Ein Beitrag von Veronika Endlicher, Theresa Häusl und Oliver Schach //
„Möbel der Lüfte“ – so umschrieb Peter Rath ein charakteristisches Produkt des Wiener Handwerksbetriebs Lobmeyr, das in großer Stückzahl für Schloss Herrenchiemsee hergestellt wurde und das weit mehr als bloße Funktionalität verkörperte: 54 Kristalllüster schmücken die historischen Prunkräume des Schlosses. Ihre Entstehungsgeschichte macht deutlich, dass die Kronleuchter nicht nur als Lichtquelle betrachtet wurden, sondern wesentlich zum optischen Gesamteindruck der Räume und somit zum architektonischen Gesamtkunstwerk Schloss beitrugen. Im folgenden Beitrag nehmen Veronika Endlicher (Kastellanin des Neuen Schlosses Herrenchiemsee), Oliver Schach (zuständiger Restaurator für Kunsthandwerk im Restaurierungszentrum) und Dr. Theresa Häusl (Museumsreferentin für die Schlösser König Ludwigs II.) die schwebenden Möbelstücke für euch unter die Lupe.
Lobmeyr-Lüster „nach Muster von Versailles“
Dass das Neue Schloss Herrenchiemsee nach Vorbild von Schloss Versailles gestaltet wurde, ist gemeinhin bekannt – aber woran zeigt sich das eigentlich genau und gibt es auch Unterschiede? Hier einige Fakten zur Beziehung der beiden Schlösser zueinander am Beispiel des Prunktreppenhauses: Die Prunktreppe in Herrenchiemsee darf als erste maßstabsgetreue Rekonstruktion der Gesandtentreppe von Versailles gelten. Allerdings handelt es sich dabei um eine Neuschöpfung, die Wiederholung ist rein formaler Natur. Denn zum einen ist die 1671 erbaute Versailler Gesandtentreppe bereits im 18. Jahrhundert wieder abgebrochen worden, ihre Gestaltung konnte daher nur anhand von historischen Stichen nachvollzogen werden. Zum anderen ließ König Ludwig II. auch das Bild- und Figurenprogramm neu interpretieren. Sehr deutlich werden die Unterschiede in der Deckengestaltung: Anders als das französische Vorbild wird das Prunktreppenhaus in Herrenchiemsee von einem Glasdach bekrönt, es ist gewissermaßen nach oben hin offen. Das Licht verteilt sich so – auf ausdrücklichen Wunsch König Ludwigs II. – gleichmäßig im Raum und erzeugt ein harmonisches Ganzes. Für die nach Versailler Vorbild gearbeiteten Lüster bedeutet dies, dass sie gleichsam im Raumgefüge schweben. Sie sind nur an einer filigranen Gliederkette befestigt.
Das Versailler Vorbild lässt sich auch an der Rechnungsstellung der Firma Lobmeyr nachvollziehen, wo explizit auf die Gestaltung der Kronleuchter bzw. Lüster „nach Muster von Versailles“ hingewiesen wird. Die beiden Bezeichnungen können übrigens synonym verwendet werden; im süddeutschen Raum ist Lüster gebräuchlicher.
Entwurf eines Lüsters mit 60 Kerzen für das Paradeschlafzimmer Ludwigs II. in Herrenchiemsee: Gesamtansicht und halber Querschnitt. Foto: BSV/Scherf
Die Ausgestaltung der Lüster orientierte sich an der Funktion und der Bedeutung der Räume, d. h. die Lüster wurden zwar nach Versailler Vorbild gefertigt, die Räume wurden jedoch nicht in 1:1-Kopie nachgebildet. Für die Prunkräume im ersten Obergeschoss schlug Ludwig Lobmeyr eine Gestaltung im barocken Stil vor. Um einen Eindruck der exquisiten schwebenden Möbelstücke zu geben, wurden aufwendige kolorierte Zeichnungen für König Ludwig II. gefertigt.
Die Lüsterausstattung sollte sich von den Vorräumen bis zur Spiegelgalerie allmählich steigern. Da man davon ausging, dass sich der König vor allem in seinem Privaten Appartement aufhielt, sollten diese Räume mit besonders prunkvollen Lüstern ausgestattet werden. Im Arbeits- und Speisezimmer waren Lüster mit einer hohen Kerzenanzahl geplant, um die Räume besonders hell beleuchten zu können.
Lüster im Detail: Restaurierung – Technik – Gestaltung
Anlass für diesen Blogbeitrag war eine anfangs kleine (!) Schadensmeldung an den Kronleuchtern im Prunktreppenhaus vonseiten der Schloss- und Gartenverwaltung auf der Herreninsel, entdeckt im Rahmen der regelmäßig stattfindenden Lüsterreinigung. Sie dient auch dazu, den Erhaltungszustand der Lüster zu dokumentieren. Schäden an Metall- und Glasteilen sowie Verschleißerscheinungen, wie beispielsweise poröse Drähte, können im Zuge der Grundreinigung festgestellt und an den zuständigen Fachrestaurator weitergeleitet werden. Im Fall der Lüster im Prunktreppenhaus handelte es sich um auffallende Drahtsicherungen und Brüche am Glas und Metall. Aufgrund der Aufhängung im Treppenhaus kann man zwar problemlos in beide Lüster hineinblicken, ohne auf eine Leiter angewiesen zu sein.
Ein ungewöhnlicher Blick auf die Unterseite des Lüsters – einmal in diese Sichtweise geschult, kann man kaum noch seinen Blick abwenden. Foto: BSV/Schach
Doch mit Abstand bleibt der Zustand meist verborgen. Für einen Ortstermin wurden die Lüster daher herabgelassen und ein Blick aus der Nähe offenbarte Veränderungen an beiden Lüstern. Die Absenkung der Lüster im Prunktreppenhaus und in der großen Spiegelgalerie erfolgt heute automatisiert. Nach wie vor gibt es aber Lüster, die nur mit Hilfe der historischen Kurbeln im Dachgeschoss heruntergelassen werden können.
Es zeigten sich Brüche an den Lichtschalen, fehlende statisch notwendige Teile, Korrosion an der Messingoberfläche, brüchige, fehlende oder überdehnte Drähte. Durch Ablagerung von Wachs aus der Zeit der Beleuchtung mit Kerzen hatte sich an vielen Stellen Schmutz angelagert und verdichtet. Außerdem waren im Rahmen früherer Restaurierungsmaßnahmen Glasteile ausgetauscht oder ersetzt und teilweise ohne Verständnis für die vorhandenen Verbindungstechniken montiert worden.
Während der Restaurierung konnte Einblick in die Herstellung der beiden Lüster genommen werden, die 1886 – im Todesjahr von Ludwig II. – als letzte geliefert wurden.
Wer hätte das gedacht: Die beiden Lüster unterscheiden sich in kleinen, aber feinen Details
Die beiden Lüster des Prunktreppenhauses wurden geliefert als „Lüster im Renaissance-Style aus fein ciselierter, echt vergoldeter Bronce mit feinst geschliffenen Krystallglas, Theilen und Behängen für 132 Kerzen“. Die Beschreibung weicht von dem, was wir heute sehen können, ab: Es sind nur noch 126 Kerzen, da in 6 Tüllen sogenannte „Aufsteckel“ in Vasenform stecken. Die Bezeichnung „echt vergoldet“ sagt nichts über den Auftrag der Vergoldung aus, denn heute wissen wir, dass galvanisch ein hauchdünner Auftrag erfolgte. „Bronce“ steht weniger für das Material als die Gusstechnik, handelt es sich doch um Messing, und auch wenn es noch nicht untersucht ist, steht „Krystallglas“ meist nicht für Bleikristallglas, sondern für die Brillanz des Schliffs.
Aber die beiden Lüster unterscheiden sich, zum Beispiel sind die heute als „Blattkramperln“ bezeichneten Abschlüsse an der Aufhängung des Behangs unterschiedlich gestaltet – dazu muss man wissen, dass die Bezeichnungen an Lüstern meist dem Französischen entlehnt oder aus dem österreichisch-böhmischen Raum übernommen sind. Beim ersten Lüster im Treppenhaus stellen sie sich wie bei allen weiteren Glasbehängen im Neuen Schloss dar. Beim zweiten sind sie dagegen an den großen Behängen als Kappen äußerst aufwendig gestaltet.
Die Arme, die die unteren Kerzen tragen, sind am zweiten Lüster aufwendig mit mehrteiligen Blättern und Glasschalen dekoriert. Jedes Blatt ist mit zwei Schrauben fixiert – damals wie heute ein hoher Montageaufwand. Derartige Verbindungen sind typisch für die Metallarbeiten des ausgehenden 19. Jahrhunderts und weisen eine äußerst präzise Nacharbeitung der Gussrohlinge auf.
Abgenommene Blätter mit versilberten Halbschalen und Glaselementen am zweiten Lüster. Foto: BSV/Schach
Beim ersten Lüster fällt die Verbindung hingegen einfacher aus und die Blattornamente sind so montiert, dass sie nicht abgenommen werden können. Ein Blatt mit Zierverschraubung hält das Glasornament zusätzlich an seinem Platz.
Exquisite Lieferung aus Wien
Gesichert und benannt ist als Lieferant beider Lüster des Prunktreppenhauses „Lobmeyer J. & L. k.k. Hofglas-Waaren-Fabrik-Niederlage in Wien“. Aus dem Kabinettskassenbuch für das Jahr 1886 geht hervor, dass zunächst nur ein Lüster für das Treppenhaus geliefert wurde. Es wurde jedoch noch ein weiterer, in Beschreibung und Preis übereinstimmender Lüster nachgeliefert, der gesondert in Rechnung gestellt wurde. Darin erklärt sich nicht nur die abweichende Gestaltung der beiden Lüster. Darin zeigt sich auch, welch hohe Summen für die Anschaffung solch prächtiger „Möbel der Lüfte“ aufgewendet werden mussten. Jeder der beiden prächtigen Lüster im Prunktreppenhaus schlug mit 4.500 fl. (= Gulden) österreichischer Währung zu Buche. Kleinere Lüster, wie etwa in der Spiegelgalerie, kosteten etwa 755 fl. Ein durchschnittlicher Tageslohn im Jahr 1886 belief sich meist auf kaum mehr als einen Gulden.
Neben den hohen Anschaffungskosten waren auch die Folgekosten nicht zu vernachlässigen. Obwohl Stearinkerzen eine lange Brenndauer hatten, wurde für das Jahr 1883 ein Verbrauch von 40.000 Kerzen festgehalten. Damit verbunden war die Frage, welche Kostenstelle für die hohen Kerzenausgaben aufzukommen habe. Die Firma Lobmeyr stellte zwar auch die Option einer modernen Petroleumbeleuchtung „im Style Louis XV. oder Louis XVI.“ für die Prunkräume vor. Der König bestand allerdings auf einer Beleuchtung mit Kerzenlicht. Zum einen, weil er im Neuen Schloss Herrenchiemsee die Zeit Ludwigs XIV. wiederaufleben lassen wollte, und zum anderen, weil das Kerzenlicht ein wichtiger Bestandteil der Rauminszenierung war, die mit einer modernen, elektrifizierten Beleuchtung des 19. Jahrhunderts niemals so effektvoll erzielt worden wäre.
Lüsterpflege – ein fein abgestimmtes Zusammenspiel von Schlosspersonal und Restauratoren
Wie oft die Lüster zu Zeiten Ludwigs II. gereinigt wurden ist uns nicht bekannt. Heute werden die Lüster einmal pro Jahr grundgereinigt. Bei Bedarf auch ein zweites Mal. Die Reinigung der Lüster erfolgt meist in der besucherschwächeren Nebensaison. Nur dann ist es möglich, in den Räumen große Leitern und Gerüste aufzustellen ohne den Führungsbetrieb zu beeinträchtigen. Leitern und Gerüste sind erforderlich, weil sich nicht alle Lüster des Schlosses absenken lassen. Da die historischen Prunkräume eine Höhe zwischen acht und zwölf Metern aufweisen, hängen auch die Lüster entsprechend hoch.
Die Grundreinigung umfasst die Reinigung des Metallgestells sowie der Glaskörper. Während das Metallgestell nur mit einem trockenen Baumwoll- oder Mikrofasertuch abgewischt werden darf, werden die Glaskörper mit einem leicht angefeuchteten Tuch gereinigt. Benutzt wird hierfür ein Alkohol-Wasser-Gemisch.
Das geschulte Personal vor Ort führt eine „oberflächliche“ Reinigung durch, d. h. die Lüster werden von leicht zu entfernenden Staub- und Schmutzschichten befreit. Beschädigte Glasteile, defekte Aufhängungen und Metallteile sowie stärker verschmutzte Teile des Lüsters werden vom Fachrestaurator bzw. Fachfirmen gereinigt. Jedes einzelne Glasteil wird beim Reinigen in die Hand genommen und vorsichtig mit einem weichen, angefeuchteten Tuch abgewischt. Dabei ist wichtig, dass die Glasteile nicht verdreht und die Drahtaufhängung nicht beschädigt wird.
Titelbild: BSV/Schröter