wittelsbacher Vorfahren und weinende Wappenlöwen, die Schilde mit emblematischen Symbolbildern trugen, umgaben das zentrale Monument auf allen vier Seiten. Hinzu kam die Verkleidung der gewaltigen Langhauspfeiler mit Draperien und bemalten Kartuschen, auf denen namhafte Ereignisse aus Karl Albrechts Regierungsjahren dargestellt waren. Zusammen mit ihren lateinischen Inschriften deuteten sie die insgesamt mäßige Erfolgsbilanz des heimgegangenen Wittelsbachers in bester barocker Manier nachträglich zu einem unausgesetzten Triumph um (praktischerweise reichte die Anzahl der Pfeiler nur, um mit der Bild-Erzählung bis zur Kaiserkrönung im Jahr 1742 vorzustoßen…). Auf diesen überbordenden Bild- und Symbolapparat bezog sich vor den Augen und Ohren des versammelten Hofstaats die ausufernde Trauerpredigt, die Theatinerpater Edlweckh verfasst hatte und die von barocken Metaphern nur so strotzte.
Im Verlauf seines Vortrags entstand so neben dem nur für wenige Stunden errichteten Epitaph ein gesprochenes Monument, das wenig später zusammen mit Stichen der Trauerdekoration im Druck erschien und anstelle eines steinernen Grabmals als dauerhafte Erinnerung an den toten Herrscher dienen sollte.
Die Herzbestattung
Die getrennte Beisetzung von Herz und Eingeweiden hochgestellter Persönlichkeiten wurde schon mindestens seit dem Mittelalter regelmäßig praktiziert: Am Anfang standen wohl primär pragmatische Erwägungen: Ein auf dem Kreuzzug oder im Feindesland verstorbener Herrscher konnte eben nicht komplett über Land und Meer hinweg im Laufe mehrerer Wochen oder Monate in die heimatliche Erde überführt werden. Es etablierten sich verschiedene Alternativlösungen, darunter die ebenso effektive wie grausliche, das Fleisch im wörtlichen Sinne von den Knochen „abzukochen“: Nur die sauber gebleichten Gebeine wurden dann im Handgepäck mitgeführt, während man das verderbliche Innenleben in einer nahegelegenen Kirche oder Abtei zur letzten Ruhe bettete. Im 17. Jahrhundert machte die an verschiedenen Höfen praktizierte Einbalsamierung die Entnahme der inneren Organe nötig, um die mehrtägige öffentliche Aufbahrung des Leichnams zu ermöglichen. Die Konservierungsmaßnahmen, die man sich der überlieferten Fachliteratur zufolge als ziemlich rudimentär und experimentell vorstellen muss, hatten wenig mit ägyptischem Mumienwesen zu tun: Ziel war nicht die ewige Erhaltung des Körpers, sondern die möglichst geruchsfreie Überbrückung der Zeit bis zur Beisetzung, ohne – ganz banal – Form- und Farbverluste beim verblichenen Landesvater zu riskieren. Brustkorb und Bauchhöhle wurden entleert (bei der Beschau der Organe meist die regelmäßige Vermutung eines Giftattentats überprüft) und der Hohlraum mit Duftstoffen und Füllmaterial ausgepolstert. Die entnommenen Organe wusch man in Alkohol, schlug sie in Wachstuch ein und bettete sie in möglichst luftdichte Metall- oder Keramikurnen, die teils reich dekoriert waren.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die getrennte Bestattung bereits zu einer beliebten Möglichkeit entwickelt, die besondere emotionale oder gläubige Bindung an eine bevorzugte letzte Ruhestätte zu demonstrieren: Während dem dynastischen Gedanken durch die Bestattung des Körpers im traditionellen Erbbegräbnis der Familie Genüge getan wurde, blieb das Herz sozusagen „frei“, dauerhaft an einem geliebten oder heiligen Ort, der besondere göttliche Gnade für den Verstorbenen verhieß, zu verbleiben. Für die Wittelsbacher war spätestens seit dem 17. Jahrhundert die winzige Altöttinger Gnadenkapelle und der dortige Altar der schwarzen Madonna eine solche Stätte. Als erster Herrscher ließ der große Marienverehrer Maximilian I. (reg. 1597-1651), der sich Jahre zuvor schon der Altöttinger Gottesmutter in einem mit Blut geschriebenen Brief überantwortet hatte, sein Herz hier neben dem seiner Gemahlin Elisabeth von Lothringen bestatten. Sein Urenkel Karl Albrecht folgte ihm hierin. Da die Beisetzung des Körpers in der Gruft der Theatinerkirche schon eine knappe Woche nach dem Ableben des Kaisers erfolgte, musste rasch zur Tat geschritten werden: Der schaudernden Überlieferung zufolge geschahen solche kurfürstlichen Autopsien im sogenannten „Marterzimmer“.
Es liegt direkt hinter dem goldglänzenden Paradeschlafgemach, das Francois Cuvilliés in den 1730er Jahren im Auftrag des jungen, hoffnungsvollen Karl Albrecht mit imperialer Pracht eingerichtet hatte. Anderer Meinung zufolge diente der bescheidene Raum als Folterkammer, in der angeblich der ungeliebte Kurfürst Karl Theodor Ende des 18. Jahrhunderts die verfolgen Illuminaten peinigen ließ.
Beide Visionen eines solchen Nebeneinanders herrscherlicher Pracht und menschlicher Pein dürfen wohl unbefangen ins Reich der Legende verwiesen werden, nicht zuletzt, weil das goldstrotzende Paradebett nur Schauobjekt war und von den Wittelsbachern nie zum Schlafen und ganz sicher nicht zum Sterben benutzt wurde.
Karl Albrechts entnommenes, in Wachsleinwand eingenähtes Herz wurde vom Kammerherrn Frauenhofen Anfang April über Wasserburg nach Altötting überführt und dort aus seiner hölzernen Transportkapsel in eine silberne Urne umgebettet.
Es sollte nur eine vorübergehende Ruhe sein: In den folgenden Jahren errichtete der Hofbildhauer Johann Baptist Straub in einer Nische gegenüber dem Marienaltar ein beeindruckendes Herzgrabmal aus Marmor und Bronze, das noch heute in der Gnadenkapelle bewundert werden kann: Von einer weiblichen Trauerfigur und dem wehmutsvoll hechelnden Bayernlöwen beklagt, blickt die lorbeerbekränzte Büste des Kurfürst-Kaisers in ewiger Anbetung entrückt auf die Statuette der Gottesmutter, während ein Adler mit den Herrschaftsinsignien, die Karl Albrecht zu Lebzeiten so wenig genützt haben, von rechts herbeischwebt. Im Postament der Büste öffnet sich ein ovales Fenster und gibt den Blick frei auf die gewölbte Doppelurne unter der Kaiserkrone, die das Herz Karls VII. und seit 1756 auch das seiner Gemahlin Maria Amalia birgt. Vielleicht bezieht sich auf diese Zusammenführung die lateinische Schrift an der Basis des Monuments, die das tröstliche Fazit zieht: „Amor Post Fata Superstes“ – „Liebe überdauert auch schweres Geschick“!